Windenergieanlagen (WEA) sind fest im Boden verankert. Ihre drei Flügel drehen gemächlich im Wind. Ein in Deutschland längst gewohntes Bild, das sich langsam verändert. Auf dem Meer lernen die WEA schwimmen- und an Land nun auch das Fliegen. Einer der ersten dieser „Luftstrom“-Pioniere ist Alexander Bormann. Der Gründer und CEO von EnerKite will Ende 2022 Prototypen auf den Markt bringen. Mit 100 Kilowatt (kW) Leistung ist seine Anlage im Vergleich zu den fest am Boden verhafteten Geschwistern zwar noch ein Zwerg. Doch mit ihr soll auch erst einmal nur die Stabilität und Bedienbarkeit der Technik unter Beweis gestellt werden. Läuft alles wie geplant, startet 2024 die Serienproduktion.

Flugwindkraftanlagen nutzen die starken und stetigen Winde in mehreren hundert Metern Höhen – dort, wo  herkömmliche Windräder niemals hinreichen. So können die Kraftwerke der Lüfte auch dann noch Strom produzieren, wenn sich am Boden kein Lüftchen mehr bewegt. Nach Angaben von Bormann bringen sie es auf beeindruckende 4000 bis 6000 Volllaststunden.

Windenergieanlagen sind mobil einsetzbar

Das System von EnerKite besteht nur aus einem Drachen, drei Seilen und einem Steuerungscontainer – und kommt damit ohne Beton und große Mengen Stahl aus, die normalerweise für den Bau eines Onshore-Windkraftwerks erforderlich ist . Nach Unternehmensangaben werden damit schon einmal 90 Prozent der Ressourcen eingespart. CEO Bormann taxiert die Stromgestehungskosten bei der kleinen 100 kW-Anlage auf 10 Cent je Kilowattstunde. Bei der geplanten nächstgrößeren Variante von 500 kW sollen die Kosten bereits auf etwa fünf Cent sinken. Außerdem ist die an einem Container befestigte Anlage flexibel: Ist der Standort ungünstig, kann das ganze System einfach umziehen.

Startklar zum Testflug
Der Winddrache von EnerKite ist über einen Ausleger mit dem Stromgenerator verbunden, der in einem alten Feuerwehrauto montiert ist. Sobald genügend Wind vorhanden ist, steigt er an einer Leine mehrere hundert Meter in die Höhe. Foto: EnerKite

„Flugwind funktioniert nicht nur, weil in der Höhe der Wind stärker weht, sondern weil wir die Anlage so auszurichten, dass wir schon bei geringen Windgeschwindigkeiten hohe Leistungen haben“, erklärt Bormann. Für ihn geht es nicht nur um eine neue Technik. Ihm geht es auch darum, „das Energiesystem von morgen“ zu bedienen. „Der Strom muss dort produziert werden, wo man ihn braucht und wann man ihn braucht.“

So können die Wind-Drachen Unternehmen mit günstigem Strom versorgen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge netzunabhängig mit Strom machen. Einen weltweiten Bedarf sieht Bormann auch im klimaneutralen Ersatz von Diesel-Generatoren. Den globalen Markt für seine noch kleine fliegende Windkraftanlage beziffert der promovierte Luft-und Raumfahrtechniker auf jährlich 130.000 Stück. „Da wollen wir einsteigen.“

Auch Google forscht am Stromdrachen

Die Zukunft liegt auch bei den fliegenden WEA im Megawattbereich. Wann der CEO aus dem brandenburgischen Kleinmachnow, südwestlich von Berlin, diesen Schritt machen kann, ist noch offen. Für die Hochskallierung braucht Bormann Kapital. Risikofreudige Investoren, die einen langen Atem haben, stehen weder bei ihm noch bei anderen Start-ups Schlange. Etwa zehn Millionen Euro sind bisher in die Entwicklung geflossen. In diesem Jahr will Bormann noch mindestens zwei Millionen „einsammeln“ – sechs Millionen werden bis zur Serienfertigung benötigt.

Es braucht nicht unbedingt mächtige Rotoren auf riesigen Stahlmasten, um Windenergie zu ernten – leichte Drachen an dünnen Seilen schaffen das auch. Windenergie

Und die Zeit drängt. EnerKite sitzt die Konkurrenz im Nacken. Weltweit sollen sich etwa 70 Unternehmen mit der Entwicklung der Flugwindenergie befassen, in Europa etwa ein Dutzend Start-ups und Universitäten. Selbst die renommierte  ETH Zürich und auch Google forschen daran. Der Tech-Gigant aus den USA hat weit weniger Schwierigkeiten mit der Finanzierung. Seit Google respektive Alphabet 2013 das US-amerikanische Flugwindunternehmen Makani Power übernahm, sollen rund 30 Millionen US-Dollar in die Entwicklung geflossen sein. Inzwischen ist das Unternehmen jedoch aus Kostengründen wieder aus Alphabet ausgegliedert worden. Angeblich prüft Shell, sich an dem Unternehmen zu beteiligen.

Segelflieger zur Stromerzeugung
In Irland testet das niederländische Unternehmen Ampyx Power mit Unterstützung von RWE und der Europäischen Weltraumagentur ESA, welchen Beitrag „Airborne Wind Energy“-Systeme zur Stromerzeugung leisten können. Foto: Ampyx

Denn das Potential der fliegenden WEA ist beeindruckend. Wissenschaftler der University of Delaware kamen bei ihren Berechnungen auf eine theoretisch nutzbare Energie von mehreren Terawatt Leistung.

Im Nordwesten Irlands baut RWE ein Testzentrum, um eine 100 kW-Flugwindkraftanlage von Ampyx Power zu testen. Weitere sollen folgen. „Ziel ist es, neben technischer Anwendungserfahrung vor allem ein besseres Verständnis zu gewinnen, wie sich die verschiedenen technologischen Konzepte für eine spätere kommerzielle Anwendung skalieren lassen“, erklärt Sarah Knauber von RWE Renewables auf Anfrage von EDISON. „Flugwindkraftanlagen erbringen derzeit Leistungen von einigen hundert Kilowatt. Weiterentwicklungen versprechen aber Leistungen im Megawattbereich und würden damit die Technologie auch für den kommerziellen Einsatz in großen Windparks attraktiv machen – sowohl onshore als auch offshore.“

30 Quadratmeter großes Flügelsystem am Halteseil

Während bei den bisher bekannten WEA der Aufbau immer identisch ist, sehen die fliegenden Varianten jedes Unternehmens ein wenig anders aus. Identisch ist das Prinzip, dass durch Zugkraft Strom erzeugt. Das Konzept der Niederländer basiert auf einem Segelflugzeugdesign. Das EnerKite-System erinnert dagegen eher an den Drachen aus der Kindheit. Steigt das etwa 30 Quadratmeter große Flügelsystem in die Höhe, wird mittels Zugkraft ein Halteseil abgewickelt, das an einer Winde am Boden befestigt ist. Die Seiltrommel dreht sich und der am Boden stehende Generator wird angetrieben und erzeugt Strom. Hat der Flugdrachen seine maximale Höhe erreicht, gleitet er in einer zweiten Phase wieder nach unten –  das Seil rollt sich wieder auf und der Zyklus beginnt von neuem.

Luftstrom-Pionier
EnerKite-Gründer Alexander Bormann will 2022 mit der Vermarktung seines Systems beginnen. Foto: EnerKite

Flughöhen von 300 Meter sind damit möglich. Aber nicht immer sinnvoll. Die autonome Steuerung regelt den zyklischen Ablauf, begrenzt die Lastspitzen und passt den Flugpfad an die sich ändernden Windbedingungen an, um so die Effizienz zu erhöhen. „Wir mussten in vielen Bereich Neuland betreten“, erklärt Bormann, der mit einem großen Energieversorger aus Frankreich zusammenarbeitet, um die Prototypen zu testen. Denn sein Wissen aus der Luftfahrt war nur zum Teil übertragbar, weil sich die auftretenden Kräfte eines rotierenden Flügels beim Start völlig anders verhalten, als die bei einem Flugzeug.

In einem Verbundprojekt mit der BTU Cottbus-Senftenberg und dem Fraunhofer Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) soll das Gewicht von Seilwinde, Mast und Flügel noch verringert werden, um möglichst wenig Energie für die Überwindung der Masseträgheit zu verschwenden. Das Fachgebiet Polymerbasierter Leichtbau der BTU Cottbus ist deutschlandweit führend in der Bearbeitungstiefe von nachhaltigen Leichtbaulösungen und arbeitet nicht nur mit Start-ups, sondern auch mit Konzernen wie BMW und Rolls Royce zusammen

Künstliche Intelligenz soll den Bau optimieren

„Wir verwenden Faserverbundstoffe, die leicht sind, aber über eine hohe Steifigkeit verfügen“, erklärt Marcello Ambrosio vom IAP. Gewichtsreduzierungen von 20 bis 30 Prozent hält der Leichtbauingenieur damit für realistisch. Essentiell ist, die Faser exakt in Lastrichtung auszulegen. Minimale Abweichung von fünf Grad würden bereits Leistungseinbußen von bis zu 30 Prozent bedeuten.

Die Berechnungen übernehmen KI-gestützte Algorithmen, das Verlegen ein Legeroboter (Automated Fiber Placement), der bisher hauptsächlich in der Luftfahrtindustrie zum Einsatz kommt. Bei den Herstellern von WEA wird diese Tätigkeit oft noch per Hand oder nur teilautomatisiert ausgeführt, was nicht nur zeitaufwändig, sondern auch fehlerbehaftet ist. „Der Legeroboter erhöht die Qualität der Bauteile deutlich und sinkt die Produktionszeit, was zu einer Kostenreduktion führt“, erklärt Ambrosio die Vorteile. Entwickelt wird zurzeit noch die Fügetechnologie – „insbesondere bei Faserverbundstoffen ist das nicht trivial.“ Getestet werden die Entwicklungen anschließend an einer kleinen Pilotanlage von EnerKite, bevor die Komponenten für den MW-Bereich hochskaliert werden.

Aber nicht immer ist leichter auch besser. Abhängig ist dies von den Anforderungen. Anders als bei metallischen Werkstoffen biegen steife Faserverbundstoffe nicht, sondern sie brechen schlagartig. Passiert dies an dem Mast, an dem der Wind-Drachen von EnerKite hängt, könnte er wegfliegen und zu einer Gefahr werden. Sicherheit soll ein Multi-Material-Design bieten –  eine Kombination von artfremden Werkstoffen wie Faserkunststoffverbund mit Metall, das eine höhere Verformbarkeit aufweist und somit dynamische Beanspruchungen besser standhält. Damit würde der Mast nicht brechen, sondern nur abknicken.

Ambrosio: „Wir als Faserverbundler bauen uns unsere Werkstoffe selbst. Immer angepasst auf die Anwendungen und die benötigten Eigenschaften.“

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