Nach der großen Ankündigung des Tesla Semi im vergangenen Herbst ist es wieder sehr ruhig geworden um Elektro-Lkw. Zwar haben Unternehmen hier und da einen neuen Prototypen eines Batterie-Lastwagens vorgestellt, auf der Straße fehlen die E-Brummis aber immer noch. Stattdessen diskutiert die Branche lieber darüber, ob die von Tesla angekündigte Reichweite von bis zu 800 Kilometern realistisch sei oder ob Elektro-Lkw doch auf Jahre an die Kurzstrecke und den Verteilverkehr gebunden bleiben.
In den USA hat die Debatte kürzlich wieder Nahrung erhalten: Tesla hat einen seiner Prototypen quer durch das ganze Land fahren lassen und das ohne größere Probleme. Einzig ein Verlängerungskabel war an Bord, wie Tesla-Chef Elon Musk in einem Tweet bestätigte. Sonst hätte der Truck wohl die gesamte Supercharger-Station für andere Tesla-Fahrer blockiert.
In Deutschland wird im September auf der Nutzfahrzeug-IAA in Hannover über elektrische Antriebe für Lastwagen diskutiert. Der Tesla Semi wird zwar nicht in Hannover zu sehen sein, aber andere interessante Konzepte. Eines davon kommt von Bosch: Anstatt einen Elektro-Lastzug mit tonnenschweren Batterien – was zulasten der Nutzlast geht – auf Reichweite zu bringen, will der Zulieferer die Sattelanhänger unter Strom setzen.
E-Anhänger macht LKW zu Hybriden
Das Prinzip: Anstatt die Achsen des Anhängers wie bisher einfach nur rollen zu lassen, integriert Bosch dort zwei elektrische Maschinen. Dadurch lässt sich beim Bremsen und Bergabfahren Energie gewinnen, die für verschiedene Zwecke genutzt werden kann.
1. Eine elektrische Anfahr- und Beschleunigungsunterstützung entlastet den Dieselmotor der Zugmaschine. Auch an Steigungen kann der Anhänger mitschieben. Diese Einsparungen beziffert Bosch mit bis zu vier Prozent.
2. Durch den Antrieb an der Achse kann der Trailer selbsttätig auf dem Betriebshof rangieren. Mit dem Elektromotor kann der Anhänger auf kurzen Strecken selbst zum Fahrzeug werden und ohne Zugmaschine rangieren. Mit zusätzlichen Sensoren ausgerüstet, kann der Trailer auf nicht öffentlichen Geländen wie auf Speditionshöfen oder in Häfen sogar autonom fahren. „Mit der Elektrifizierung des Trailers geht Bosch einen wichtigen Schritt zum automatisierten Parken auf dem Speditionshof“, sagt Markus Heyn, Mitglied der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH.
3. Das größte Einsparpotenzial sieht der Zulieferer darin, die Aggregate des Lastzugs mit dem selbst gewonnenen Strom zu versorgen. Wird etwa bei einem Kühlanhänger das Diesel-Kühlaggregat durch ein elektrisches ersetzt, könne die Ersparnis bei bis zu 10.000 Euro pro Jahr oder 9000 Litern Kraftstoff liegen (Annahme: Der Dieselgenerator benötigt zwei bis drei Liter Diesel pro Stunde).
Elektrifizierung senkt Betriebskosten
Wie teuer das System, mit dem auch bestehende Trailer nachgerüstet werden können, angeboten wird, darüber schweigt Bosch noch. Das System müsse sich aus Sicht des Unternehmens nach höchsten zwei Jahren im Betrieb amortisieren. Bosch ist laut der Pressemitteilung „zuversichtlich, dass dies angesichts der eingesparten Kosten, beispielsweise bei Kühltrailern, realistisch ist“. Allein in Europa werden jedes Jahr rund 250.000 Trailer mit einem zulässigen Gesamtgewicht größer 10 Tonnen neu zugelassen. Jeder fünfte davon ist mit einem Kühlaggregat ausgestattet.
Ein Punkt, der für überschaubare Kosten spricht: Viele der Komponenten mussten nicht eigens entwickelt werden. Die Ingenieure haben auf etablierte Teile aus dem Pkw-Bereich zurückgegriffen – die Elektromotoren werden auch in hunderttausenden Plug-in-Hybriden, Elektroautos oder dem Streetscooter der Post verbaut. Im Gegensatz zu Elektroautos springen die Motoren in der elektrifizierten Achse nur an, wenn sie gebraucht werden. Da die Elektromotoren dadurch einen Großteil der Zeit inaktiv sind und nur wenige Sekunden oder Minuten pro Stunde rekuperieren oder dem Fahrzeug beim Anfahren oder Bergauffahren helfen, reicht laut Bosch die serienerprobte Pkw-Technik aus und es muss keine Nutzfahrzeug-Variante mit deutlich höheren Belastungen und Laufleistungen entwickelt werden.
Standardmäßig will Bosch das System mit zwei Elektromotoren anbieten. Zwei Maschinen bieten eine deutlich höhere Rekuperationsleistung und zu vergleichsweise geringen Mehrkosten einen hohen Mehrwert, da so deutlich größere Einsparungen erzielt werden können. Die zwei Motoren bieten auch Vorteile beim Rangieren auf dem Betriebshof, da der Wendekreis so deutlich reduziert werden kann. Auf Kundenwunsch soll aber auch ein System mit nur einem Elektromotor angeboten werden.
Die Reaktion der potenziellen Kunden auf der Messe wird zeigen, ob das Potenzial der elektrischen Anhänger wirklich so groß ist, wie Bosch erwartet. Oder ob der elektrische Lastwagen doch schneller kommen wird als ein aufgerüsteter Anhänger mit E-Achse.