Immerhin ist die Katze jetzt aus dem Sack. Jetzt wissen wir, dass die Nummer 1 des völlig neuen, zukunftsträchtigen Großserien-Elektroautos der Wolfsburger definitiv auf den schlichten Namen ID.3 hört (3 steht wie bei BMW und Tesla für Kompaktklasse), dass es mehr kostet als erwartet – und später kommt als gedacht. Und das wir dieses Objekt der Begierde unter der Internet-Adresse https://www.volkswagen.de/elektromobilitaet/de.html augenblicklich bestellen können. Jetzt, sogleich. So, das ist die Kurzfassung der Kurzfassung, denn das Ganze ist doch hübsch kompliziert.
Auf Los geht’s los mit gewaltig vielen Stromern? Nee, so läuft das nämlich nicht. Erst mal offeriert Volkswagen eine auf 30.000 Exemplare limitierte Sonderedition namens „ID.3 First“ mit spezieller Ausstattung und der mittelgroßen 58 kWh-Batterie, die nach neuer WLTP-Norm für bis zu 420 Kilometer Reichweite taugen soll. In der rauen Praxis des Alltags sind das vermutlich rund 300 Kilometer, was ja durchaus okay ist, zumal jeder ID.3 dank integriertem DC-Schnelllader, (maximale Ladegeschwindigkeit 125 Kilowatt Gleichstrom) „während einer 30-minütigen Kaffeepause“ (netter VW-Vorschlag) Strom für mindestens 260 Kilometer nachladen kann.
Reise nach Jerusalem
Wenn wir nun auf diese Sonderedition ernsthaft Bock haben, müssen wir 1000 Euro in einer digitalen Geldbörse (Volkswagen Pay) hinterlegen — und uns noch einmal schnell entscheiden, denn die First gibt es in vier Farben und drei vorkonfigurierten Versionen. Sprachsteuerung, ein Navi und einiges mehr hat hier schon die Einstiegsversion, die dann immerhin bereits 40.000 Euro kostet. First Plus offeriert dann noch Zweifarbigkeit und lustig blinzelnde Scheinwerfer („IQ Light“), First Max unter anderem ein Augmented Reality-Head Up-Display und ein großes Panorama-Glasdach. Wie teuer Max ist? Garantiert über 45.000 Euro. Netter Trost: Alle Kunden der First Sonderedition dürfen mit ihrem Stromer ein ganzes Jahr lang kostenlos laden, bis maximal 2000 Kilowattstunden. Schaun Sie mal, was Ihr Versorger für den Haushaltsstrom verlangt oder Ionity an seinen High-Power-Chargern – dann wissen Sie, was das Paket wert sein kann.
Wir müssen wirklich Gas geben, dürfen bei der Bestellung nicht rumtrödeln. Denn ist das Kontingent einer Ausstattungsvariante erst einmal erschöpft, kann die nicht mehr bestellt werden. In diesem Fall müssen wir uns für eine der noch verfügbaren Varianten entscheiden. Sind alle Ausstattungsvarianten erschöpft, verfällt die Registrierung. Der Spieler ist raus und es gibt den Tausender postwendend zurück.
Bis dahin alles klar? Die eigentliche Registrierungsphase beginnt aber erst nach der Frankfurter IAA, auf der der ID.3 zum ersten Mal ohne Tarnanzug gezeigt wird. Dann erst können wir mit unserer Registrierungsnummer das entsprechende Modell verbindlich bestellen. Aber aufpassen – es geht noch weiter. VW-Zitat: „In Deutschland wird die verbindliche Bestellung mit Inkrafttreten der neuen Händlerverträge im April 2020 wirksam“. April, April?. Mal schauen, was bis dahin noch so alles passiert.
Erste Autos im Juni 2020
Okay, da müssen wir wohl durch. Auch durch die von VW noch einmal verlängerte Warteschleife bis zur Auslieferung. Anfangs hieß es Ende 2019, dann März 2020 und nun Sommer 2020. Vorher gibt es keinen ID.3, haben die Wolfsburger jetzt klargestellt, intern ist übrigens von Mitte Juni die Rede. Wir heucheln mal ein bisschen Verständnis, schließlich beginnt die Produktion des kompakten Schrägheckmodells ja erst im November, und dann müssen die neuen Stromer ja noch peu a peu bei den Händlern eintrudeln. Volkswagen, so hören wir, will jedenfalls alles tun, damit es keine nervenden Verzögerungen wie seinerzeit bei Tesla (Model 3), Audi (e-tron) oder aktuell bei Mercedes (EQC) gibt.
Genau, Tesla kann man mit diesem Tempo nicht gleich in die Knie zwingen. Wir erinnern uns: Die Amis haben sind beim Model 3 mit über 400.000 Vorbestellungen gestartet, die aktuelle Wartezeit liegt derzeit bei erträglichen drei bis sechs Monaten. Immerhin will VW, sobald die Produktion richtig brummt, jährlich mindestens 100.000 ID.3 ausliefern. Spätestens ab 2021.
Basisversion für rund 30.000 Euro
Noch mehr gute Nachrichten: Nach der Sonderedition kommt definitiv eine deutlich günstigere Basisversion des ID.3 ins Spiel, die für knapp 30.000 Euro mit etwas schmalerer Ausstattung und einem 45-kWh-Batteriepaket maximal 330 Kilometer Reichweite bieten soll. Tja, das sind zwar nicht die mal avisierten 25.000 Euro, aber ein normal ausgestatteter VW Golf geht im Schnitt auch mit 30.000 Euro über den Tisch. Die staatliche Förderung für den ID.3, die es hoffentlich auch im nächsten Jahr noch gibt, ist dabei noch nicht berücksichtigt. Zudem will VW zum privaten Laden in der Garage günstige „Volks-Wallboxen“ offerieren, was demnächst konkretisiert werden soll. Und diverse Systeme des Autos sollen sich im Lebenszyklus easy per Update aktualisieren lassen.
Voraussichtlich Ende nächsten Jahres folgt mit einer 77-kWh-Batterie auch der Reichweiten-Champion der neuen Baureihe. Bis zu 550 Kilometer sollen mit dem Topmodell möglich sein, und seine Leistung wird von 125 auf 150 kW angehoben.
Schön, aber zur Frage der künftigen Wartezeiten bleibt der dafür zuständige Vertriebs- und Marketing-Vorstand Jürgen Stackmann lieber noch nebulös: „Das wird sich sehr stark an der Nachfrage ausrichten, wir werden sehen, was dann kommt.“ Das völlig neue Gesamtsystem von Werken, Zulieferern und Materialien müsse sich „erst sauber hochschaukeln“, da wolle man nicht zu früh zu viel versprechen. „Wir sind halt kein Start-up“, grinst er. Ein zarter Seitenhieb gegen die derzeit grassierende Großspurigkeit vieler Elektroauto-Aufsteiger.
Großes Experiment
Grundsätzlich ist das Ganze für den VW-Konzern ein mutiger Schritt. Denn niemand in Wolfsburg weiß bisher so hundertprozentig, wie das große Experiment am Ende ausgeht, dieser massive Umschwung auf die Elektromobilität. Der 4,20 Meter lange, bis zu 180 km/h schnelle ID.3 ist ja quasi der Golf der Zukunft (über den Verbrenner-Golf der achten Generation redet man bei VW neuerdings weniger). Schon die nackten Produktionszahlen des ID.3 und seiner künftigen Bruder-Modelle sind gewaltig. Bis zu 300.000 Elektroautos jährlich sollen mittelfristig im völlig umgerüsteten Vorzeigewerk Zwickau von den Bändern rollen, 1500 Stromer pro Tag. Die müssen erst mal unter die Leute gebracht werden.
Zum Beispiel bei Flottenkunden. Da ist Stackmann echt optimistisch, zumal VW schon „im intensiven Dialog“ mit diesen Business-Kunden sei. Die hätten jetzt alle das Interesse, ihren ökologischen Footprint zu verändern und könnten zudem von günstigen Kosten profitieren. VW-Bestreben sei nämlich, dass sich schon zu Beginn der neuen Stromer-Ära die Summe der Unterhaltskosten (inklusive Versicherung) eines ID.3 auf der Höhe eines aktuellen VW Golf bewege. „Da wollen wir hin, das ist unser klares Ziel, und das wird funktionieren“, sagt Stackmann. Schließlich sei VW nicht ohne Grund Europas Flottenlieferant Nummer eins.
Stackmann hat auch keine Angst vor großen Worten. „Wir brechen heute mit unseren Kunden in eine neue Ära auf, Elektromobilität wird für uns zur Leittechnologie“. VW werde das E-Auto vom Nischenprodukt zum Massenphänomen machen. Punktum. Und dank der großen Skaleneffekte soll schon die erste Generation der ID.-Familie in ihrer Laufzeit profitabel werden. Noch so eine Ansage, aber neben dem Kompaktmodell sind ja auch diverse SUVs, der VW-Bus und eine Luxuslimousine geplant. Ganz abgesehen von den elektrischen Modellen der anderen Konzernmarken, die allesamt die neuen MEB-Plattform nutzen.
Und die Händler? „Die haben natürlich ein großes Fragzeichen für die Zukunft“, sieht Stackmann, zumal beim Stromer mit dem Service weniger zu verdienen sei. Diese Fakten müssten akzeptiert werden. Man wolle da aber „gemeinsame Wege für die Zukunft“ finden. Die Händler könnten sich ja zum Beispiel an den neuen Mobilitätssystemen beteiligen, die VW in großen Städten aufbauen will. Überhaupt: Sie sollten ihr Geld nicht in neue Glaspaläste, sondern mehr in intelligente Vernetzung und andere mobile Zukunftsthemen investieren. Der Konzern selbst, hat Stackmann erwähnt, werde bis 2023 rund 9 Milliarden Euro ausschließlich in die E-Mobilität investieren.
Am Rande der Berliner Pre Booking-Pressekonferenz war übrigens noch zu vernehmen, dass es unterhalb des ID.3 auch kleinere und deutlich preisgünstigere Modelle (richtig, ID.2 und ID.1) geben werde. Und dass der viersitzige City-Stromer VW e-up nach dem aktuellen Lieferstop in der zum Jahresende startenden gelifteten Version mit dann bis zu 260 Kilometer Reichweite tatsächlich noch mal deutlich günstiger werden soll, weil VW seine neuen Batterien günstiger einkaufen kann. „Deutlich unter 20.000 Euro“, wurde EDISON zugeflüstert.