Kostenlose Energie den ganzen Tag. Die Sonne liefert pro Jahr eine Energiemenge von 1,5*1018 auf die Erdoberfläche – das entspricht ungefähr dem 10.000-Fachen dessen, was die Menschen benötigen: Laut CIA World Factbook werden jedes Jahr weltweit rund 21 Billionen Kilowattstunden Strom verbraucht.
Woher soll der Strom kommen, wenn er klimaneutral sein soll? Idealerweise natürlich von der Sonne. Kleiner Nachteil bei unserem sich drehenden Planeten: Es scheint nicht zu jeder Uhrzeit die Sonne an jedem Ort. Schade, sonst wären PV-Anlagen noch effizienter.
Genau das will das Start-up Virtus Solis aus Detroit im US-Bundesstadt Michigan ändern und ein Solarkraftwerk im Weltall montieren. „Dort scheint die Sonne jeden Tag zu jeder Stunde“, sagt John Bucknell, der CEO von Virtus Solis. Zudem sei oberhalb der Erdatmosphäre die Sonneneinstrahlung bis zu 40 Prozent intensiver als auf der Erde. Damit steigt die Effizienz der Solaranlage im All auf das Fünf- bis Zwanzigfache einer PV-Anlage auf dem Hausdach. Vor allem in nördlichen Regionen lässt sich damit ganz ohne Verschattung permanent Energie gewinnen.
Seit fünf Jahren plant der frühere GM- und Chrysler-Ingenieur mit seinem Team die Energiewende im All. Virtus Solis will Millionen von modularen Solarsatelliten in den Weltraum schießen und sie dort mit Roboter-Satelliten wie Legosteine zu einem riesigen Sonnenschild zusammenstecken. Die Solarsatelliten kommen ohne Flüssigkeiten und bewegliche Teile aus und sind auf eine Haltbarkeit von 40 Jahren konzipiert.
Solarfelder in 35.000 Kilometer Entfernung
Je nach Anzahl der Module kann das Solarfeld in einer Höhe von 35.000 Kilometer über der Erde mit den Micro-Satelliten zwischen 500 Metern und 9 Kilometer (!) groß sein. Mit einer wiederverwendbaren Transportrakete ließen sich 25.000 Pakete ins All transportieren, daraus entstehen anschließend 100.000 Solarpanele. Die einzelnen Module werden in einander geklickt und vernetzt. Jeder Mini-Satellit mit einer Größe von 1,65 Metern kann ein Kilowatt Leistung zur Erde transportieren, Solarfelder bis zu 20 Gigawatt hält der Unternehmensgründer für möglich.
Diese PV-Module nehmen die Sonnenstrahlen auf und wandelt sie in Energie um. Dabei wird das Sonnenlicht in Mikrowellen gewandelt und zur Erde geschickt. Dort lassen sich die Mikrowellen wiederum in Energie transformieren. Die Stromverbindungen sind aber nur halb so stark wie das Sonnenlicht, eine Gefahr beim Transport bestehe nicht.
„Im Grunde handelt es sich um ein Prinzip, das seit Jahren schon mit Telekommunikationssatelliten funktioniert“, erklärt John Bucknell. Die Energieübertragung ähnle einem Mobiltelefon – nur eben mit deutlich mehr Antennen. Dabei bündeln sich die „phased Arrays“ aus vielen einzelnen Antennen zu einem schmalen Strahl. Weder Flugzeuge, Satelliten noch der Funkverkehr sollen bei der Übertragung beeinträchtigt werden, ebenso seien die Wellen für Menschen ungefährlich.
Grundstationen fangen die Energie auf. In der hochelliptischen Molnija-Orbit-Umlaufbahn sollen die Satelliten bis zu zwölf Stunden weitgehend stationär über einem bestimmten Gebiet der Erde verharren. Mit zwei Grundstationen lässt sich damit nahezu 24 Stunden am Stück Energie übertragen.
SpaceX-Raketen senken die Transportkosten
Die Idee zu Solarfarmen im Weltall hatte übrigens vor rund 80 Jahren schon der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov. In seinem, 1941 erschienenen Werk „Reason“ beschrieb der amerikanische Biochemiker die zukunftsweisende Energiegewinnung in fernen Galaxien. Und die Europäische Raumfahrtbehörde ESA arbeitet im Rahmen des Projekts Solaris seit zwei Jahren an Konzeptstudien für kommerzielle weltraumgestützte Solarkraftwerke. Doch bisher konnte niemand die dafür nötige Infrastruktur im All aufbauen: Zu weit und zu teuer.
Mit den wiederverwendbaren Falcon-Heavy-Raketen oder Starship/Super Heavy von SpaceX sind zumindest die Kosten für den Transport drastisch gesunken. Wer will, kann mittlerweile zweimal pro Woche seine Ladung ins All schießen lassen. Mit den Raketen kennt sich John Buchknell aus: Zuvor entwickelte der 53-Jährige Inhaber von 56 US-Patenten das Raptor-Triebwerk bei SpaceX.
„Unser hypermodulares System ist so konzipiert, dass es in jede Nutzlastbucht einer Trägerrakete passt, aber bei der Masse, die gestartet werden soll, sind die niedrigsten Startkosten erwünscht“, erklärt John Bucknell. Bislang sind die Falcon Heavy und die Starship/Super Heavy von SpaceX aufgrund ihrer Wiederverwendbarkeit die zwei kostengünstigsten Startplattformen.
Und auch die Halbleiter wurden in den vergangenen Jahren so günstig, dass ein Leiterplatten-Modul weit weniger kosten soll als ein Laptop. Bei der Montage im Weltall sollen künftig Roboter helfen. „Die Kosten sind gering, die Anlagen sind frei skalierbar, sicher und vor allem sauber. Unser System kann mit allen anderen Energieformen locker konkurrieren“, erklärte Bucknell kürzlich bei einem BMW-Panel während der New York Climate Week. Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energiequellen übertragen die Satelliten nahezu rund um die Uhr Energie. Defekte Platten sollen dabei mit Robotern ausgetauscht und vor Ort recycelt werden – damit kein unnötiger Weltraumschrott anfällt.
Keine Spinnerei
Der Wettlauf um die Energie im Weltall hat längst begonnen: Neben Virtus Solis tummeln sich noch weitere Unternehmen im Weltall, um Strom zu gewinnen, wie Caltech, Space Solar aus Großbritannien oder – wie gesagt – auch die ESA. Eine experimentelle Sendelizenz hat Virtus Solis von der Federal Communication Commission von Michigan schon erhalten, eine kommerzielle Lizenz soll bald folgen.
Allerdings sind Kosten und Effizienz des Mega-Projekts bisher nicht genau umrissen. Vor allem die Kosten für Montage und Wartung lassen sich kaum abschätzen. Zwischen fünf- und achtmal mehr soll die PV-Anlage pro Kilowatt Leistung im Vergleich zu einer herkömmlichen Anlage auf der Erde kosten. Eine 100-Megawatt-Anlage käme damit auf rund 1,5 Milliarden Dollar, eine 1.500-Megawatt-Anlage auf rund 3 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Ein modernes Atomkraftwerk mit einer ähnlichen Leistung verursacht Baukosten von mindestens rund 30 Milliarden. Im Verhältnis dazu sein die Orbit-Lösung ein Schnäppchen – und ganz ohne Atommüll.
Auch wenn die NASA Anfang 2024 einen Bericht veröffentlichte, in dem sie die Fähigkeit der orbitalen Stromgewinnung anzweifelt, setzt Virtus Solis voll auf seine Technologie. „Die Architektur von Virtus Solis ist auf Massenfertigungstechniken angewiesen, um die Kosten unter Kontrolle zu halten. Daher stellt Entwicklung der Lieferkette bisher die größte Herausforderung dar“, erklärt Bucknell.
Bis 2027 soll ein Pilotkraftwerk mit 100 kW Leistung entstehen. Die erste Einheit wird aus 217 Modulen ein Solarpanel mit einer Spannweite von 28 Metern entstehen. 2030 wird dann die erste Anlage mit 100 Megawatt folgen. Die BMW-Tochter Mini unterstützt Virtus Solis mit seiner Start-up-Förderung UrbanX. Firmengründer Bucknell plant langfristig 400.000 Satelliten und tausend Bodenstationen, um die Strahlen auf der Erde in Energie umzuwandeln – mit der Kraft der Sonne.