Das Geschäftsmodell der deutsche Automobilindustrie steckt in einer schweren Krise. Die Elektromobilität stellt die Traditionskonzerne – Fahrzeughersteller wie Teilelieferanten – ebenso vor große Herausforderungen wie die Digitalisierung: Autos werden immer mehr zu rollenden Computern, bei denen die Software für den Verkaufserfolg wichtiger ist als die Hardware. Obendrein drängen neue Anbieter aus Fernost auf den Markt, die aufgrund niedrigerer Energie- und Personalkosten deutlich günstiger produzieren können als deutsche, die von massiven staatlichen Subventionen profitieren und dem leichteren Zugang zu den Schlüsselrohstoffen der Elektromobilität. Der Konkurrenzkampf hat sich darüber massiv verstärkt, was deutsche Autobauer nicht nur Gewinneinbrüche beschert, sondern den Verlust von Marktanteilen im In- und Ausland. Die Folge ist ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen hierzulande und eine Verlagerung von Produktionen in Billiglohnländer. Wie überlebt die deutsche Automobilindustrie diese schwierige Transformationsphase? Ein Gastkommentar.

Kennen Sie die Geschichte der Firma Studebaker? So hieß einst der weltgrößte Hersteller von Fahrzeugen im Kutschenzeitalter. Dann wurde 1886 das Automobil erfunden. 1893 startete auch in den USA die Herstellung von Autos, aber Studebaker stieg erst neun Jahre später in das Geschäft ein – interessanterweise zuerst mit einem Elektroauto. Auf Benzinmotoren stieg Studebaker erst 1904 um.

Als größter Hersteller von Fahrzeugen weltweit stellte das Unternehmen erst 16 Jahre nach der Erfindung auf die neue Technologie um und zwei Jahre später auf die favorisierte Technologie. Wieviel Geld Studebaker durch den späten Einstieg und den Wechsel verlor, ist nicht transparent. Aber festzuhalten ist, dass Studebaker bis 1966 nur aufgrund der Nachfrage überlebte, die durch die beiden Weltkriege erzeugt wurde.

Kai-Olaf Dammenhain
Der Diplom-Maschinenbauingenieur aus Aidlingen in Baden-Württemberg verfügt über 30 Jahren Erfahrung in Industrie, Transformation und Führung. Der 65-Jährige verantwortete als Geschäftsführer, Bereichsleiter sowie Projekt- und Programmmanager zahlreiche Veränderungs- und Digitalisierungsinitiativen. Mit das LUiS GmbH begleitet er Unternehmen pragmatisch von der Klärung komplexer Situationen bis zur erfolgreichen Umsetzung. Foto: Privat
Kai-Olaf Dammenhain
Der Diplom-Maschinenbauingenieur aus Aidlingen in Baden-Württemberg verfügt über 30 Jahren Erfahrung in Industrie, Transformation und Führung. Der 65-Jährige verantwortete als Geschäftsführer, Bereichsleiter sowie Projekt- und Programmmanager zahlreiche Veränderungs- und Digitalisierungsinitiativen. Mit das LUiS GmbH begleitet er Unternehmen pragmatisch von der Klärung komplexer Situationen bis zur erfolgreichen Umsetzung. Foto: Privat

Was können wir daraus lernen? Firmen wie Studebaker gab und gibt es in vielen Branchen. Und alle sind am Ende durch den Technologiewandel verschwunden.

Als Beispiele für die Muster des Scheiterns bei der Bewältigung des Technologiewandels kann man herausheben, dass der technologischen Wandels unterschätzt und gleichzeitig die Innovationsfähigkeiten des Unternehmen überschätzt wird. Zweiter Punkt ist die starke Fokussierung auf das Produkt und die Technologie. Dabei wird die Veränderung im gesamten Wertschöpfungs- und Betriebsnetzwerk übersehen. Aber der kritischste Punkt ist die technologische Verzettelung: Man möchte alles machen und verbrennt dabei einfach nur Geld, während der Neue konsequent alles auf eine Karte setzt.

Auf das Gesamtsystem kommt es an

Für die etablierte Automobilindustrie ist die aktuelle Situation besonders dramatisch, weil wir vor mehreren technologischen Veränderungen stehen, die durch neue Player getrieben werden. Die etablierte Industrie kann diese Veränderungen nur verzögern, aber nicht aufhalten.

  1. Das Auto wird elektrisch,
  2. Das Auto wird ein Computer auf Rädern, Software dominiert die Entwicklung.
  3. Das Auto wird selber  autonom, was zusätzlich die Software-Entwicklung treibt und vor allem alle bisherigen Geschäftsmodelle verändert.

Und diese Veränderungen treffen nicht nur die Hersteller, sondern vor allem die Zulieferer. Denn:

  1. Der neue Antrieb verändert die Komponenten, die Lieferkette und die Anzahl der notwendigen Bauteile.
  2. Ein Computer auf Rädern ist ein komplett neues Modell. Nicht mehr spezifische Lösungen (auf die unsere Zulieferer so stolz sind) sind entscheidend, sondern das Gesamtsystem. Ud vor allem dessen permanentes Update mit neuen Softwarelösungen. Bisher konnte der Zulieferer über die Laufzeit des Fahrzeuges durch permanente Optimierung seiner Komponenten seine Marge erhöhen. Jetzt kommen die Verbesserungen über die Software, die oftmals zugekauft werden muss.
  3. Und das autonome Fahrzeug forciert alles, weil es noch mehr auf eine zentrale Integration und zentrale Steuerung ankommt. Einzelne Komponenten verlieren darüber noch mehr an Bedeutung.

Die Verwirrungen im Denken lassen sich sehr gut am Thema Batterie festmachen: Rein in die Kartoffeln, in die Batterieentwicklung. Und raus aus den Kartoffeln, aus dem Batteriebau. Am Ende, siehe Northvolt, siehe Varta, ist das investierte Geld weg.

EU-Automobilpaket verschafft Industrie nur mehr Zeit

Ist die geplante Aufhebung des sogenannten „Verbrennerverbots“ eine Hilfe? Eher nein, weil die Automobilindustrie gewinnt dadurch zwar Zeit, muss aber weiterhin in zwei oder gar Technologien investieren. Es verunsichert die Mitarbeiter und Kunden. Und die Unternehmen verlieren noch mehr an Fokus als jetzt schon. Die aktuelle Botschaft am Markt ist: Die Zukunft mag elektrisch sein – aber wir machen auch weiter mit der Vergangenheit. Und da soll ein Mitarbeiter und ein Kunde verstehen, was kommt?

Wie die Story weitergeht? Dazu zwei exemplarische Szenarien – einmal mit Endzeitstimmung, einmal einen Aufbruch verheißend.

Studebaker Champion von 1950 mit Kugelnase
Der ehemalige Kutschenhersteller startete mit Elektroautos, wechselte spät den Antrieb und lief danach den technischen Entwicklungen ständig hinterher. Am Ende fehlt das Geld für die Entwicklung neuer Modelle. Foto: National Museum of American History
Studebaker Champion von 1950 mit Kugelnase
Der ehemalige Kutschenhersteller startete mit Elektroautos, wechselte spät den Antrieb und lief danach den technischen Entwicklungen ständig hinterher. Am Ende fehlt das Geld für die Entwicklung neuer Modelle. Foto: National Museum of American History

Szenario 1: Unsere Automobilindustrie wird den Weg von Studebaker, Grundig, Nokia und Kodak gehen. Es fehlt an Konsequenz und neuem Denken, an der Ausrichtung an den Möglichkeiten der neuen Technologie, es fehlt an neuen Geschäftsmodellen für den Kunden. Wir lösen uns nicht von der Produktfokussierung, verstehen nicht, dass ein 100.000 Euro Produkt auch ein 100.000 Euro Nutzungserlebnis benötigt und nicht eine ungenügende Infrastruktur. Das fängt in der Werbung und Kundenansprache an. Dass in der neuen Welt neue Geschäftsmodelle, neue Erlebnisse dazu gehören. Unsere Stärken im Produkt sind nicht mehr so wichtig. Am Ende wird es der Automobilindustrie schlicht am Geld fehlen, mehrere Technologien parallel anzubieten, muss man sich leisten können. Studebaker ist am Ende nicht mit einem schlechten Produkt gestorben. Es fehlte schlicht am Geld, um der schnellen Entwicklungen der Wettbewerber folgen zu können.

Aber es kann auch ganz anders kommen

Szenario 2: Die Automobilindustrie versteht immer besser die Zusammenhänge und ist bereit schmerzhafte Veränderungen vorzunehmen. Vor allem erkennt sie zunehmend schneller die Möglichkeiten der neuen Netzwerke. Sie erschließen neue Märkte wie z.B. Afrika, lernen kundenorientierte Produkte zu bauen, verstehen, dass elektrische Energie für Afrika eine Chance ist und dass wir alles, was dort benötigt wird, aus einer Hand anbieten können (z.B. Solar+Batterie+Stromversorgung+Mobilität/Fahrzeug).

Die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen rund um die elektrische Mobilität hat gerade erst angefangen. Wir springen spät auf den Zug, aber noch ist der Zug nicht abgefahren. Wir werden viele etablierte Prozesse und Hersteller verlieren, aber wir bleiben im Spiel und gestalten es mit. Unsere Automobilindustrie einschließlich der Zulieferer wird am Ende komplett anders aussehen, aber sie wird nicht wie Studebaker untergehen. Denn sie hat gelernt: „Alles ist machbar – aber dann muss man es auch machen.“

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