Norwegen ist ein Paradies für Anhänger grünen Stroms. Das Land bezieht weniger als ein Prozent seines Bedarfs aus fossilen Kraftwerken. Ansonsten dominiert Wasserkraft mit über 90 Prozent. Das Land exportiert sogar noch eine Menge grünen Stroms, unter anderem zu seinen Nachbarn Schweden und Dänemark sowie nach Deutschland, Großbritannien und in die Niederlande.
Also heile Welt auf Dauer? Die Stromversorger sind da nicht so optimistisch. Zum einen benötigen die Elektrifizierung des Straßenverkehrs und die Produktion von klimaneutralen, synthetischen E-Fuels aus Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid sehr viel Strom. Dazu kommt der Ersatz von fossilen Rohstoffen in der Industrie.
Rasant steigender Strombedarf
Und dann gibt es ein Problem, an das die Wenigsten denken: Der Strombedarf von Rechenzentren steigt mit atemberaubender Geschwindigkeit an, weil Anwendungen der Künstlichen Intelligenz sowie der Handel mit und das Mining von Kryptowährungen extrem zunehmen. Und wie sich der Klimawandel auf die Wasserkraft auswirkt, ist völlig unvorhersehbar.
Nach Ansicht von Norsk Kjernekraft, am 15. Juli 2022 vom privaten norwegischen Öl- und Gasunternehmen M Vest in Bergen gegründet, lässt sich der Mehrbedarf nur mit Kernenergie bewältigen. Das Unternehmen hat bereits Absichtserklärungen mit Rolls-Royce SMR zum Bau von drei Kernkraftwerken, so genannten Small Modular Reactors (SMR), mit einer elektrischen Leistung von jeweils rund 470 Megawatt unterzeichnet. Außerdem sind fünf 300-Megawatt-Anlagen sowie diverse kleinere geplant.
Anlagen mit 470 und 300 Megawatt Leistung
Ob alle realisiert werden ist noch offen. Die Zustimmung zur Kernenergie in Norwegen ist allerdings von nur zwei Prozent im Jahr 2017 auf inzwischen 29 Prozent gestiegen, ergab kürzlich eine Umfrage des französischen Marktforschungsunternehmens Ipsos. Norwegens Energieminister Terje Aasland hat auch bereits eine öffentliche Untersuchung angekündigt, um zu prüfen, ob Kernenergie den norwegischen Strommehrbedarf in 15 bis 20 Jahren decken kann.
„Unser Land wird in den kommenden Jahren viel Strom benötigen, und wir müssen wichtige Entscheidungen darüber treffen, wie viel Natur wir zu opfern bereit sind und was es kosten darf, eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten“, heißt es bei Norsk Kjernekraft. „Kernenergie kann einen positiven Beitrag dazu leisten, die Bürger mit sauberer, zuverlässiger und erschwinglicher Energie zu versorgen.“
Die 470- und 300-Megawatt-Anlagen sollen das Stromnetz stützen. Um die Rechenzentren – bestehende und neue – zuverlässig mit Energie zu versorgen sollen gleich nebenan kleine Kernkraftwerke gebaut werden, wie sie das Unternehmen Last Energy in Washington entwickelt.
Kernreaktoren vom Fließband
Diese Druckwasserreaktoren haben eine Leistung von 20 Megawatt. Sie werden in einer Fabrik komplett zusammengebaut und dann per Schiff und Tieflader zum Ziel transportiert. Dort werden sie auf ein vorbereitetes Fundament gesetzt und mit dem Netz des jeweiligen Rechenzentrums verbunden. Sie können auch Industriebetriebe mit Wärme versorgen, die jetzt noch Erdgas einsetzen. Kernkraftwerke dieser Art sollen innerhalb von 24 Monaten nach Vertragsunterzeichnung fertiggestellt werden. Deren Lebensdauer gibt Last Energy mit 42 Jahren an.
Mit den Gemeinden Aure, Heim und Narvik hat Norsk Kjernekraft Vereinbarungen unterzeichnet, um die technischen, wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Aspekte des Baus eines oder mehrerer SMR auf deren Gebiet zu analysieren. Und für ein Grundstück in der Gemeinde Øygarden, westlich von Bergen, leitete das Unternehmen dieser Tage eine Umweltverträglichkeitsprüfung ein, um die Möglichkeit der Errichtung eines Kernkraftwerks mit bis zu fünf SMR zu prüfen.
Nach Angaben von Norsk Kjernekraft bietet der Standort Platz für fünf SMR-Kraftwerke mit einer elektrischen Leistung von jeweils 300 Megawatt, wie sie das US-Unternehmen GE (General Electric) und sein japanischer Partner Hitachi Nuclear Energy entwickelt hat. Dort könnten 12,5 Terawattstunden pro Jahr produziert werden, was fast zehn Prozent des derzeitigen norwegischen Gesamtstromverbrauchs entspricht.