Wenn alle gleichzeitig ihr Elektroauto laden, fliegt die Sicherung raus: Dieses Vorurteil hält sich hartnäckig. In der Tat können Elektroautos eine Herausforderung für das Stromnetz sein. Doch wie realistisch ist solch ein Worst-Case-Szenario wirklich, wenn in einem Wohnblock zehn Elektroautos gleichzeitig laden wollen?
Der Energieversorger EnBW und sein Verteilnetzbetreiber NetzeBW wollen genau das herausfinden. Deshalb haben die Unternehmen im Mai 2018 einen besonderen Feldversuch gestartet. Aus der Belchenstraße in Ostfildern-Ruit nahe Stuttgart wurde kurzerhand die „E-Mobility-Allee“: Die Bewohner bekamen zehn Elektroautos samt Wallbox gestellt. Sie sollen die Autos im Alltag benutzen und so wichtige Erkenntnisse liefern, welche Auswirkungen das reale Ladeverhalten auf das Stromnetz hat.
Die Belchenstraße hat NetzeBW ganz bewusst ausgewählt. Ostfildern liegt im Speckgürtel von Stuttgart, die besagte Straße am Ortsrand des Stadteil Ruit, quasi am Übergang zu den Feldern. Die meist Reihen- und Mehrfamilienhäuser wurden in den 1980er Jahren erbaut und werden – wichtig für den Versuch – von einem Stromkreis mit Elektrizität versorgt. Und: Unter den zehn Familien, die am Versuch teilnehmen, sind viele Pendler mit einer täglichen Fahrstrecke von 30 bis 40 Kilometern. Da EnBW diese Klientel bald in seinem gesamten Versorgungsgebiet erwartet, steht diese Gruppe im Fokus.
Netzbelastung geringer als befürchtet
Und haben die zur Verfügung gestellten Renault Zoë, BMW i3, VW e-Golf und Telsa Model S schon für einen Blackout gesorgt? Schließlich können die verbauten Wallboxen bis zu 22 kW an die Autos abgeben – mehr als die meisten Ladegeräte in den Autos aufnehmen können. „Erste Zwischenergebnisse zeigen, dass die Gleichzeitigkeit offenbar nicht so hoch wie erwartet ist“, sagt Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer bei NetzeBW, in einem Interview mit dem VDE.“ Bisher haben nie mehr als vier der zehn Fahrzeuge zeitgleich geladen. Dadurch ist die Netzbelastung auch weniger hoch als befürchtet.“
Zudem hat der Verteilnetzbetreiber in der nahe gelegenen Trafo-Station ein eigens entwickeltes Messsystem eingebaut. „Das System überwacht die Netzbelastung und soll künftig als Teil eines Frühwarnsystems für Elektromobilität helfen, mehr Transparenz in unserem Niederspannungsnetz zu schaffen, um so frühzeitig steigende Belastungen zu erkennen“, erklärt Konermann. In einem zweiten Schritt sollen auch andere Möglichkeitetn getestet werden, mit denen das Netz stabilisiert werden kann – etwa ein Batteriespeicher, der mit einem Lademanagementsystem die Lastspitzen im Netz vermeiden soll, falls doch mal mehrere Autos gleichzeitig laden.
Die Erkenntnisse aus der „E-Mobility-Allee“ werden NetzeBW und auch anderen Netz-Betreibern helfen, das Niederspannungsnetz (das die Wohngebiete versorgt) auf den künftigen Bedarf anzupassen. Und unnötige Kosten zu vermeiden. Das Niederspannungsnetz fürs Heimladen ist allerdings nicht die einzige Baustelle für die Netzbetreiber: „In der Mittelspannung sind es eher Schnellladestationen und größere Ladeparks an einzelnen Standorten, zum Beispiel für Fahrzeugflotten“, sagt Konermann. „Wir rechnen in beiden Netzebenen mit einer steigenden Belastung.“
Der Versuch in der Belchenstraße sollte ursprünglich schon im November beendet sein. Doch dann hat EnBW die Aktion verlängert – die Informationen aus der kalten Jahreszeit mit einem womöglich anderen Ladeverhalten waren zu verlockend. Im Frühjahr werden die Wallboxen und Autos wieder eingesammelt. Wir sind auf die Endauswertung der Daten gespannt!