Geht es nach dem Koalitionsvertrag der „Ampel“ aus SPD, Liberalen und Grünen, sollen bis Ende 2030 schon 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sein. Diese Pläne stellen die Betreiber der Stromnetze vor bislang nicht gekannte Herausforderungen. Wie sich eine sichere Ladeinfrastruktur im ländlichen Raum betreiben lässt, hat Netze BW in einem Pilotprojekt 18 Monate lang untersucht. Dabei hat sich herausgestellt: Ohne zusätzliche Maßnahmen wie ein Lademanagement oder Batteriepuffer stößt das Stromnetz schnell an seine Grenzen.

Für die EnBW-Tochter Netze BW ist die „E-Mobility-Chaussee“ schon der dritte Feldversuch zu den Auswirkungen der E-Mobilität auf das Stromnetz. Zuvor hatten bereits die sogenannte E-Mobility-Allee in einem städtischen Straßenzug in Ostfildern sowie das E-Mobility-Carree in einer Tiefgarage in Tamm wichtige Erkenntnisse geliefert.

Spannungsabfall als Problem

Für die E-Mobility-Chaussee fiel die Wahl auf eine Straße mit einem 850 Meter langen Stromkreis in Kusterdingen bei Tübingen. Dort tauschten im Januar 2020 sieben Testkunden ihre Verbrennerautos für 18 Monate gegen Elektroautos vom Typ Renault Zoe und Nissan Leaf ein. Ein Anwohner besaß bereits ein E-Auto. Die Autos verfügten über Ladeleistungen zwischen 4,6 kW und 22 kW. An der Römerstraße in Kusterdingen liegen insgesamt 60 Wohneinheiten mit 42 Hausanschlüssen, 13 Wärmestromanlagen und drei Photovoltaik-Anlagen.

Herausforderung ländlicher Raum
Sehr lange Kabel verbindungen und weite Entfernungen zwischen einzelnen Verbrauchern sorgen dafür, dass die Spannung in den Stromnetzen stärker schwankt – erst recht, wenn von Elektroautos große Strommengen aufgenommen werden. Grafik: NetzeBW

Nach Angaben von Projektleiter Patrick Vasile gibt es in ländlichen Netzen besondere Herausforderungen. „Wir haben sehr, sehr lange Kabel, weitere Entfernungen zwischen einzelnen Verbrauchern zu überbrücken, dementsprechend kann die Spannung in solchen Stromnetzen stärker schwanken als beispielsweise in vorstädtischen Gebieten wie Ostfildern.“ 

In Kusterdingen sollten daher verschiedene technische Möglichkeiten getestet werden, solche Spannungsschwankungen zu vermeiden oder auszugleichen.

Konkret testete Netze BW in Kusterdingen die Auswirkungen von Strangreglern, Batteriespeichern und Lademanagement auf die Stromversorgung.

Strangregler nur bedingt hilfreich

Mit Hilfe der sogenannten Strangregler kann die Spannung innerhalb einer gewissen Bandbreite nachgeregelt werden. Dabei werden Transformatoren elektronisch zu- und abgeschaltet, wie aus einem Produktdatenblatt (PDF) hervorgeht. Laut EnBW-Manager Vasile hat sich gezeigt, dass sich der Strangregler zwar positiv auf die Spannung auswirkt, allerdings kann er nicht die Netzauslastung beeinflussen.

Die Auslastung sei allerdings ein wichtiges Kriterium für die Netzbetreiber, was die Stabilität der Stromnetze betreffe. Daher stellte Netze BW am Ende des Stromkreises noch einen Batteriespeicher auf, der als Netzpuffer dienen sollte. Der Akku verfügte über eine Kapazität von 66 Kilowattstunden (kWh) und eine maximale Leistung von 40 kW. Dabei wurde sowohl ein statischer Betrieb mit fixen als auch ein dynamischer Betrieb mit flexiblen Ladezeiten getestet.

Aufmarsch der Stromer
Für den Feldversuch „E-Mobility-Chaussee“ in Kusterdingen nahe Tübingen stellte Netze BW den Teilnehmern sieben Elektroautos von Nissan und Renault für 18 Monate zur Verfügung – Autos mit AC-Ladeleistungen zwischen 4,6 und 22 kW. Foto: Netze BW

So konnten beim statischen Betrieb nur rund zwei Drittel der Ladevorgänge abgepuffert werden. Zumindest habe sich herausgestellt, dass das Laden des Akkus in den frühen Morgenstunden keine Überlastung des Strangs durch gleichzeitiges Laden der Elektroautos zur Folge habe, betonte der Projektleiter.

Pufferspeicher schnell erschöpft

Beim dynamischen Laden des Pufferspeichers zu flexiblen Zeiten habe sich gezeigt, dass schon das gleichzeitige Laden von zwei Elektroautos zum vollständigen Entladen des zwischengeschalteten Batteriespeichers führt. Zwar hätten alle Ladevorgänge abgepuffert werden können. Allerdings hätten nur werktags die lastschwachen Zeiten gereicht, um den Puffer wieder aufzuladen. Am Wochenende habe das geänderte Kundenverhalten – und Ladevorgänge aller E-Mobile den Speicher zu sehr gestresst. Selbst  nachts stand dann nicht genügend Ladeleistung zur Verfügung.

Ebenso wie bei der Tiefgarage in Tamm hatte Netze BW auch in Kusterdingen ein Lademanagement eingesetzt. Speziell in Tiefgaragen macht diese Technik viel Sinn.  Denn dort hängen die Wallboxen in der Regel hinter einem einzelnen Zähler, so dass sie über Netzwerkkabel sehr flexibel gesteuert werden können. So lässt sich sicherstellen, dass die verfügbare Leistung immer gleichmäßig an die Elektroautos verteilt wird.

Steuerung der Wallboxen per LTE

Um die Wallboxen in den Häusern ansteuern zu können, hat Netze BW jeweils ein Home-Energy-Management-System (HEMS) installiert, das über LTE verbunden war. In der Regel wird dies heutzutage noch über so genannte Rundsteuerempfänger umgesetzt. Künftig sollen Smart-Meter-Gateways die Steuerung der Wallboxen und der Ladeleistungen übernehmen.

In Kusterdingen stand den Testhaushalten jeweils eine Mindestleistung von 5,5 kW zur Verfügung. Überschritt der zulässige Spannungsabfall einen Grenzwert, wurde die Ladeleistung bei bestimmten Wallboxen entsprechend gedrosselt. Projektleiter Vasile räumte ein, dass bei einem simulierten Stresstest – dem gleichzeitigen Laden aller acht Elektroautos in der Straße – das Netz an seine Grenzen gestoßen sei.

Netze sollen transparenter werden

Ein solcher Gleichzeitigkeitsfaktor von 1 ist zwar eher ungewöhnlich – normalerweise rechnet man mit einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 0,6. Doch in Zukunft könnte es durchaus vorkommen, dass 8 von 60 Haushalten gleichzeitig ihr Elektroauto laden. Bei der geplanten Verbreitung von Elektroautos könnte das in fünf bis zehn Jahren aber die Regel werden, speziell in den Abendstunden.

Für die Netzbetreiber bedeutet dies, dass sie ihre Netze auf die stärkeren Belastungen auslegen müssen. Das könnte beispielsweise durch einen Netzausbau geschehen, indem die Trafos verstärkt und Kabel mit größeren Querschnitten verlegt werden. Im ländlichen Raum stellen insbesondere die Übertragungskapazitäten der Freileitungen ein Problem dar: Hohe Ladeleistungen von 22 kW sind darüber oft nicht darstellbar. .

Schneller erschöpft als gedacht
Der Pufferspeicher am Ortsrand sollte helfen, die Spitzenlasten zu glätten. An manchen Wochenenden war die Batterie aber schnell überfordert – wenn sämtliche Elektroautos gleichzeitig an der Wallbox hingen und Strom luden. Foto: Netze BW

Zudem wolle sein Unternehmen das Netz stärker digitalisieren, um dessen Auslastung besser einschätzen zu können, sagte Markus Wunsch, Leiter Netzintegration Elektromobilität bei Netze BW. Auf diese Weise können die Netzbetreiber Lastspitzen besser erkennen und durch das Abschalten oder Drosseln von Verbrauchern reagieren. „Wir sind an vielen Stellen im Niederspannungsnetz oft blind, da wollen wir Sensorik verbauen“, sagte Wunsch. Der Ausbau der Stromnetzes benötige aber Zeit. Umso wichtiger sei deshalb eine Netzoptimierung mithilfe eines intelligenten Lademanagements.

Allerdings stoßen die Pläne für ein solches Lademanagement nicht überall auf Zustimmung.

Gesetzentwurf zu Spitzenglättung zurückgezogen

Denn die Stromlieferanten wollen sich nicht gerne durch den Netzbetreiber vorschreiben lassen, wann sie ihre Kunden mit Strom versorgen dürfen. Wenn nachts viel Wind weht und die Stromlieferanten ihren Kunden günstige Energie liefern wollen, könnte dies an fehlenden Netzkapazitäten scheitern. Diese widerstrebenden Interessen sind zu Beginn dieses Jahres in der Debatte um die sogenannte Spitzenglättung offen zu Tage getreten.

Der Anfang Januar 2021 zurückgezogene Entwurf des Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetzes (SteuVerG) ist seitdem nicht wieder neu aufgelegt worden. Auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SPD findet sich kein Passus zur Spitzenglättung oder anderen gesetzlichen Regelungen in diesem Bereich.

Ampel“ will bi-direktionales Laden ermöglichen

Neben dem Lastmanagement könnten aber noch andere „netzdienliche“ Maßnahmen einen Netzbau verzichtbar machen. Beispielsweise die Installation einer Photovoltaikanlage, die mit einem Batteriespeicher verbunden wird. Gerade im ländlichen Raum wäre das auf vielen Dächern von Eigenheimen einfacher umsetzbar als bei Mehrfamilienhäusern in der Stadt.

Hilfe könnte auch das bidirektionale Laden bringen – die Nutzung der Fahrzeug-Akkus als mobile Stromspeicher. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir werden bidirektionales Laden ermöglichen.“ Auf Anfrage, welche technischen und regulatorischen Voraussetzungen dafür noch erforderlich sind, teilte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit: „Die technischen Voraussetzungen sind grundsätzlich weitestgehend geschaffen, es gibt auch ausgewählte Fahrzeugmodelle, die das bidirektionale Laden heute schon unterstützen. Regulatorisch und bei der Standardisierung braucht es allerdings noch Anpassungen. Vor allem gibt es bisher nur proprietäre Standards. Zudem müssen Smart Meter Gateway (SMGW) inklusive Steuerungseinheit entsprechend ausgelegt, verfügbar und kosteneffizient sein.“ Im März 2021 hatte ein Gericht den Zwangsrollout der vernetzten Stromzähler vorläufig gestoppt.

Neuer ISO-Standard geplant

Rechtlich müsse nach Angaben des BDEW eine präventive netzdienliche Steuerung im Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnGW) geregelt werden, was mit dem SteuVerG geplant gewesen war. Zudem müsse man die prozessuale Abstimmung zwischen Kunden, Netzbetreibern, Lieferanten und Aggregatoren klären. „Mit der Finalisierung und einer flächendeckenden Implementierung von Smart Meter Gateways und des Kommunikationsstandards ISO 15118-20 wird das bidirektionale Laden zukünftig sowohl AC- als auch DC-seitig möglich sein“, hieß es weiter.

Nur bedingt hilfreich
Mit Hilfe von Strangreglern kann die Spannung im Netz innerhalb einer gewissen Bandbreite nachgeregelt werden. Foto: NetzeBW

Wie kaum anders zu erwarten war, haben die Elektroauto-Fahrer von den drei getesteten Lösungen und den aufgetretenen Problemen wenig mitbekommen. Das betrifft vor allem das Lademanagement. Nur die Hälfte habe überhaupt bemerkt, dass die Ladeleistung zeitweise reduziert worden sei. Kein einziger Fahrer habe sich beim Ladekomfort und im Mobilitätsverhalten eingeschränkt gefühlt, ergab eine Befragung.

Wallboxen sollen angemeldet werden

Der Feldversuch mit der E-Mobility-Chaussee macht deutlich, dass ein Lademanagement im ländlichen Raum ebenso wie in einer städtischen Tiefgarage schnell erforderlich wird, wenn zu viele Nutzer gleichzeitig laden wollen. Allerdings ist eine solche Steuerung technisch und regulatorisch deutlich schwieriger umzusetzen als bei einem einzelnen Stromanschluss.

Neben anderen Maßnahmen wie Strangregler und Batteriepuffer könnten die Netzbetreiber auch vorübergehend nur Wallboxen mit geringeren Leistungen genehmigen. Selbst eine Begrenzung auf 11 kW könnte schon Belastungsspitzen reduzieren. Doch wichtig ist für die Betreiber vor allem, dass die Wallboxen überhaupt angemeldet werden. So habe die Dunkelziffer früher bei bis zu 80 Prozent gelegen, während sie nun auf 10 bis 20 Prozent gesunken sei, sagte Wunsch. Eine Wallbox, die dem Netzbetreiber nicht bekannt ist, kann schließlich nicht in ein Lademanagement eingebunden werden.

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