Das ist neu: Ein Netzbetreiber, der den Netzausbau reduzieren will. Doch genau das fordert Tennet. Zwei von Deutschlands größtem Übertragungsnetzbetreiber beauftragte Studien kommen nämlich zum gleichen Schluss: Die Netzplanungen sind nicht mehr zeitgemäß und der Netzausbau ist überdimensioniert.
„Ich gehe davon aus, dass wir mehrere tausend Kilometer zusätzlichen Aus- und Umbaus des Netzes mit einer vollständigen Digitalisierung und Automatisierung einsparen können“, erklärt Tennet-Geschäftsführer Lex Hartman und fordert eine „Netzplanung 2.0“.
Der Netzausbau ist eine der größten Herausforderung bei der Umsetzung der Energiewende. Noch immer müssen rund 6500 Kilometer um- und ausgebaut werden, um die Integration von 45 Prozent erneuerbarer Energien in das Stromnetz zu ermöglichen. So wie bisher geht es aber nicht weiter. „Wenn wir die Logik der bisherigen Netzplanung beibehalten, erleben wir mit der nächsten Stufe des Erneuerbaren-Ausbaus eine Netzausbau-Spirale“, sagt Hartmann.
Alternativen wie Demand Side Management und Speicher, die Leistungsspitzen verlagern und so die Auslastung der Netze optimieren können, werden bisher nicht berücksichtigt. Hartman: „Wir wollen eine genau passende, effiziente Infrastruktur für die Energiewende. Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass keine Leitungen gebaut werden, die nach einigen Jahren nicht mehr voll genutzt werden.“
Technische Fortschritte erfordern neue Planung
Dafür fordert Tennet, den aktuellen „Netzentwicklungsplan 2030“ (NEP) über Bord zu werfen, denn der habe Schwächen. So beruht die aktuelle Planung noch auf dem Szenariorahmen von 2013, der mit 50 Prozent Ökostrom im Jahr 2030 rechnet. Diese Zahlen sind allerdings längst überholt. Die Bundesregierung geht bereits von einer Steigerung auf 65 Prozent aus. Technische Innovationen werden auch nicht berücksichtigt. Für Tennet steht deshalb fest: Ein NEP 2.0 ist notwendig.
So einfach wie vor der Energiewende ist das Netz nicht mehr zu planen. Sinkende Preise für Speicher, Sektorenkopplung, eine Vernetzung der einzelnen Marktakteure, immer bessere Prognosen durch Datenanalysen – alles hat Einfluss darauf, wann der Strom wo benötigt wird. Darauf muss die Infrastruktur, die heute für die kommenden 40 bis 50 Jahre gebaut wird, ausgerichtet werden. Zuerst muss aus Sicht des Netzbetreibers daher ein professionelles Innovationsmanagement etabliert werden, das verlässliche Abschätzungen zu Technologiepfaden treffen kann. Erst danach sollten neue Leitungen geplant werden.
Noch in diesem Jahr will Tennet die Ergebnisse aus den Studien der Unternehmen Copenhagen Economics und E-Bridge in einem Forum aus Übertragungsnetzbetreibern, Politik und Behörden sowie weiteren Vertretern aus Wirtschaft und Gesellschaft diskutieren.