Siemens Gamesa hat bislang mit Abstand die meisten schwimmenden Windenkraftanlagen gebaut. Derzeit stellt das deutsch-spanische Unternehmen mit Hywind Tampen 150 Kilometer vor der norwegischen Küste den mit elf Generatoren und 88 Megawatt weltweit größten schwimmenden Windenergiepark fertig. Und bislang sah es so aus, als wäre das Projekt nicht mehr zu übertreffen.
Doch Nezzy2 liegt auf der Lauer. Die Windkraftanlage mit zwei Rotoren, die sich an den Spitzen von zwei schräg stehenden Masten drehen, wird, wenn er ausgewachsen ist, eine Nennleistung von 15 Megawatt haben – mehr als jede andere Anlage in der Welt. Bisher ist „Nessy“ lediglich im Maßstab eins zu zehn auf der Ostsee und einem Baggersee in der Nähe von Bremerhaven getestet worden – und alles andere als baden gegangen. Dort hat er im Herbst 2020 dem Tief „Erika“ mit Stürmen der Stärke neun und drei Meter hohen Wellen getrotzt.
Nezzy2 (ausgesprochen: Nessy Quadrat) haben Ingenieure des Unternehmens Aerodyn in Büdelsdorf westlich von Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal entwickelt. Der Name leitet sich von dem legendären Seeungeheuer aus dem schottischen Loch Ness ab). Der windbetriebene schwimmende Stromgenerator ist für beliebige Wassertiefen konzipiert. Ein festes Fundament ist nicht nötig. Er steht auf einem Schwimmer aus Beton-Fertigteilen, der mit Stahlseilen im Meeresgrund verankert ist. Er ist so gestaltet, dass er sich in den Wind dreht, so dass die Rotoren stets mit optimaler Kraft bewegt werden. Nezzy2 in Originalgröße ist nach Angaben des Herstellers für Taifune und 21 Meter hohe Wellen ausgelegt.
EnBW förderte die Entwicklung
Der Karlsruher Energieversorger EnBW hat die Entwicklung der Anlage finanziell begleitet. Jetzt ist der auf der Suche nach einem geeigneten Standort für den ersten Eins-zu-Eins-Prototypen. Ursprünglich sollte er schon in diesem Jahr aufgebaut werden, doch ein Standort vor der chinesischen Küste erwies sich letztlich als ungeeignet.
Insbesondere Länder und Regionen mit tiefen Küstengewässern haben großes Interesse an schwimmenden Windkraft-Anlagen vor der Küste. Hierzu zählen vor allem die US-Westküste, Japan, Südkorea, China, Frankreich, Spanien, Portugal, Norwegen, Schottland und Irland. In einigen dieser Länder gibt es bereits konkrete Pläne für kommerzielle Ausschreibungsverfahren speziell für schwimmende Windparks.
Hohe Auslastung unter allen Bedingungen
Denn in größerer Entfernung vom Festland ist die Auslastung der Mühlen höher als in Küstennähe und erst recht als bei Onshore-Installationen an Land, weil der Wind dort draußen kräftiger und stetiger weht. Volllastbetrieb über 60 Prozent des Jahres ist durchaus erreichbar – das ist doppelt so viel wie landgestützte Generatoren schaffen.
„Bei der Bekämpfung des Klimawandels kommt der Offshore-Windtechnologie eine erhebliche Bedeutung zu“, meint EnBW-Offshore-Windkraft-Expertin Hannah König. „Umso wichtiger ist es, die vielversprechendsten technologischen Ansätze voranzubringen, um dieser Herausforderung gerecht zu werden. Genau hier kommt Nezzy² ins Spiel.“
Schwimmende Windparks überall auf der Welt
Weltweit gibt es aktuell 21 schwimmende Windkraftanlagen und -parks, die meisten davon arbeiten in Europa. Der größte ist Kincardine in der britischen Nordsee mit knapp 50 Megawatt Leistung. Hywind Tampen wird mit der Inbetriebnahme im dritten Quartal 2022 neuer Rekordhalter. Es wird die erste Offshore-Anlage sein, deren Strom nicht an Land fließt, sondern auf See verbraucht wird: Er fließt durch Unterseekabel zu den norwegischen Ölbohr- und -förderplattformen Snorre A und B sowie Gulfaks A, B und C. Der Windstrom soll rund 35 Prozent des Energiebedarfs decken, den die fünf Plattformen haben.
Vorbild ist der schwimmende 30 Megawatt-Windpark Hywind Scotland, der seit 2017 in Betrieb ist und mit fünf Sechs-Megawatt-Mühlen von Siemens ausgestattet ist – damals war die Siemens-Windsparte noch eigenständig. Urahn dieser beiden Windparks ist ein Generator, ebenfalls Hywind genannt, den Siemens und der norwegische Konzern StatoilHydro 2009 zwölf Kilometer südöstlich der Insel Karmøy in Norwegen in einer Wassertiefe von 220 Metern verankerten.