Leistungsfähige Batterien sind komplizierte und empfindliche Wesen. Zum Beispiel altern Lithium-Ionen-Akkus im Laufe der Zeit. Bei jeder Ladung nehmen sie weniger Energie auf, irgendwann bleibt das E-Auto oder der elektrische Roller liegen, weil die Kraft nicht mehr ausreicht. Wann das genau sein wird? Das konnte bislang niemand wirklich präzise vorhersagen. Mit der Software des Start-ups Twaice soll sich das ändern. Sie liefert genaue Daten zum Gesundheitszustand einer Batterie – und sagt voraus, wie lange diese noch halten wird.
Man sollte meinen, dieses Wissen sei für die Hersteller von E-Fahrzeugen selbstverständlich. Aber weit gefehlt. „Bislang wird an Batteriesystemen lediglich der Ist-Zustand gemessen“, erklärt Stephan Rohr, einer der Twaice-Gründer. Eine vage Prozentangabe über den aktuellen Ladezustand sagt aber noch lange nicht, wie viel Lebenszeit dem System bleibt. Rohr und sein Mitgründer Michael Baumann haben in vier Jahren Entwicklungszeit eine Software programmiert, die solche Aussagen treffen kann.
Digitaler Zwilling simuliert den Alterungsprozess
Dazu wird jeweils ein digitaler Zwilling des Akkus geschaffen. Technisch dockt sich das Programm an das Batteriesystem an und arbeitet in der Cloud. Die Software kann den Zustand des Akkus simulieren, auch in die Zukunft hinein. „Wir erstellen ein Modell der Batterie, das kontinuierlich gepflegt wird“, erklärt der 31-jährige Rohr das Verfahren. Unter anderem setzen die Entwickler dazu Machine Learning ein. Zusätzlich werden an der Batterie Schritte angeschoben, die ihren Betrieb optimieren.
Das Ziel der Mühen: Der Akku soll so lange wie möglich genutzt werden. Beim Elektroauto macht er schließlich bis zur Hälfte des Fahrzeugwertes aus, das können 20.000 Euro und mehr sein. Bei einem Elektrobus kosten die Akkus sogar über 100.000 Euro. Es lohnt sich also, dieses Teil möglichst pfleglich zu behandeln.
Für Fahrzeuge und statische Speicher
„Wir berechnen bis auf die Zellebene hinunter den Alterungsprozess“, sagt Rohr. Die gesamte Batterie ist am Ende nur so stark wie ihre schwächste Zelle. Die Batterie besteht aus vielen einzelnen Zellen. Ein Tesla hat davon beispielsweise bis zu 8000 Stück. Für deren Lebensdauer sind viele Faktoren entscheidend: Die Außentemperatur, das Fahrverhalten und ganz besonders die Art, wie sie geladen werden. „Schnellladen verschleißt die Batterie besonders rasch“, sagt Rohr. Der digitale Zwilling registriert alles und berechnet daraus seine Prognosen, auf die Eigentümer oder Flottenbetreiber reagieren können. Sie tauschen dann aus, warten oder reparieren die Akkus genau nach Bedarf und nicht mehr nach einem starren Plan.
Einsetzen lässt sich das Twaice-Programm in jeder Art von Batteriesystem egal, ob die Akkus in Autos, Zügen, Baumaschinen oder auch in statischen Stromspeichern arbeiten. Gerade die werden beim Ausbau der erneuerbaren Energien immer öfter benötigt.
Verhandlungen mit Autokonzernen
Aktuell ist das Interesse der Autoindustrie an der Münchener Entwicklung besonders groß. Die Branche bereitet sich auf eine gewaltige E-Offensive vor. In spätestens zwei Jahren wollen sämtliche großen deutschen Hersteller eine Palette elektrifizierter Antriebe auf den Markt bringen. „Wir haben einen extrem guten Zulauf“, berichtet Rohr. Sein Start-up hat er erst im Juni gegründet, heute verhandelt er bereits mit mehreren Autokonzernen über Lizenzen für die Software.
Rohr und Baumann kennen viele der jetzigen Gesprächspartner schon aus ihrer Forschungszeit. Als Doktoranden an der TU München hatten sie die Software in Kooperation mit der Industrie entwickelt. Bei der Ausgründung war dann bereits klar, dass ein steigender Bedarf für die Idee besteht. Der Käufer eines E-Autos oder elektrischen Scooters wird von der Twaice-Erfindung übrigens kaum etwas bemerken. Er stellt höchstens fest, dass die Batterie seines Fahrzeugs länger durchhält als gedacht.