Der Hochlauf der Elektromobilität stockt. In einem Positionspapier hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) kürzlich die öffentliche Ladeinfrastruktur als zentralen Hemmschuh des Hochlaufs identifiziert. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht dies ganz anders. Ein Gastkommentar von Kerstin Andreae, der Vorsitzenden der Hauptgeschäftsführung des BDEW.

Schade, Chance verpasst! Die Fokussierung der Frage des Elektroauto-Hochlaufs auf Ladesäulen und -preise verdeckt, dass es keine tragfähigen Vorschläge zum Hochlauf erschwinglicher Modelle gibt. Das ist aber jetzt die wichtigste Aufgabe, auch der Automobilwirtschaft.

Elektromobilität leidet an Ladesäulen-Obsession

Das vom VDA veröffentlichte Papier „Bezahlbares Laden an öffentlicher Ladeinfrastruktur“ zeigt, dass wir in vielen Fragen ähnliche Positionen vertreten – etwa zur Stromsteuer, zur RED III und zur Flächenausschreibung durch die Kommunen. Aber wie so oft beim VDA stehen die Ladesäulen im Fokus, wenn er von Elektromobilität spricht. Dies zeigt symptomatisch, woran die Elektromobilitätspolitik hierzulande krankt: an einer Ladesäulen-Obsession.

Kerstin Andreae
Die 56-jährige Volkswirtin steht seit 2019 als Hauptgeschäftsführerin an der Spitze des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Interessenvertretung der deutschen Strom- und Energiebranche. Zwischen 2002 und 2019 saß sie als Abgeordnete der Grünen im Deutschen Bundestag, wo sie kommunal- und wirtschaftspolitische Sprecherin sowie stellvertretende Fraktionsvorsitzende war. Sie hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Foto: Thomas Trutschel/BDEW
Kerstin Andreae
Die 56-jährige Volkswirtin steht seit 2019 als Hauptgeschäftsführerin an der Spitze des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Interessenvertretung der deutschen Strom- und Energiebranche. Zwischen 2002 und 2019 saß sie als Abgeordnete der Grünen im Deutschen Bundestag, wo sie kommunal- und wirtschaftspolitische Sprecherin sowie stellvertretende Fraktionsvorsitzende war. Sie hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Foto: Thomas Trutschel/BDEW

Schauen wir uns ein paar Beispiele an. Manche Stakeholder beklagten jahrelang, dass in Deutschland nur jede zweite Kommune mit einem öffentlichen Ladepunkt ausgestattet sei. Das stimmt. Doch ist das tatsächlich ein Engpass? Fakt ist, dass es unter den 10.700 Kommunen etliche mit unter 500 Einwohnern gibt. Schaut man, wie viele Einwohner in Kommunen mit einem öffentlichen Ladepunkt leben, kommt man auf 94 Prozent. Zum Vergleich: Nur 85 Prozent der Bevölkerung leben in einer Kommune mit Tankstelle.

Öffentliches Laden: Wirklich zu teuer?

Manche kritisieren, dass das Laden zu teuer sei. Bei genauerem Hinsehen sind sechs von sieben Lade-Cases günstiger als Tanken: 1) mit eigenem PV-Strom, 2) zu Hause, 3) beim Arbeitgeber, 4) Normalladen beim Vertragspartner, 5) Schnellladen beim Vertragspartner und 6) Normalladen beim Roaming-Partner.

Mit dem Einwand, nicht jeder könne zu Hause laden, richtet sich die Kritik am siebten Lade-Case aus, am Schnellladen beim Roaming-Partner. Da kommt es auf den Vertrag an. Laut Verivox schwanken die Tarife zwischen 69 und 89 Cent/kWh. Da man nicht weiterfahren muss, sondern einfach seinen besten Ladetarif nutzen kann, zahlt man beim Schnellladen mit einem Roaming-Partner in etwa so viel wie durchschnittlich für Kraftstoff. Bei einem von sieben Lade-Cases.

Einfach das obere Preisende nach vorn zu stellen, ist in etwa so, als ob man Spritpreise entlang der Autobahn bemüht. Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Diskussion über das komplexe Thema Elektromobilität sachlich zu führen. Gerne wird dramatisiert, dass öffentliches Laden teurer ist als der Strom zu Hause. Nur: Wer das schlimm findet, springt gedanklich wirklich sehr kurz. Seit wann sind das Kino, das Restaurant oder das Hotel günstiger als der Filmabend, das selbst gekochte Essen oder das Bett zu Hause?

Durchleitungsmodell ist Gegenteil von Bürokratieabbau

Noch ungewöhnlicher wird die Diskussion, wenn mit Verweis auf den günstigeren heimischen Strompreis gefordert wird, diesen mit an die Ladesäule zu nehmen. Das soll mit dem sogenannten „Durchleitungsmodell“ möglich sein. Nur leider ist dieser Vorschlag das genaue Gegenteil von Bürokratieabbau.

Denn was ist der Mehrwert für den Kunden? Wir haben bereits zwei europäische Bezahlmodelle und lebhaften Wettbewerb von Ladedienstleistern direkt an der Ladesäule. Auch der heimische Stromlieferant kann die Ladesäule nur zum selben Preis nutzen. Führt der Staat ein drittes, deutsches Sondermodell ein, zahlt dafür am Ende der Kunde. Auch deshalb hat das Bundeskartellamt diesen Ansatz verworfen. Durch immer neue regulatorische Vorgaben wird Laden nicht billiger, sondern teurer.

Ganzheitlicher Blick notwendig

Dies könnten amüsante Petitessen sein. Aber die Elektromobilität auf Ladesäulen und -preise einzugrenzen, schadet dem Vertrauen der Kunden, den Business Cases der Unternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Die Technologieführerschaft in der Mobilität von morgen ist elektrisch, das gilt es im Blick zu behalten. Eine Begleiterscheinung dieser Debatten ist, dass auch der Fokus der Politik auf Ladesäulen liegt.

Wir hatten in den letzten beiden Legislaturen jeweils einen Masterplan Ladeinfrastruktur. Brauchen wir noch einen dritten? Der erfolgreiche, privatwirtschaftliche Ladeausbau spricht klar dagegen. Für die Fahrzeugseite dagegen gab und gibt es keinen Masterplan. Genau da hakt es aber. Gerade die Frage, wie EU-Kommission und neue Bundesregierung den reduzierten Schwung infolge der neuen CO2-Flottengrenzwerte-Regelung kompensieren und den Markt anschieben, ist erfolgsentscheidend. Wir brauchen ein klares Signal zur Stärkung der Nachfrage!

In Kooperation mit dem Branchendienst energate.

Ein Blick in die EU-Nachbarstaaten zeigt, dass dies erfolgreich gelingen kann. Nachhaltige Steueranreize für E-PKW zeigen deutliche Vorteile gegenüber teuren Förderprogrammen. Nur in einem starken Leitmarkt können die Unternehmen Produkte und Dienstleistungen erfolgreich weiterentwickeln!

Elektromobilität kommt an

Einen Gedanken möchte ich abschließend besonders unterstreichen: Die Kunden finden Elektromobilität gut! Unsere aktuelle Nutzerbefragung zeigt, dass 97 Prozent der E-Auto-Fahrer sich wieder einen E-PKW kaufen würden. 60 Prozent finden Laden besser als Tanken. Das zeigt: Gemeinsam können wir Elektromobilität! Das Ladeangebot ist gut und die Fahrzeuge auch. Lasst uns die Chance ergreifen, im Rahmen einer fundierten, ganzheitlichen Elektromobilitätspolitik.

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