Das Wunderkraut sieht aus wie sehr große Gras- oder Schilfhalme. Tatsächlich gehört die Pflanze aus Asien zu den Süßgräsern, Botaniker nennen sie Miscanthus. Auf einem Versuchsgelände in Hohenheim bei Stuttgart wird dieses Riesen-Chinaschilf unter genauer Beobachtung angebaut. Die Forscherinnen der schwäbischen Universität haben viel vor mit den unscheinbaren Stängeln.
Miscanthus könnte der kommende Superstar unter den nachwachsenden Rohstoffen sein. Die Verwendung kennt kaum Grenzen: Das Schilf ist eine bedeutende Energiepflanze, aus ihr lassen sich aber auch Kunststoffe, Baumaterialien. Chemikalien oder Biokohle gewinnen. Und die Gräser wachen dort, wo sonst kaum mehr etwas gedeiht, selbst auf schlechten oder sogar vergifteten Böden.
Iris Lewandowski leitet in Hohenheim das Fachgebiet für Nachwachsende Rohstoffe. Sie ist begeistert von der Breite, in der sich Miscanthus einsetzen lässt. „Er liefert zum Beispiel eine sehr gute Schalldämmung, und auch das Crashverhalten ist toll“, sagt die Forscherin. Diese Eigenschaften machen die Wunderpflanze perfekt für die Autoindustrie. Die Branche setzt bislang noch wenig sogenannte Naturverstärkte Kunststoffe (NFK) ein. Drei Kilo pro Fahrzeug sind es im Schnitt. Da ginge noch viel mehr, sagt Lewandowski. Einer der vielen Vorteile des Natur-Stoffs: Er ist leichter als fossile Kunststoffe, die aus Erdöl gewonnen werden.
Die Wirtschaft wünscht sich Naturmaterialien
Lewandowski und ihr Team kennen aber noch viel mehr Einsatzmöglichkeiten für das asiatische Gras. „Er ist unsere beste Pflanze“, sagt sie. Auch die Industrie wacht nun langsam auf und meldet sich bei den Wissenschaftlerinnen. „Wir bekommen zunehmend Anfragen von Unternehmen, die Alternativen zum fossilen Kunststoff suchen“, erzählt die Professorin.
Die sind derzeit besonders bei Verpackungen gefragt, dort kommen Handel und Produzenten unter Druck. Immer mehr Konsumenten wollen abbaubare Behälter für Lebensmittel und Kosmetik. Die Fasern des Miscanthus sind dazu ideal. Das Gras liefert einerseits einen hohen Ertrag, besitzt andererseits aber auch sehr gute Produkteigenschaften.
Bislang werden abbaubare Verpackungen meist aus Stärke produziert. Die gewinnt man aus Zucker oder Mais. Futter- oder Lebensmittel also, die besser nur für diese Zwecke verwendet werden sollten. Auf den dafür verwendeten Ackerflächen ließen sich genauso Getreide oder Kartoffeln anbauen. Miscanthus hingegen wächst selbst dort, wo keine Nahrungsmittel mehr gedeihen. Er konkurriert also mit nichts, gute Äcker könnten wieder ausschließlich für den Lebensmittelanbau genutzt werden. Deshalb ist auch die EU sehr interessiert an der Pflanze und fördert ihre Erforschung.
Miscanthus kommt selbst mit widrigen Umständen klar und reichert Kohlenstoff im Boden an. „In diesem trockenen Sommer sind unsere Gräser besser gewachsen als die übrigen Energiepflanzen“, erzählt Forscherin Lewandowski. In den immer trockeneren Gebieten in Südeuropa gäbe es eine Alternative für Bauern, deren Kulturpflanzen zunehmend verdorren.
Seltener Miscanthus
Noch gibt es allerdings kaum Landwirte, die das Wundergras kultivieren. Die Anbaukosten sind zunächst höher als beim Mais, der bevorzugten Energiepflanze. Doch der muss jährlich neu gesät werden. Miscanthus hingegen wächst mehr als 20 Jahre lang immer wieder nach. In einer Biogasanlage lässt er sich besser vergären als Mais. Ganz zu schweigen von den vielen anderen Nutzungsmöglichkeiten. Etwa als Dämmstoff oder Einstreu in der Tierhaltung.
Bauern sollten also ihre Zurückhaltung aufgeben, denn auf lange Frist dürfte sich der Anbau für sie rentieren. Der EU geht es mit ihrer Förderung für die Wunderpflanze vor allem darum, verseuchte und ausgelaugte Böden zu nutzen. Alleine vier Millionen Hektar sind nach EU-Angaben in Europa nicht mehr nutzbar, weil sich Schwermetalle oder andere Gifte im Boden befinden. Miscanthus speichert diese schlechten Stoffe in seinen Wurzeln. Später verwendet werden aber nur seine oberirdischen Pflanzenteile. So könnte Brachland wieder zu grünen und sinnvoll genutzten Landschaften werden.