Welche Bedeutung die Bundesregierung ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie beimisst, ließ sich schon daran anerkennen, dass gleich vier Bundesminister nach dem Beschluss im Kabinett vor die Presse traten. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von der größten Innovation der Energiewende seit dem EEG. „Es ist ein Quantensprung“, so der Minister. Die Strategie bezeichnete er als Gemeinschaftswerk der Ressorts. Die hatten in den vergangenen Monaten zum Teil heftig um das Papier gerungen. Nun will die Bundesregierung den Blick nach vorn richten. In den kommenden Jahren will sie die Wasserstoffinfrastruktur im Land massiv ausbauen, sich auch in Europa und weltweit um die Entwicklung der Technologie kümmern. Rund 9 Mrd. Euro an Fördergeldern soll es geben.
„Wasserstoff ist der Schlüsselrohstoff für die Energiewende“, so Altmaier. Deutsche Unternehmen sollen nach seinem Willen zu führenden Technologieanbietern werden. Bundesumweltministerien Svenja Schulze (SPD) betonte, Wasserstoff biete die Chance, Industrie und Klimaschutz zu verbinden. Ihr Haus hatte lange mit dem Wirtschaftsministerium um die Frage gerungen, welche Rolle CO2-freier Wasserstoff etwa aus Erdgas in der Strategie spielen soll. Die Bundesregierung räumt ihm nun eine Übergangsfunktion ein. Bei den Einsatzmöglichkeiten priorisiert die Strategie die Industrie – etwa die Stahlbranche sowie Teile des Verkehrs, weniger den Wärmemarkt.
Erste Wasserstoffpartnerschaft mit Marokko
Dennoch werden die Möglichkeiten, grünen Wasserstoff im Inland zu erzeugen, den Bedarf nicht decken können. Aktuell ist geplant, die Produktionskapazitäten auf 10.000 MW bis 2040 auszubauen. Die weitaus größere Menge des neuen Wunderstoffes wird also aus dem Ausland kommen müssen.
„Ohne die Sonne Afrikas ist das alles nicht möglich“, sagte daher Gerd Müller (CSU), Bundesminister für Entwicklungszusammenarbeit. Ebenso wie Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) setzt er sich für den Aufbau von Partnerschaften mit nordafrikanischen Staaten ein, in denen grüner Wasserstoff für Europa mit Solarenergie entstehen soll. Zeitgleich mit der Verabschiedung der Wasserstoffstrategie unterzeichnete Müller daher eine Vereinbarung mit der marokkanischen Regierung zum Aufbau einer Anlage für die industrielle Produktion von Wasserstoff. Das entsprechende Solarkraftwerk steht dort bereits. Der produzierte Wasserstoff soll allerdings nicht exportiert, sondern im Land verwendet werden.
Energieverbände fordern schnelle Umsetzung
Unternehmen aus verschiedenen Branchen hatten bereits seit Monaten auf die Verabschiedung des Papiers gedrungen, das ursprünglich für Ende 2019 angekündigt war. „Mit der Strategie zeigt die Bundesregierung, dass leitungsgebundene, gasförmige Energieträger ein zentraler Baustein der Energiewende und für das Erreichen der Klimaschutzziele sind“, sagte Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. In der Umsetzung müsse nun Tempo gemacht werden.
In die Erleichterung über den Beschluss mischte sich auch Kritik, etwa vom VKU. Der Stadtwerkeverband bemängelt, dass dem Papier der Fokus auf dezentrale Projekte fehle. „Beim Thema Wasserstoff dürfen wir nicht nur an Sahara- und Rub-al-Chali-Wüste denken, sondern auch an heimische Regionen wie Ruhrgebiet und Rheingau“, erklärte Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) fehlt in der Strategie ein Konzept für die Entwicklung eines Marktes für grünen Wasserstoff. Positiv bewertet der Verband die Absicht, den Strom für die Elektrolyse von der EEG-Umlage zu befreien.
Gasbranche fordert regulatorischen Rahmen
Die Gasbranche nahm den Strategiebeschluss überwiegend positiv auf. „Er ist in vielen Aspekten der lang erwartete Durchbruch für Wasserstoff und bietet eine Perspektive für die deutsche Wirtschaft in der Zeit nach der Krise“, sagte Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW. Die Bundesregierung müsse nun regulatorische Hindernisse für den Einsatz von Wasserstoff aus dem Weg räumen. Sebastian Bleschke, Geschäftsführer der Initiative Erdgasspeicher (Ines), plädierte dabei für einen Stakeholder-Dialog, um „Regulierungsansätze zu diskutieren, die der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes dienlich sind.“ Es gehe dabei um die Wechselwirkungen zwischen Netzen und Gasspeichern.
Die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber verweisen darauf, dass der vorgesehene Markthochlauf beim Wasserstoff nur gelinge, wenn zeitnah eine entsprechende Wasserstofftransportinfrastruktur aufgebaut werde. Die Brancheninitiative Zukunft Erdgas wertete den Beschluss auch als Zeichen, dass sich die Bundesregierung von der Utopie der „Vollelektrifizierung“ verabschiedet habe. Aus Sicht von Vorstand Timm Kehler greift allerdings der Fokus auf grünen Wasserstoff zu kurz. Nur durch einen technologieoffenen Ansatz ließen sich die benötigten großen Mengen an Wasserstoff zum besten Preis erzeugen.