Die alte Telefonzelle am Eingang unseres Dorfes wird schon seit Jahren nicht mehr genutzt. Kein Wunder: Das Gerät stammt noch aus der D-Mark-Zeit, reagiert, wenn überhaupt, nur auf historische Münzen oder Telefonkarten der Telekom. Ferngespräche führen könnte man hier ohnehin nicht, da der Hörer irgendwann einmal abgeschnitten und zum „Mobilteil“ wurde. Kurzum: Die stark lädierte Zelle ist so eine Art Industrieruine des frühen Telekommunikationszeitalters.
Die Dorfbewohner haben sich schon lange gefragt, warum sie nicht längst abgeräumt wurde. Die überraschende Antwort lieferte jetzt die Deutsche Telekom: Aus einem Teil der Telefonzellen, die überlebt haben, sowie Tausenden von Verteilerkästen am Straßenrand will der Bonner Konzern in den kommenden Jahren Ladestationen für Elektroautos machen. Statt Informationen soll man hier in Zukunft Energie aus dem Netz holen können.
Erste Reaktion: coole Idee. Aus dem kleinen Schandfleck am Dorfrand wird so noch ein Aushängeschild, ein Baustein für das anbrechende Zeitalter der Elektromobilität, ein Beitrag zur Minderung der Reichweitenangst bei all den Menschen, die immer noch meinen, ein Elektroauto müsse wie ein Handy alle paar Minuten an eine Ladestation.
Doch mit jeder Minute, die ich über die Meldung sinniere, wachsen bei mir die Zweifel, ob die Maßnahme wirklich die Elektromobilität in Deutschland voranbringen wird. Da sind zum einen die bürokratischen Hemmnisse – die Umwidmung der Telefonzellen und der Bau von Parkplätzen im Umfeld der Verteilerkästen muss von den Kommunen erst genehmigt werden. Unsere Zelle steht an einer verkehrsreichen Kreuzung, direkt am Radweg. Und die meisten Verteilerstationen stehen an Hauswänden. Wer die anzapfen möchte, müsste sein Ladekabel über den Rad- oder Gehweg legen. Ich glaube nicht, dass es für eine solche Lösung eine Zustimmung im Stadtrat gibt.
Zielgruppe: Reiche Laternenparker?
Und ob sich ein Ladeplatz für den Betreiber rechnet, an dem Strom nur mit einer Ladestärke von 11 Kilowatt fließt, muss bezweifelt werden. Ein BMW i3 müsste dort bis zu drei Stunden verweilen, um den Akku wieder komplett aufzuladen. Und ich müsste schon in großer Not sein, um für das „Oma-Laden“ per Wechselstrom eine Pauschale von 7,89 Euro zu entrichten.
Auch für das Schnellladen an einer Gleichstrom-Anlage ruft die Telekom einen rekordverdächtigen Preis auf: 14,49 Euro pro Ladung sind fast doppelt so viel, wie etwa Ionity an einem seiner HPC-Super-Charger verlangt. Da fahre ich lieber ein Dorf weiter zum Aldi. Der Discounter verschenkt dort den Strom, den er mit Hilfe einer Photovoltaik-Anlage selbst produziert.
Aber das eigentliche Problem sind weder die hohen Preise, noch die wenig autogerechten Lokalitäten, an denen die Telekom die Elektromobilität beschleunigen will. Viel schlimmer ist: Die Werbemaßnahme der Telekom offenbart den Wildwuchs, der in Deutschland beim Aufbau der Ladeinfrastruktur immer noch herrscht.
Ungeplanter Ausbau der Lade-Infrastruktur
Jeder, der mag, kann Lademöglichkeiten anbieten, wann und wo er mag. Es gibt weder einen Generalplan noch eine Diskussion darüber, wie viele Ladeplätze es braucht, um in Zukunft Millionen von Elektroautos mit Energie versorgen. Es gibt (bis auf wenige Ausnahmen) weder eine Kilowattstunden-genaue Abrechnung des gelieferten Stroms, noch nachvollziehbare Tarife oder eine Transparenz im Netz oder an den Stationen selbst, was für die Energie berechnet wird.
Es gibt zwar inzwischen Roaming-Lösungen. Aber nicht jede Ladekarte oder -App kann an jeder Ladestation genutzt werden. Um Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen, bräuchte es nicht nur ein größeres Angebot an bezahlbaren Elektroautos. Es bräuchte vor allem eine öffentliche Lade-Infrastruktur, die leicht zugänglich ist, die faire Preise bietet – und strategisch aufgestellt ist, mit schnellen Gleichstrom-Ladern entlang der Schnellstraßen und an zentralen Punkten in den Städten, an denen Menschen gerne oder berufsbedingt länger verweilen.
Wir brauchen nicht an jeder Straßenecke eine Lademöglichkeit – schließlich gibt es auch längst nicht mehr in jedem Dorf oder Stadtteil eine Tankstelle. Wir brauchen aber einen Plan, wie das Land systematisch für die Elektromobilität erschlossen wird. Der frei ist von Eigeninteressen, frei von Kirchturm-Denken oder Bürgermeister-Interessen, dafür offen für jeden Anbieter – sofern er bereit ist, über die eigene Telefonzelle hinaus zu sehen. Dann kann die Energiewende auf der Straße gelingen.