Zum ersten Mal seit Einführung der Offshore-Ausschreibungen hat sich in Deutschland kein Unternehmen um neu ausgewiesene Flächen beworben. Für die beiden Areale N-10.1 und N-10.2 in der Deutschen Nordsee mit zusammen 2.500 MW Leistung gingen bei der Bundesnetzagentur keine Gebote ein. Die Flächen sollen nun 2026 erneut angeboten werden. Wissenschaftler sehen hinter der Zurückhaltung nicht nur hohe Risiken für Investoren, sondern auch grundlegende physikalische Grenzen, die beim massiven Ausbau in der Nordsee stärker sichtbar werden.
Der Bundesverband Windenergie Offshore (BWO) hatte schon vor der Ausschreibung darauf hingewiesen, dass auf den Flächen weniger als 3.000 Volllaststunden erreichbar sein könnten – üblich sind auf der Nordsee 3.500 bis 4.000 Stunden, teils auch mehr. Volllaststunden geben an, wie stark eine Anlage im Jahresmittel ausgelastet ist. Eine Studie der Denkfabrik Agora Energiewende prognostizierte bereits 2020, dass bei einem geplanten Ausbau auf 70 Gigawatt in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) die Auslastung deutlich sinken könnte, auf 3.000 bis 3.300 Stunden. Das würde die Stromerträge und damit die Wirtschaftlichkeit spürbar mindern.
Warum zu viele Windräder zum Problem werden
Grund für die geringeren Erträge sind sogenannte Nachlaufeffekte: Hinter Windparks weht der Wind schwächer, weil die Turbinen der Atmosphäre Energie entziehen. „Wenn sehr viel Turbinenleistung auf relativ wenig Fläche installiert wird, dann wird der Atmosphäre verhältnismäßig viel Windenergie entzogen, um Strom zu erzeugen“, erklärte Axel Kleidon vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie. Der Effekt sei ein „Problem einer begrenzten, wenn auch erneuerbaren Ressource“. Hinter den Anlagen schwäche sich der Wind deutlich ab, insbesondere für windabwärts gelegene Parks. Das reduziere die Volllaststunden und damit die Wirtschaftlichkeit. In der Deutschen Bucht sei dies besonders relevant, weil die neuen Flächen häufig im Schatten großer bestehender Parks wie N-9 lägen.
Nachlaufeffekte über viele Kilometer
Stefan Emeis, ehemaliger Meteorologe am Karlsruher Institut für Technologie, verwies auf Forschungsergebnisse aus Projekten wie WIPAFF und X-Wakes: Bei stabilen Wetterlagen könnten Nachläufe von Offshore-Windparks über mehrere Dutzend Kilometer reichen. „Eine reduzierte Windgeschwindigkeit bedeutet weniger Volllast stunden und damit weniger Ertrag. Eine erhöhte Turbulenz bedeutet eine erhöhte Ermüdung der Windkraftanlagen.“ Besonders bei Südwest- und Südwind – also aus den Hauptwindrichtungen – sei die Nordsee davon betroffen. Anders als an Land würden die Nachläufe auf See durch die glatte Oberfläche kaum abgebaut. Deshalb seien negative Effekte dort wesentlich stärker.
Abhängigkeit von Standort und Planung
Martin Dörenkämper vom Fraunhofer Iwes erklärte, dass es für Investoren letztlich um Erträge und Kosten gehe. Nachlaufeffekte seien zwar bekannt, ließen sich aber in Modellen inzwischen gut abbilden. Bei Zukunftsszenarien blieben „jedoch eine Reihe von offenen Fragen: Etwa wie sich die Windenergieanlagen-Technologie bis zur Realisierung Mitte der 2030er entwickelt, oder ob sich politische Ausbauziele oder -pläne, besonders die Flächenkulisse, in den Nachbarländern verändern“. Entscheidend sei eine langfristig abgestimmte Planung zwischen den Anrainerstaaten. „Wie sich kumulative Nachlaufeffekte im Rahmen der Planungsphase reduzieren lassen, ist Gegenstand aktueller Forschung.“
Potenzial hätten etwa höhere Anlagen, die stärkere Winde in größerer Höhe nutzen, auch wenn diese deutlich teurer seien. Zusätzlich spiele der Netzausbau eine Rolle: Wenn Offshore-Strom nicht abtransportiert werden könne, mindere dies die Erlöse und erhöhe das Risiko für Betreiber. Denn Drosselungen würden nicht immer ideal vergütet. Auch eine schnellere Elektrifizierung der Wirtschaft, die einen höheren Strombedarf erzeugt, würde die Einnahmen der Windparkbetreiber stabilisieren, so Dörenkämper. Solange dies nicht geschehe, seien andere finanzielle Anreize eine Methode, um den Ausbau zu sichern, etwa Contracts for Difference.
Wege zu mehr Wirtschaftlichkeit
Die Forscher sehen mehrere Stellschrauben: Eine geringere Dichte der Turbinen, größere Abstände zwischen Parks oder eine Anordnung, die nicht entlang der Hauptwindrichtung liegt, könnten Erträge stabilisieren. Zudem empfehlen Studien wie eine Untersuchung des Netzbetreibers Elia, Ausbauziele länderübergreifend zu koordinieren, um die verfügbaren Windressourcen effizienter zu nutzen. Doch selbst bei optimierter Planung bleibe die Tatsache bestehen, dass der Ausbau irgendwann physikalische Grenzen erreiche.
„Offensichtlich gehen die Firmen, die sich im Bereich Offshore-Windenergie engagieren, derzeit davon aus, dass es sich nicht lohnt, Windparks in den vorgesehenen Flächen zu den vorgeschriebenen Konditionen zu bauen“, fasste Dörenkämper zusammen. Die misslungene Ausschreibung wird damit auch zum Hinweis auf strukturelle Probleme: Ohne neue Marktmodelle wie Contracts for Difference, einen schnelle ren Netzausbau und eine aktualisierte Flächenplanung könnten weitere Projekte scheitern. Für die Energiewende bedeutet das, dass das Ziel von 30 GW Offshore-Leistung bis 2030 nur mit Anpassungen erreichbar bleibt.
Quelle: energate
