Lange wurde in Deutschland um die Elektrokleinstfahrzeug-Verordnung (eKFV) gerungen – nun haben in Berlin „Lime“ und das Startup „Circ“ damit begonnen, ihre elektrischen e-Scooter gegen Gebühren zu verleihen. Die Lime-Roller sind giftgrün lackiert, Circ setzt auf eine Farbgebung in grellorange und schwarz. Aber das Geschäftsmodell ist mehr oder minder immer das gleiche: Wer die Roller nutzen möchte, um damit auf Radwegen und Straßen – die Benutzung der Fußwege hat die eKFV ausdrücklich verboten – schaltet den Roller für einen Euro frei und zahlt anschließend 15 Cent für jede Minute Fahrzeit.
Im Zentrum von Berlin und einigen ausgewählten Stadtbezirken wollen insgesamt acht Anbieter insgesamt mehrere Tausend Roller aufstellen und damit ordentliche Geschäfte machen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in München und Hamburg, Köln und Düsseldorf ab. Aber ob die Rechnung der Betreiber aufgeht, ist noch längst nicht ausgemacht. Das Mobility-Tech-Unternehmen Wunder Mobility aus Hamburg hat für eine Studie aktuelle Marktzahlen, eigene Daten sowie Brancheninsights zusammengetragen, um herauszufinden, ob die elektrischen Kickscooter wie von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erhofft einen sinnvollen Beitrag zur Mobilitätswende leisten können – und unter welchen Bedingungen die Betreiber daraus ein nachhaltiges Geschäftsmodell machen können. Eine ähnliche Untersuchung hat die Unternehmensberatung Boston Consulting angestellt. Unter dem Titel „The promise and pitfalls of e-scooter-sharing“ zu deutsch: Das Versprechen und die Fallstricke des e-Scooter-Verleihs haben die Ökonommen untersucht, wann und unter welchen Bedingungen Lime, Circ und wie sie alle heißen wirtschaftliche auf einen grünen Zweig kommen – ohne die Städte mit Elektroschrott zuzumüllen.
Lebensdauer von ein bis drei Monaten
Tatsächlich ist die Lebensdauer der Elektroroller einer der Faktoren, die das Geschäftsmodell der Sharing-Unternehmen gefährden. Nach einer Studie des US-Newsletters Oversharing beträgt die durchschnittliche Lebensdauer der Fahrzeuge in Paris, Madrid und San Francisco, wo Leihsysteme schon eine Weile existieren, derzeit nur 28 Tage. Boston Consulting nimmt in seiner Studie immerhin eine Einsatzdauer von drei Monaten an – und kennt auch den Grund: Die Roller heutiger Bauart sind überwiegend für einen Einsatz in Privatbesitz konstruiert, nicht für eine Verwendung in Verleihsystemen mit hoher Beanspruchung, geringer Pflege und hartem Einsatz. Entsprechend hoch ist der Verschleiß der Teile und der Aufwand der Betreiber für Wartung und Pflege.
Die Roller müssen in der Regel abends eingesammelt und aufgeladen, oft auch repariert werden. In den USA stehen deshalb Einnahmen von durchschnittlich 3,50 Dollar pro Fahrt „Betreuungskosten“ von 2,20 Dollar gegenüber. Steuern, Versicherungen sowie die Kosten für die Abwicklung der Leihgebühren fressen weitere 65 Cent, so dass bei einer Fahrt im Schnitt nur 65 Cent Gewinn übrig bleiben. Um allein die Anschaffungskosten wieder hereinzuspielen, müsste ein Roller 115 Tage im Einsatz sein – wenn er nicht schon vorher den Geist aufgibt und entsorgt werden muss.Auch Gunnar Froh, CEO von Wunder Mobility, kennt die Achillesferse des Geschäftsmodells, ist aber optimistisch: „Die Hersteller entwickeln ihre Modelle stetig weiterund passen sie den Anforderungen des Sharing-Betriebs an. Die nächste Generation hochwertiger Fahrzeuge wird zum Jahresende auf den Markt kommen und mit einer Lebensdauer von bis zu 15 Monaten deutlich länger im Einsatz bleiben können.“
Mietkosten sind zu niedrig
Weitere Fortschritte erwartet Froh auch bei der Batterietechnik – und damit eine höhere Rentabilität der Unternehmen: Das häufige, oft auch überflüssige Laden setzt den kleinen Lithium-Ionen-Akkus heftig zu. Der Experte rät dazu, beim Ladezustand einen Mindestlevel zu definieren, ab dem der Roller an die Steckdose kommt. Nebeneffekt wäre auch eine deutliche Senkung der Wartungskosten.
Die größte kritische Masse in dem Geschäft aber sind die Konsumenten, die Nutzer der Roller. Wie schnell werden sie das neue Mobilitätsangebot annehmen – und werden sie etwas wie Markenloyalität entwickeln? Eine unterschiedliche Farbgebung ist noch längst kein tragfähiges Differenzierungsmerkmal. Viel Geld wird entsprechend in den kommenden Monaten aufgewendet werden müssen, um die neuen Marken bekannt zu machen und Kunden zu locken – etwa mit Sonderangeboten. All dies wird an den Gewinnen zehren. Wunder Mobilität rät deshalb den Betreibern zu ambitionierteren Preismodellen: „Marktstudien zeigen, dass Nutzer durchaus bereit sind, bis zu 35 Cent pro Minute zu zahlen.“ Boston Consulting hingegen plädiert für einen Zusammenschluss der Sharing-Unternehmen mit anderen Verkehrsbetreibern – dem öffentlichen Nahverkehr oder auch Carsharing-Unternehmen – um Nutzern ein möglichst breites Mobilitätsangebot über ein Ticket oder eine App machen zu können.
Zu viele Anbieter
Nichtsdestotrotz erwarten die Ökonomen spätestens im nächsten Jahr eine Konsolidierungswelle: Aktuell seien einfach zu viele Anbieter auf dem Markt. Und die Finanzkraft der Unternehmen sei zu unterschiedlich, um für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Das US-Unternehmen Lime aus San Francisco hat immerhin Risikokapital in einer Größenordnung von 765 Millionen Dollar eingesammelt, Bird aus Santa Monica von 42 Millionen. Demgegenüber fällt das finanzstärkste deutsche Startup Tier Mobility aus Berlin mit 32 Millionen schon deutlich ab. Bei diesen Unternehmen wird es im besonderen Maße darauf ankommen, das operative Geschäft möglichst schnell auf Profitabilität zu trimmen.
Die Ökonomie des eScooter-Sharing birgt einige Risiken. Auf der anderen Seite aber sind die Verfasser beider Studien optimistisch, was die Potenziale der Kleinfahrzeuge unter ökologischen Aspekten anbetrifft. „Kickscooter können einen wichtigen Beitrag zu einer flexibleren und nachhaltigeren Mobilität leisten und dabei helfen, die Städte vom Ballast des Individualverkehrs zu befreien“, folgert Wunder-Gründer Froh. Ähnlich das Fazit von Daniel Schellong aus Berlin und Carsten Schaetzberger aus Stuttgart, die an der Studie von Boston Consulting mitgewirkt haben: „Die Scooter haben das Potenzial, eine wichtige Rolle im innerstädtischen Verkehr zu spielen – zu einer Zeit, in der Lösungen gegen Staus und hohe Umweltbelastungen dringend benötigt werden.“ Außerdem könnten die Tretroller neben den ganz praktischen Aufgaben noch etwas anderes leisten: „Jeder, ob er bereits einen Anzug oder als Student noch Jeans trägt, wird sich bei Fahrten damit wieder wie ein kleines Kind fühlen und freuen.“