Nein, der Cloud-Server wird ganz sicher nicht in China stehen. In dem Punkt überbringt Abe Chen den deutschen Autofahrern eine ganz klare Botschaft. „Die Daten unserer Kunden werden immer nur in der Region gespeichert, aus der sie kommen“, verspricht der Vice President of Digital Technology beim amerikanisch-chinesischen Autobauer Byton.

Chen kann gut verstehen, dass ein Auto aus China besonders intensiv mit solchen Vorbehalten der potenziellen Nutzer zu kämpfen hat. Der Sicherheits-Experte hat jahrelang „data privacy“ an einer Uni in den USA gelehrt – und verfolgt zudem die aktuelle Debatte um chinesische Zulieferer wie Huawei für das superschnelle Mobilfunknetz 5G intensiv. „Deutschland ist da schon ein bevorzugter Ort für ein Data-Center – weil die Sensibilität hier besonders hoch ist“, weiß der Amerikaner. Verunsicherung darf zudem auch deswegen nicht aufkommen, weil der Datenverkehr für Byton fast ebenso wichtig wie die reale Mobilität ist: Die Software entscheidet ganz wesentlich mit über den Markterfolg.

Auch aus dem Grund hat Chen seine Erfahrungen bei Apple und Tesla genutzt – und wohl auch die Kontakte aus der Zeit –, um in Kalifornien eine besonders schlagkräftige Digital-Mannschaft aufzubauen.

Die soll weit mehr leisten als bei Autoherstellern sonst üblich. „Die verlassen sich sehr auf ihre Zulieferer“, so Chen. Das sei aber aus seiner Sicht problematisch. Denn zum einen werde das Stückwerk aus verschiedenen Sicherheits- und Daten-Architekturen im fertigen Auto nie ganz wie aus einem Guss sein. Zum anderen aber könne der Fahrzeughersteller bei einer Attacke auf die Datenzugänge nicht direkt agieren, sondern müsse seine Zulieferer um Hilfe bitten und die Abwehr deligieren. „Dann ist es aber oft schon zu spät“, sagt Chen. Besser sei es deshalb, die Datensicherheit proaktiv anzugehen und zur eigenen Sache zu machen.

Tesla-Technik völlig veraltet

Das gilt in besonderem Maße bei Byton. Denn der Autohersteller und Mobilitätsanbieter will sich profilieren, indem er die gesamte Datenwelt seiner Nutzer ins Auto integriert. „Tesla war schon besser als die klassischen Anbieter, weil dort als erstes eine echte Plattform für den E-Antrieb existierte“, so Chen. Auf diese Plattform sei aber die digitale Welt aufgepfropft worden. Dies sei zwar gut gemacht, aber die Software bleibe so ein Fremdkörper. Chen muss es wissen. Er hat das Model S maßgeblich bei Software und Security mitgestaltet.

Byton-Cockpit
Armaturenbrett? War gestern. Im Byton M-Byte werden sämtliche Funktionen des Autos – und noch viel mehr – über einen Bildschirm gesteuert, der sich über die gesamte Fahrzeugbreite erstreckt.
© Copyright Byton

Beim Byton soll es anders, fortschrittlicher sein – die Software ist integraler Bestandteil der Fahrzeugarchitektur. Im Zentrum steht der 1,22 Meter lange, gebogene Bildschirm, vor dem die Frontpassagiere in ihren drehbaren Clubsesseln sitzen. Die gesamte Datenwelt von Gesundheits-Apps über Music- und Video-Playlists, Kalender, Mail oder Social Media bis hin zu den Fahrinformationen und Komforteinstellungen läuft hier zusammen und wird individuell aufbereitet. Das Fahren wird darüber fast zur Nebensache. Erst recht, wenn in einigen Jahren das autonome Fahren auf Level 3 Realität wird, bei dem der Fahrer nicht mehr ständig die Straße im Blick und das Steuer in der Hand behalten muss.

Spätestens dann will Chen die Byton-Cloud ins Blickfeld bringen. Jeder Inhaber bekommt dort mit dem Kauf des Wagens sein eigenes Profil – und kann in dieses wie bei Apple- oder Android-Accounts diverse andere Dienste integrieren: Kalender-, Shopping-, Smart-Home- oder Gesundheits-Apps etwa. Chinesische Kunden haben da schon länger keine Berührungsängste mehr: Für sie kann das vollintegrierte Smartphone auf Rädern nicht schnell genug kommen. In Europa und vor allem in Deutschland, wo das Internet selbst für Spitzenpolitiker noch „Neuland“ ist und das autonome Fahren erst einmal ein Fall für den Ethikausschuss, sieht das bekanntlich ganz anders aus.

Aber Chen ist sicher, dass Byton mit seiner eigenen Firmware für das Betriebssystem sicherheitsbewusste Kunden ködern kann – und will auf dieser Basis auch ganz neue Services bieten. Die Türen etwa wird der Byton-Fahrer statt über einen hakeligen und störanfälligen Funkschlüssel mit einem Bluetooth-Low-Energy-Sender per Smartphone öffnen können. Auf diese Weise werden auch alle anderen Infos wie die bevorzugten Sitz- und Lenkradeinstellungen, die Social-Media-Accounts oder die Infotainment-Angebote beim Betreten des Autos eingestellt. „Das ist praktisch, wenn der Kunde mal einen Byton-Leihwagen oder ein Ersatzfahrzeug nutzen will“, erklärt Chen. Und wichtig auch für den Hersteller selbst. Denn Byton will mit „Shared Mobility“, also dem Angebot von Mitfahrmöglichkeiten oder dem zeitweisen Verleih von Fahrzeugen bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts bereits mehr als die Hälfte seines Umsatzes machen.

Autos helfen sich gegenseitig

Im Mittelpunkt der Innovation steht aber eine neue Methode, Software-Update „over the air“ ins Auto zu bringen, ohne Werkstattaufenthalt, über Nacht: „Vom Verkaufsstart an werden unsere Fahrzeuge sich gegenseitig updaten können“, kündigt der Techniker an. Chens Truppe hat dazu – Vorsicht: Jetzt wird’s technisch – sogar ein eigene Kanalbündelungs-Gateway konzipiert. Mehrere 4G- oder 5G-SIM-Karten etwa verschiedener Fahrzeug-Insassen können auf diese Weise gleichzeitig genutzt werden. „So große Datenmengen in kurzer Zeit brauchen wir für unsere Patches oder Updates aber gar nicht“, so Chen.

Nach dem Prinzip des Internets sollen vielmehr kleine Datenpakete während der Fahrt, beim Parken oder Nachladen des Akkus häppchenweise zwischen den Fahrzeugen ausgetauscht werden. Erst wenn der Download komplett ist, wird das Paket entpackt. „So lässt sich etwa ein Komfort- oder Sicherheitsupdate blitzschnell in die Fläche bringen“, sagt Chen. Schneller als jeder Datendieb agiert.

Noch schneller geht es übrigens, wenn Chen seinen Herzenswunsch verwirklichen kann: „Diese Art von Updates würde noch besser funktionieren, wenn viele andere Hersteller mitmachen.“

Audi, Tesla oder Jaguar, updated by Byton? Man wird ja noch träumen dürfen – wenn´s der Sicherheit dient. Apropos Sicherheit – ein Versprechen wird die neue Marke ihren Nutzern gleich zum Start geben: „Wir glauben an das Recht auf Vergessenwerden“, sagt Abe Chen. Wenn der Kunde nicht mehr Byton fahren möchte, kann er sämtliche persönliche Daten im Cloud-Server auf Knopfdruck löschen. In dem Punkt wäre das Smartphone auf Rädern Vorbild in der Hosentasche sogar ein Stück weit voraus.

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