Er gilt als so etwas wie der deutsche Elon Musk: Der Aachener Multi-Unternehmensgründer und Maschinenbau-Ingenieur Günther Schuh, 61. Vor zehn Jahren gründete er zusammen mit seinem Kollegen Achim Kampker aus einem Forschungsprojekt heraus die Streetscooter GmbH und verkaufte den Hersteller preiswerter Elektrotransporter für den Kurzstreckenverkehr 2014 an die Deutsche Post DHL.

Vom Verkaufserlös reinvestierte Schuh ein Jahr später einen Teil in die Gründung der e.GO Mobile AG und die Entwicklung eines elektrogetriebenen Kleinwagens für normalverdienende Großstadtbewohner – den e.Go Live. Darüber hinaus entwickelte der Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen mit dem e.GO Mover einen elektrischen, vollautonom fahrenden Kleinbus, der noch in diesem Jahr im Münchner Olympiapark im Personentransport eingesetzt werden soll.

Und ähnlich wie Musk engagiert sich Sportpilot Schuh auch in der Luftfahrt: Als Finanzchef des Start-ups e.Sat versucht er bis zum Jahr 2022 mit dem Silent Air Taxi ein Kleinflugzeug mit Hybridantrieb für den Transport von vier Passagieren in die Luft zu kriegen. Der Mann ist gut beschäftigt und fand trotzdem noch Zeit für ein Gespräch mit EDISON. Anlass war die Entscheidung der Deutschen Post, die Produktion der angeblich hochdefizitären Streetscooter GmbH einzustellen. Wie dabei deutlich wurde, hängt das Herz des Co-Gründers immer noch an dem Unternehmen. Möglicherweise wird er deshalb Teile davon zurückkaufen.

Professor Schuh, Ihre Vergangenheit scheint Sie einzuholen – Sie beschäftigen sich derzeit wieder mit Streetscooter. Das Unternehmen haben Sie 2010 zusammen mit Ihrem Kollegen Achim Kamper gegründet und 2014 an die Deutsche Post DHL verkauft. Die will jetzt keine Elektrotransporter mehr bauen und deshalb die beiden Werke in Aachen und Düren schließen.

Das hat mich sehr geärgert und daher habe ich mich in dem Sinne hier und da geäußert: Wir haben uns damals nicht die Beine ausgerissen, damit es jetzt von einem Großkonzern zerstört wird.

Deshalb wollen Sie es jetzt von der Post zurückkaufen?

Das weiß ich noch nicht. Denn ich kann den aktuellen Zustand von Streetscooter nicht beurteilen. Es käme deshalb auf die Konditionen an.

Für einen Euro würden Sie es kaufen?

Der Preis ist nicht alleine entscheidend. Es kommt auf die Risiken und gegebenenfalls den Nachholbedarf an. Vielleicht bräuchte man sogar einen negativen Kaufpreis. Ich habe mich bei der Post gemeldet und Hilfe angeboten, um den Schaden zu minimieren, der jetzt entsteht. Darunter könnte alles Mögliche fallen.

Nämlich?

Hängen im Schacht
Was mit den Streetscooter-Werken in Aachen und in Düren passiert, ist noch völlig offen. Die Deutsche Post DHL will die Produktion stoppen, e.Go Mobile könnten die Fertigungskapazitäten für die eigene Expansion gut gebrauchen. Foto: Bernd F. Meier

StreetScooter hat immerhin zwei Produktionsstätten, die e-Fahrzeuge bauen können. Wir sind mit e.GO Mobile auf einem Wachstumspfad und brauchen bald weitere Kapazitäten.

Vor allem haben die Fachpersonal und ein Fahrzeug, das noch in ihr Portfolio passen könnte.

Bei dem Fahrzeug weiß ich nicht, in welcher Verfassung es ist. Ob es zum Beispiel einen Reengineering-Stau gibt. Aber das Testgelände, Montageanlagen und andere Assets könnten uns schon gefallen. Darüber könnten wir reden. Aber erst einmal muss sich die Post entscheiden, was sie will.

Würden Sie sich mit einer Übernahme von Streetscooter, in welchen Teilen und zu welchen Konditionen auch immer, nicht verzetteln? e.GO Mobile bewegt sich gerade auch in unruhigem Fahrwasser. Im vergangenen Jahr stand, so war zu lesen, kurz vor der Insolvenz.

Ein Start-Up ist immer in unruhigem Fahrwasser, bis es cash-positiv ist. Wir sind Ende 2020 cash-positiv. Ich habe mir das Timing nicht ausgesucht. Das Thema StreetScooter hätte man auch schon früher in Ruhe besprechen können. Dann hätte die Post vielleicht auch einen Investor gefunden. Ich war und bin eigentlich mit anderen Dingen beschäftigt: Auf dem Genfer Autosalon wollten unsere Fahrzeuge der nächsten Generation vorstellen. Ein Start-Up muss sich auch immer mit den Opportunitäten beschäftigen, die sich zufällig ergeben.

Bevor wir zu denen kommen: Wie steht es denn finanziell um e.GO Mobile? Insolvenzgefahr besteht keine mehr?

Im Silicon Valley hätte das niemand als Insolvenzgefahr bezeichnet, was wir Ende letzten Jahres erlebt haben. Dort schrammt jedes Start-up alle neun Monate am Crash vorbei. Bei uns schaut ein Wirtschaftsprüfer über den Jahresabschluss und schildert dann ausführlich die Risiken, die dem Unternehmen drohen, um ein uneingeschränktes Testat erteilen zu können. Das führt dann in Sparkassen-Deutschland schon mal zu der Formulierung, dass ohne Kapitalerhöhung das Unternehmen in die Insolvenz gehen würde. So spektakulär war das nicht.

Belegschaft E.Go MObile in Aachen
Start-up-Feeling
Ein junges Team produziert in Aachen das elektrische Stadtmobil e.Go Life – und entwickelt es für die nächste Modellgeneration kontinuierlich weiter. Foto: e.Go Mobile

Ich kann verstehen, dass Sie die Probleme herunterzuspielen versuchen. Aber immerhin mussten die Aktionäre ZF, RAG und andere ja eine finanzielle Brücke bauen, 101 Millionen Euro nachschießen. Muss das Darlehen, wie zu lesen war, bis Ende März zurückgezahlt werden?

Es waren 53 Mio. Euro, die zu älteren Darlehen von 48 Mio. Euro hinzukamen und in Wandeldarlehen überführt wurden. Das Darlehen ist unbefristet und der Wandlungszeitpunkt wurde auf Mitte 2021 verschoben.

Frisches Geld sollte auch ein neuer Player einbringen – ein chinesisches Unternehmen, mit dem Sie ein Joint Venture für eine Produktion in China aufziehen wollten. Wie weit sind Sie denn damit – ist das Geld aus China schon eingetroffen?

Das Eigenkapital des chinesischen JV-Partners soll im Mai 2020 bei uns eintreffen. China leidet gerade unter der Corona-Epidemie. Einige Gremien sind deshalb dort noch nicht wieder entscheidungsfähig.

Es ist also noch nicht absehbar, wann die Produktion des e.GO Life in China starten wird?

Wer kann das derzeit schon für China absehen? Oder wollen Sie jetzt dort hinfliegen?  Ich habe im Februar 2018 angefangen, mit den Chinesen zu verhandeln. Und seitdem gab es schon mehrfach Verzögerungen. Wir wollen ja in drei wichtigen Weltregionen, in Europa, Asien und Nordamerika, Werke hochziehen. Bevor wir ein JV starten, muss sichergestellt sein, dass sich der jeweilige Partner an uns mit 3 bis 5 Prozent beteiligt.

Demnächst auch in China und USA
Der e.Go Life sollte eigentlich ab 2021 auch in einem Werk in China produziert werden. Die Corona-Epidemie wirbelt den Zeitplan allerdings kräftig durcheinander. Foto: e.Go Mobile

Das heißt, Sie ziehen jetzt das Nordamerika-Projekt vor? Mit wem reden Sie denn da?

Ob wir Amerika vorziehen, hängt am Fortschritt in China in den nächsten Wochen.  Wir haben dort im Augenblick drei Optionen im Köcher: Wir haben potenzielle Partner in Kanada, in Nordamerika und in Mexiko. Bis Juni wollten wir eigentlich entscheiden.  Insofern rechne ich damit, dass sich auch unsere Nordamerika-Entscheidung um drei, vier Monate verzögert.

Damit können Sie sich auf den Anlauf des Life in Europa konzentrieren. Der war ja auch etwas holprig, unter anderem gab es Probleme mit der Batterie, die nicht wasserdicht war. Sind die Probleme inzwischen alle ausgestanden?

Ja, unsere Supply Chain steht wieder. Wir waren auf die Volatilität der Serien-Supply Chain nicht gut genug vorbereitet.  Aber wir haben das Trouble-Shooting in der Lieferkette schlussendlich ganz gut hinbekommen. Andere hatten dabei ja auch Probleme.

Startaufstellung
Die ersten 648 Exemplare des e.Go Life 60 sind inzwischen auf der Straße. Foto: e.Go Mobile

Wie viele Autos haben Sie denn inzwischen produziert und ausgeliefert?

Wir haben bisher 648 Fahrzeuge verkauft und noch circa 2.600 Vorbestellungen.

Mehr ging nicht?

Nein, wir kamen zunächst mit den Batterien nicht nach und dann fehlten uns die Stellflächen für die fertigen Autos ohne Batterien. Wir haben dann die Neuwagenproduktion unterbrochen, um erst den Bestand abzubauen. Das war, glaube ich im Nachhinein, ein Fehler, weil wir die Supply Chain empfindlich gestört haben.

Vorbestellt waren insgesamt 3300 Fahrzeuge, wenn ich mich recht entsinne.

Ja, die wir, so schnell es geht, in Verkäufe umwandeln. Einen Teil davon konnten wir bisher noch nicht realisieren, weil wir erst ab April 2020 ein Leasing anbieten können. Und das ist speziell für Gewerbekunden sehr wichtig. Und ein Teil der Besteller hätte auch gerne die Version Life 40, die noch nicht homologiert ist. Dafür fehlen uns noch ein paar wenige Prozessschritte.

Es holpert also immer noch.

Eigentlich nicht. Wir wollten in Genf zeigen, was wir noch so alles können.

e.GO Life Concept Cross
Kleiner Bruder des VW Buggy
Mit dem kräftig motorisierten und bulligen e.Go Cross will das Unternehmen prüfen, ob der Markt ein hochwertig veredeltes Derivat des Life aufnimmt. Für über 30.000 Euro. Foto: e.Go Mobile

Einen sportlichen e.GO Life und einen rustikalen Cross fürs Gelände.

Der Cross ist das coolste Elektroauto, das Sie sich vorstellen können: Breit und kräftig, hoch wie ein guter SUV und mit vielen coolen Features.

Wann kommt der Cross auf den Markt?

Anfang April 2021.

Als Aprilscherz?

Auffällig und originell in einer 1000er Limited Edition.

Limited Edition und Kleinserie deuten auf einen hohen Verkaufspreis. Was werden Sie denn für das Auto aufrufen? 30.000 Euro aufwärts?

Ja, in die Richtung geht es schon. Wir wollen mal prüfen, ob der Markt ein hochwertiges veredeltes Derivat annimmt.

Vollautonom und vollelektrisch
Zusammen mit dem Autozulieferer ZF wurde der Kleinbus e.GO Mover entwickelt. Ein erster Testeinsatz soll noch dieses Jahr im Münchner Olympiapark stattfinden. Foto: e.Go Mobile AG

e.GO Mobile hat aber noch mehr zu bieten: Zum Portfolio zählt auch der Mover, ein vollelektrischer, hochautomatisiert fahrender Kleinbus. In Monheim am Rhein kurvt seit kurzem ein solcher Bus durch die Straßen. Den hat allerdings ein französischer Hersteller gebaut. Waren die schneller?

Nein, wir liefern kein langsam fahrendes fahrerloses Transportsystem an. Wir müssen für einen automatisierten Fahrbetrieb unseres Movers zuerst eine M2-Fahrzeug-Homologation und die Straßenfreigaben der Zulieferer erreichen. Dann können wir schrittweise Automatisierungsstufen anbieten. Für uns ist das sonst nicht zielführend.

Immerhin transportiert der Bus von EasyMile Menschen durch die Innenstadt.

Ja, mit 13 km/h. Wir möchten die Etappe des automatisierten, langsam fahrenden FTS überspringen.

Soll heißen: Der e.GO Mover wäre viel besser, weil leistungsfähiger. Aber der fährt noch nicht.

Er fährt zwar, hat aber noch keine Straßenzulassung.

Sie bauen in Aachen Rothe Erde für den e.GO Mover ein neues Werk, wollten erste Fahrzeuge im zweiten Quartal 2020 ausliefern. Wie sieht es denn hier mit dem Timing aus?

Das neue Werk 3 ist fast fertig. Wir bauen im Moment 24 Vorserien-Mover, davon sind 12 schon fertig. Wir wollen die Einzelbetriebserlaubnis im Mai 2020 und die Homologation im September 2020 erreichen. Die finale Serienproduktionsfähigkeit verschiebt sich voraussichtlich bis Anfang 2021, da wir dazu den homologationsbezogenen Design-Freeze brauchen.

Entspannter Beifahrer
Günther Schuh und VW-Chef Herbert Diess im Concept-Car ID. Buggy, der bei e.Go Mobile in Aachen in Kleinserie produziert werden soll. Der Starttermin ist allerdings noch offen. Foto: Rother

Werden wir denn in diesem Jahr auch noch den ID.Buggy auf der Straße sehen? Im vergangenen Jahr wurde die Kooperation von Volkswagen und e.Go Mobile bekannt gegeben – seitdem hat man von dem Projekt nichts mehr gehört.

Das weiß ich nicht, das entscheidet VW. Wir sind mit dem Projekt sehr weit gekommen. Der Launch eines Fun-Cars hat bei VW noch keine hohe Priorität. Sie sollten die Vorfreude auf das Fahrzeug aber nicht erkalten lassen, sondern sich einfach noch ein wenig gedulden. Oder Sie freuen sich schon mal auf den e.GO Life Cross – das ist gewissermaßen der kleine Bruder eines Buggy.

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