Spätestens seit Ende März sind alle Neuwagen in Europa vernetzt. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde der E-Call Pflicht. Dieses System baut bei einem schweren Unfall eine Sprachverbindung zu einer Notrufzentrale auf. Gleichzeitig übermittelt es die Position des Fahrzeugs. Auf diese Weise können die Rettungskräfte schneller alarmiert und zum Unglücksort gelotst werden. Schließlich geht es im Ernstfall um Minuten.
Damit steckt in jedem Wagen ab Werk ein Mobiltelefon, das auch eifrig Daten aus dem Auto senden kann – allerdings nur, wenn es der Hersteller entsprechend aufgerüstet hat. Aber wem gehören diese Daten?
Die Antwort laut Gesetzeslage: dem Autobesitzer. Und auch rund zwei Drittel der Deutschen sehen es laut einer aktuellen Umfrage des Digitalverbandes Bitkom so, dass der Eigentümer des Fahrzeugs entscheiden soll, wer die Daten nutzen darf. Aber das ist eher Theorie. Denn natürlich versuchen Hersteller, Versicherer, Werkstätten und IT-Konzerne an diese wertvollen Informationen heranzukommen.
Was auch völlig legal ist, wenn der Fahrer respektive Besitzer dem zuvor zugestimmt hat – oder die Informationen anonymisiert wurden.
Datenhoheit muss beim Fahrer liegen
Doch wie die Daten gebündelt, anonymisiert und übertragen werden – darüber streiten sich gerade die Fahrzeughersteller auf der einen Seite, Versicherer, Werkstätten und Verbraucherschützer auf der anderen Seite. Und mittendrin steckt die Politik.
Nun hat sich die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff in den Streit eingemischt. Sie verlangt: „Die Betroffenen müssen jederzeit die volle Hoheit über ihre Daten behalten“. Und fordert daher vom Gesetzgeber, den Umgang mit Autodaten endlich in einem eigenen „Rechtsrahmen“ klar zu regeln.
Es locken Milliardenumsätze
Noch liegen die Positionen von Autoherstellern und Versicherern weit auseinander. Beide Seiten eint aber die Hoffnung auf enorme Umsätze mit neuen Diensten rund um das vernetzte Auto. Sie sollen Prognosen der Marktforschung ResearchAndMarkets zufolge im Jahr 2025 knapp 220 Milliarden US-Dollar erreichen.
Dabei geht es um Serviceangebote wie die Ferndiagnose von Schäden am Fahrzeug, Empfehlungen für energiesparendes Fahren in Echtzeit bis hin zu Unterhaltungsangeboten im autonom fahrenden Roboter-Gefährt. Versicherer könnten Tarife anbieten, die sich an der – defensiven oder aggressiven – Fahrweise des Menschen am Steuer orientieren.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht für die Hersteller die Rolle der Torwächter vor. Sie sollen markenspezifisch alle Daten aus dem Fahrzeug in eigene Rechenzentren übertragen. Wer die Informationen nutzen will, soll mit dem jeweiligem Autobauer eigene Verträge abschließen.
Dabei will der VDA allgemeine, anonymisierte Daten zur Verkehrssicherheit an die öffentliche Hand weitergeben – beispielsweise wo es sich häufig staut oder sich Unfälle ereignen. Zugang zu anderen Daten, etwa wie oft bestimmte Bauteile ausfallen, wollen die Hersteller dagegen genau kontrollieren. Und die Weitergabe personalisierbarer Daten wie des Fahrstils soll nur mit Zustimmung des Betroffenen erfolgen – zum Beispiel mit einer Einverständniserklärung des Halters beim Kauf des Fahrzeugs.
Es drohen digitale Wegelagerer
Der Vorteil dieses Konzeptes: Es gibt für die Daten nur einen einzigen Übertragungsweg, den die Hersteller etwa gegen Hacker schützen müssen. Denn die Vernetzung macht das Auto verwundbar. Digitale Wegelagerer könnten durchaus versuchen, Fahrzeuge lahmzulegen und erst nach Zahlung eines Lösegelds wieder freigeben. Das Schadprogramm WannaCry hat vergangenes Jahr vorgemacht, wie das bei PCs funktioniert.
Den Versicherer gefällt natürlich die Rolle der Hersteller als Torwächter nicht. „Die Automobilhersteller versuchen, den Zugang zu den neuen Daten zu monopolisieren“, warnt etwa Wolfgang Weiler, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Seine Mitglieder wollen direkten Zugang zu den Informationen aus dem Fahrzeug. Der Kunde solle zwischen verschiedenen Anbietern wählen können. „Das ist etwa bei Smartphones völlig selbstverständlich – und genauso sollte es auch bei vernetzten Autos sein“, fordert Weiler.
Der GDV hat jetzt ein Bündnis mit dem ADAC, dem Zentralverband des Kfz-Gewerbes sowie den Verbraucherzentralen geschmiedet, um für den freien Zugang zu trommeln. Und auf europäischer Ebene haben die Versicherer eine Kampagne für eine Petition an die Entscheider der EU gestartet und sammelt dafür Unterschriften – ganz modern unter dem Hashtag #Data4Drivers.
Doch an welche Daten die Versicherer genau auf welchen Wegen wollen, ist noch nicht im Detail klar. Und welche Informationen tatsächlich keinen Personenbezug haben und sich deshalb relativ unbedenklich nutzen lassen, wird sicherlich noch für viele Diskussionen sorgen. „Anonym sind die Daten aus einem Fahrzeug nur, wenn sie einer konkreten Person gar nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zugeordnet werden können“, sagt Datenschützerin Voßhoff gegenüber EDISON. Aber was ist ein hoher Aufwand? Schließlich genügen simple Informationen wie die Sitzeinstellung, der gewählte Radiosender und die gefahrene Route, um mit hoher Wahrscheinlichkeit zu entscheiden, ob der Familienvater, seine Tochter oder die Ehefrau am Steuer saßen.
Wenn der Fahrzeughalter beim Kauf künftig einwilligt, dass Daten übertragen werden – so wie es die meisten von uns heute gewohnheitsmäßig bei der Nutzung von Smartphones oder Apps tun – sind Autohersteller und Versicherer auf der sicheren Seite. Aber eigentlich müsste der Autobesitzer dann jeden Fahrer, den Nachbarn etwa oder einen Verwandten, darauf hinweisen. Vielleicht gibt es demnächst entsprechende Aufkleber fürs Cockpit: Dieses Fahrzeug sammelt und sendet Daten.