Seit Februar 2024 kümmert sich beim Berliner Gasimporteur Sefe eine eigene Abteilung um den Aufbau des Wasserstoffbereichs. Als internationales Energieunternehmen mit 25 Prozent der Erdgasspeicherkapazität in Deutschland, zehn Prozent der gesamten Pipelinelänge des deutschen (Fernleitungs-) Gasnetzes und einem diversifizierten Beschaffungsportfolio, spielt die SEFE-Gruppe nach eigenen Angaben bereits heute eine entscheidende Rolle beim Auf- und Ausbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Wir sprachen mit dem Leiter Hans Dieter Hermes über die schwierige Lage im Wasserstoffmarkt und die Bemühung des Unternehmens, den Hochlauf voranzutreiben.
Herr Hermes, 2024 war kein gutes Jahr für den Wasserstoffhochlauf. Mehrere Projekte wurden zurückgestellt. Rudert Sefe jetzt auch bei den Wasserstoffzielen zurück?
Nein, denn ohne Wasserstoff und saubere Moleküle in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen wird es nicht gelingen, die deutsche und europäische Industrie zu transformieren und Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Wir müssen jetzt das Momentum, das durch die Entscheidung für das Kernnetz entstanden ist, aufrechterhalten und ausbauen. Dafür stellen wir uns langfristig auf, denn der Wasserstoffhochlauf und die gesamte Energiewende ist kein kurzfristiges Projekt. Wir planen heute schon für die 2030er und 40er Jahre.

Der promovierte Ingenieur der Energietechnik leitet seit Februar 2024 im erweiterten Führungsteam der SEFE Securing Energy for Europe (SEFE)-Gruppe als Executive Vice President Hydrogen Accelerator die Wasserstoff-Aktivitäten. Zuvor war Hermes in verschiedenen Führungspositionen bei Vattenfall tätig. Zuletzt arbeitete er für das australische Ingenieurunternehmen Worley.
Foto: Sefe
Wie stark beunruhigen Sie Ankündigungen von Shell, Equinor und jetzt auch BP, womöglich länger an Erdöl und Erdgas festhalten zu wollen? Ein fatales Signal für den Markt?
Wir kommentieren Entscheidungen von anderen Marktteilnehmern nicht. Wichtig ist, die Energiewende langfristig zu betrachten und am Ball zu bleiben. Wir werden auch in den Folgejahren Zeiten haben, wo es mal mehr und mal weniger Begeisterung für Wasserstoff geben wird. Aber wir müssen in Deutschland einfach schneller in die Umsetzung kommen und politisch bereiter sein, bei fehlgeleiteter Regulierung nachzusteuern und sie pragmatischer anzupassen. Nur so kann sich der Markt frei entwickeln wie in anderen Regionen der Welt. Wir leben nicht auf einer Insel, sondern stehen beim Thema Wasserstoff im Wettbewerb mit anderen Regionen, insbesondere mit Ostasien und den USA.
Wie wollen Sie das Wasserstoffportfolio aufbauen und welche Länder stehen im Fokus?
Unser derzeitiges Gesamtportfolio umfasst 200 Terawatt stunden Energie für insgesamt 50.000 Kunden. Ziel ist es, große Teile davon in Form von grüner und kohlenstoffarmer Energie zu liefern. Da sprechen wir zunächst von 25 Terawattstunden im Jahr 2030. Wasserstoff spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wir sind fest überzeugt, dass Wasserstoff kommen wird. Die Frage ist nur, wie schnell und in welchen Mengen. Wenn wir über Länder sprechen, schauen wir auf Projekte in Deutschland, in Europa entlang der Pipelines und darüber hinaus auf allen Kontinenten. Mit unserer Tochtergesellschaft Gascade sind wir ein großer Übertragungsnetzbetreiber für Gas und sehr engagiert im neuen deutschen Wasserstoff-Kernnetz, aber auch entlang der potenziellen Importkorridore.
Ist Wasserstoff nicht zu teuer für Ihre Industrie- und Stadtwerkekunden?
Unser Ziel ist es, Kostenführerschaft für unsere Kunden und damit die europäische Industrie zu erreichen. Dazu schauen wir uns Projekte rund um den Globus an, angefangen in Deutschland, in Europa, aber auch international. Denn wir müssen natürlich dort mit den Projekten starten, wo wir die besten Rahmenbedingungen und Kosten vorfinden. Deswegen sind unsere aktuellen Flaggschiffprojekte auch in Brasilien und Saudi-Arabien. Die Absichtserklärung für das brasilianische Wasserstoffprojekt haben wir bereits im November 2024 unterzeichnet. Ein sogenanntes Joint Study Agreement mit dem größten brasilianischen Stromversorger Eletrobras sowie Enertech aus Kuwait, einem sehr erfahrenen Projektentwickler für erneuerbare Energien in der Region. Damit bilden wir ein gutes Team, weil Sefe zu den wenigen Unternehmen gehört, die die gesamte Wasserstoff Wertschöpfungskette abdecken können – mit 50.000 Endkunden, einem Verkaufsportfolio von 200 Terawattstunden pro Jahr und unseren Infrastrukturen wie Pipelines und Speicher. Dank der kompletten Wertschöpfungskette haben wir ein Alleinstellungsmerkmal im Markt.
„In Deutschland können wir nicht wettbewerbsfähig produzieren, weil der Strom zu teuer ist.“
Was macht es denn so günstig in Brasilien oder Saudi Arabien?
Bei beiden ist es die Verfügbarkeit von günstigem erneuerbarem Strom. In Brasilien handelt es sich um Elektrolyse auf Basis von Wasserkraft. Der Strom ist zu 100 Prozent erneuerbar und zugleich konstant verfügbar. Ein starker Zubau an Solarenergie hat in Brasilien dazu geführt, dass Wasserkraft frei wird. In Saudi-Arabien, wozu die Absichtserklärung im Januar unterschrieben wurde, gibt es hervorragende Bedingungen für Solar- und Windkraft. Man bekommt also sehr günstig Strom, die Infrastruktur dort ist gut, ebenso das industrielle Know-how und die Finanzkraft.
Sie sprechen von zwei Flaggschiffen, kommen bald kleine Bötchen hinterher, über die wir schon reden können?
Es kommen durchaus auch größere Boote hinterher. Diese sind alle in der Pipeline, aber Namen wollen wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht nennen.
Wie blicken Sie auf die heimische Wasserstoffproduktion – ist sie zu teuer?
Wir wollen sehr gerne deutsche Projekte machen, und zwar auch entlang unserer Pipelines. Aber im Moment ist der Strom schlicht zu teuer und damit auch die Elektrolyse. In Deutschland gibt es noch keine guten Bedingungen für die Produktion von Wasserstoff, was wir sehr bedauern. Denn wir haben zwar die Technologie und das Know-how, aber wir können nicht wettbewerbsfähig produzieren, weil der Strom zu teuer ist.
Muss die neue Bundesregierung da aktiv werden?
Wir müssen viel mehr Pragmatismus statt Perfektionismus walten lassen. Mutige Änderungen sind gefragt, die den Wasserstoffhochlauf Realität werden lassen. Ich bin zutiefst über zeugt, dass wir in Deutschland eine heimische Produktion brauchen. Wie viel Prozent vom Gesamtbedarf das am Ende sind, ist offen. Aber wir sollten unsere vorhandene Technologie auch hier einsetzen. Dazu muss die Regulierung überdacht werden, weil es in Deutschland unheimlich schwer ist, gleichmäßigen Strom für die Elektrolyse zu bekommen, der nicht sehr, sehr teuer ist. Das liegt an der engen lokalen Bindung und an Anlagentypen. Andere Länder haben natürlich bessere Standortbedingungen, wenn das Netz per se durch die Regulierung als grün definiert ist.
Ihre H2-Flaggschiffe sind grün, aber Sie wollen auch blauen Wasserstoff importieren?
Absolut. Wir können es uns nicht leisten, Farbenlehre zu betreiben. Dass unsere ersten Flaggschiffprojekte auf grünem Wasserstoff basieren, darüber freuen wir uns natürlich. Aber wir entwickeln genauso gemeinsam mit Partnern Ideen und Projekte zu kohlenstoffarmem Wasserstoff aus Dampfreformierung und Pyrolyse. Dazu gehören auch andere Clean-Energy-Lösungen wie CCS und CCU. Unser Ziel ist immer, Emissionen zu mindern und unseren Kunden bei der Dekarbonisierung zu helfen.
Dänemark will jetzt doch eine H2-Pipeline nach Deutschland bauen. Eine gute Nachricht?
Alle internationalen Projekte und Importkorridore können helfen. Wir sind ja auch nicht nur am Kernnetz beteiligt, sondern auch Unterstützer anderer Importkorridore wie South Corridor oder H2Med, selbst wenn wir heute noch nicht wissen, ob wir sie für unsere Moleküle nutzen werden. Es ist wichtig, dass wir ein geschlossenes Wasserstoffnetz in Europa bekommen, und ich freue mich über jedes Land, das mit angeschlossen wird.
„Wir können es uns nicht leisten, Farbenlehre zu betreiben.“
Sefe-Manager Hermes über Grünen und Blauen Wasserstoff
Wie attraktiv sind die nördlichen Länder?
Der ganze skandinavische Bereich ist sehr interessant mit Blick auf erneuerbare Energien, über die Einbindung von Großbritannien könnte man auch nachdenken. Insbesondere Dänemark eignet sich sehr gut, Norwegen war letztes Jahr schon in der Diskussion, vielleicht wird diese wiederbelebt.
Auf Kundenseite scheint es schwierig zu sein, hört man im Markt. Glauben Sie, dass konkrete Wasserstoffbestellungen möglich sein werden?
Ein großes Problem der letzten zwei Jahre ist bekanntermaßen, dass es über 1.600 Projekte weltweit gibt, für die meisten davon aber keine Investitionsentscheidung getroffen werden kann, weil Abnehmer fehlen. Und viele können heute keine Verträge unterzeichnen, weil der regulatorische Rahmen es noch nicht hergibt. Angesichts der Hemmnisse überlegen Unternehmen dann, ob sie lieber Gas und CO2-Zertifikate kaufen, um ihre Verpflichtung zu erfüllen. Aber trotzdem ist unsere Wahrnehmung: Sobald wir über konkrete Möglichkeiten sprechen, besteht großes Interesse, insbesondere, seit wir unsere beiden Flaggschiffprojekte angekündigt haben.
Wer wird zuerst unterzeichnen, vermutlich die Industrie und nicht an allererster Stelle die Versorger?
Wir haben 500 Großkunden in Deutschland und alle Sektoren kommen infrage. Selbstverständlich ist die Stahlindustrie in unserem Kundensegment sehr stark vertreten, aber wir sprechen auch mit der Zementbranche und der Abfallbranche, da geht es dann eher um CO2-Abscheidung statt um Wasserstoff. Dazu ist bei uns auch ein eigenes Team im Aufbau.
Glauben Sie denn, dass es in den nächsten Jahren, also 2026, 2027 oder 2028, zu einer Unterschrift kommt unter einen Wasserstoffvertrag auf der Abnehmerseite?
Davon gehe ich aus. Handeln statt Warten, das ist unser Motto – allerdings mit Bedacht. Ich nehme wahr, dass bilaterale Ge spräche über Partnerschaften am Anfang stehen müssen. Und aus diesen Partnerschaften heraus entwickeln sich dann die Projekte.
Worum geht es denn in diesen Gesprächen, um eine faire Risikoverteilung?
In einem etablierten Markt wie den Erneuerbaren ist es möglich, ein Projekt zu entwickeln, ohne am Anfang zu wissen, wer die Energie kauft. Beim Wasserstoff ist das nicht so, hier gibt es keinen Einspeisetarif, bestehende Infrastruktur oder sichere Käufer. Wir können also nicht einfach zehn bis 15 Jahre warten, bis sich genügend Interessenten melden. Das heißt für Sefe, dass sie sich im jeweiligen Projekt schon engagieren muss, und so ist das Risiko in der Projektentwicklung geteilt. Bei unseren großen Projekten können die ersten signifikanten Mengen 2030 in Deutschland ankommen und das ist genau dann, wenn erwartungsgemäß große Teile des Kernnetzes stehen werden.
Wie zufrieden sind Sie mit der Größe des Kernnetzes?
Die Genehmigung ist ein großer Erfolg. Wenn ich international unterwegs bin, sind Gesprächspartner beeindruckt, dass sich Deutschland traut, in Vorleistung für die nächsten 30 Jahre zu gehen. Wir können in Deutschland stolz auf das sein, was wir hier für die Zukunft aufbauen.