Götz E. Rehn, Jahrgang 1950, hat seinen Jaguar I-Pace in graumetallic bestellt, mit Stoffsitzen schwarz-weiß kariert. „Ich liebe Stoff und ich denke, es ist auch umweltfreundlicher als Leder. Obendrein ist es wärmer – da kann ich mir eine Sitzheizung sparen.“ Etwa im Mai soll er das Elektromobil geliefert bekommen. Um einen Ladeplatz braucht sich der Alnatura-Chef Rehn keine Sorgen zu machen: Am neuen Unternehmenssitz, den der Biohändler Ende Januar bezogen hat, gibt es 24 Ladestationen mit je zwei Plätzen. Das sollte eigentlich mittelfristig reichen.

Aber sind es auch die richtigen Säulen? Die Frage bringt ihn ins Grübeln – und trägt der Pressesprecherin einen Rechercheauftrag ein. „Für meinen Jaguar bräuchte ich eigentlich eine Gleichstrom-Schnellladesäule“ – mit Wechselstrom, so weiß er inzwischen, könnte es immerhin bis zu 14 Stunden dauern, bis der Akku voll ist. Rehn macht sich keine Illusionen: „Ja, ich weiß, dass es durch die Elektromobilität in meinem Alltag etwas ungemütlicher werden wird.“ Aber er lässt sich dadurch nicht beirren: „Ich mache das, weil ich mithelfen will, etwas Neues, Nachhaltigeres entstehen zu lassen.“ Rehn ist ein umweltbewegter Überzeugungstäter, das zeigt das Interview mit ihm sehr schnell.

Herr Rehn, seit wann sind Sie elektrisch bewegt?
Vor acht Jahren wurde mir nach einem Gespräch mit Norbert Reithofer, (dem Vorsitzenden des BMW-Aufsichtsrats, Anmerkung der Redaktion) testweise einen E-Mini zur Verfügung gestellt. Das war spannend, vor allem im Winter, wenn es draußen richtig kalt war. Ich bin mit dem Elektro-Mini zu einem Vortrag nach Frankfurt gefahren und musste mich am Zielort erst einmal aufwärmen, weil ich die Heizung heruntergedreht hatte, um die Batterie zu schonen und Reichweite zu gewinnen. Beeindruckend war die Beschleunigung, auch die Rekuperation war extrem gut. Der E-Mini hat mir viel Spaß gemacht, es war ein witziges Auto – und hat immer funktioniert. Einmal im Jahr holte BMW ihn zurück ins Werk zum Check. Ich hätte ihn gerne behalten, aber es war nur ein Prototyp, der nach dem Alltagstest zurückgegeben werden musste.

Reichweitenangst haben Sie also durchaus erlebt?
Richtig Angst nicht, denn ich hatte damals noch einen anderen Wagen mit konventionellem Antrieb. Und ich habe mir immer genau überlegt, wie weit ich fahren würde. Im innerstädtischen Verkehr und auf der Kurzstrecke brauchte ich nie zu überlegen, bei längeren Strecken schon. Einmal bin ich allerdings in die Bredouille geraten, weil ich in Frankfurt keine freie oder funktionierende Ladesäule fand. Ich bin dann am Abend mit dem allerletzten Kilowatt zurück auf den Hof gerollt. Da hatte ich dann doch etwas Sorge. Denn es ist ja schon unangenehm, mit dem Auto liegen zu bleiben, ohne viel machen zu können.

Trotzdem sind Sie auf dem Pfad weitergegangen. Was war Ihre Motivation?
Eine neue Technologie auszuprobieren. Und Alnatura will ja einen Beitrag leisten, die Situation auf der Erde zu verbessern. Nicht nur mit unseren Bioprodukten, sondern auch mit den Leistungen, die wir erbringen oder einkaufen. Da lag es nahe, eine alternative Fortbewegungsform zu wählen, zumal wir unsere Gebäude schon lange mit Ökostrom von den Stromrebellen aus dem Schwarzwald betreiben.

Dann hätte es doch eigentlich nahegelegen, nach dem E-Mini auf einen BMW i3 umzusteigen.
Der Wagen gefällt mir optisch nicht so sehr: Ich verstehe nicht, warum ein Elektroauto unbedingt ganz anders aussehen muss als ein konventionell angetriebenes. Ich will mich einfach sinnvoll fortbewegen. Der Jaguar ist für mich ein positives Beispiel für eine gelungene Gestaltung. Außerdem bietet er einen großzügigen Innenraum bei akzeptablen Außenmaßen. Er hat damit insgesamt ganz vernünftige Proportionen.

Was haben Sie früher so an Autos bewegt?
Als Kind war ich ein großer Seifenkisten-Fan. Nächste Etappe in meiner Auto-Biographie waren Tretroller mit Beiwagen, mit denen wir die Hänge des Schwarzwalds runtersausten. Später als Student habe ich dann mit dem Geld, das ich als Skilehrer und Reiseleiter, aber auch im Autohandel verdiente, einen VW Käfer 1302S gekauft. In den habe ich eine Vierfach-Vergaser-Anlage eingebaut und mit kurzen Hosenrohren versehen. Ich kam dadurch auf eine Leistung von 75 PS – das war etwa so viel, wie damals ein Porsche 356 Super 90 hatte. Dann habe ich noch den Auspuff mit Hilfe eines Heizungsbauers optimiert. Das war schon ein interessantes Gerät.

Das hätte ich jetzt aber nicht von dem umweltbewegten Alnatura-Chef erwartet.
(Lacht) Sie müssen Menschen auch eine Entwicklung zu vernünftigerem Denken zutrauen. Ich habe eine Zeit lang sogar Porsche-Fahrzeuge verkauft, bin selbst auch Alfa und Audi gefahren und habe zeitweise einen VW Golf GTi 16-Ventiler besessen.

Wie beurteilen Sie ein Auto?
Wenn ich mir etwas in der Welt anschaue, zum Beispiel ein Auto, dann achte ich zunächst auf die Optik. Im zweiten Schritt prüfe ich dann die Funktion. Ich bin 1,95 Meter groß, habe relativ lange Beine und Schuhgröße 47. Damit wird es spannend: Kann ich in dem Auto überhaupt sitzen? Im Tesla S stoße ich mit dem Kopf an den Himmel, das Tesla Model X ist optisch nicht so attraktiv und viel zu groß. Beim Jaguar konnte ich den Sitz und das Lenkrad so einstellen, dass es sofort passte. Obendrein ist Jaguar der erste Hersteller, der ein Elektroauto in absehbarer Zeit liefern kann. Und wenn man nicht überall in der Bestellliste ein Kreuz macht, ist das Preis-Leistungsverhältnis auch ganz ordentlich. Obendrein hat der I-Pace eine elegante, nicht zu aufdringliche Form. Alles in allem ist das für mich ein stimmiges Paket.

Die Fahrleistungen interessierten Sie nicht so sehr?
Oh doch, sehr wohl. Mit Leistung und Performance beschäftige ich mich – nach Optik und Sitzprobe – in der dritten Prüfungsstufe.

Wie fiel da beim I-Pace Ihr Urteil aus?

Die Straßenlage des Jaguars ist sehr gut, was bei einem Gewicht von über zwei Tonnen und dem Luftfahrwerk allerdings auch kein Wunder ist. Deshalb waren übrigens Autos mit Hybridantrieb nie eine Option für mich – die schleppen mehr Gewicht mit sich herum und haben aus Kostengründen meist auch nur einen simplen Verbrennungsmotor an Bord, so dass die Performance meist nicht überzeugt. Der Bau von Hybridautos ist für mich „Window-Dressing“. Denn wenn man über eine Schlucht springen will, muss man mit einem Satz rüberkommen – mit halber Kraft landet man im Wasser.

Der Jaguar kommt theoretisch bis zu 400 Kilometer mit einer Akkuladung weit, im Alltag gut 300 Kilometer. Das reicht Ihnen?

Die werde ich wahrscheinlich nie voll ausnutzen. Denn Elektroautos bewegt man zurückhaltend, vorausschauend, umweltfreundlich und nur gelegentlich schneller als 150 km/h. Man braucht dafür eine gewisse Reife, um seine Emotionen jederzeit voll im Griff zu haben.

In jungen Jahren wäre das Auto also nichts für Sie gewesen?
Sicher nicht, nein.

Die Maxime von Alnatura lautet: Sinnvoll für Mensch und Erde. Gilt das aus Ihrer Sicht auch für das Elektroauto an sich?
Ich möchte über einen Umweg antworten: Es ist naiv anzunehmen, dass wir unsere Natur und die Ressourcen der Welt nicht brauchen, um uns weiter zu entwickeln. Wenn Sie über eine Rasenfläche schlendern, schaden Sie dem Rasen. Das ist eine Lebensrealität. Daraus ergibt sich die Frage, mit welchem Ziel Sie über den Rasen laufen. Unser Anliegen ist es: Bei allem, was wir tun, darüber nachzudenken, wie wir das, was wir schaffen, so nachhaltig wie möglich machen können. Das heißt für mich, dass wir den Dingen, die uns die Erde gibt, eine neue, höhere Qualität geben müssen.

Gute Idee. Wo praktizieren Sie das?
Bei unserem neuen Bürogebäude nutzen wir beispielsweise die Abfälle von Stuttgart21 – den Lehmaushub aus der Baugrube – um sie in einer großen Stampfmaschine in 13 Schritten zu großen Blöcken zu formen. Zusammen mit Holz und auch Eisen haben wir damit ein Gebäude gestaltet, das nicht nur durch seine Form ansprechend ist. So lässt sich sehr schön mit der Natur arbeiten. Das ist meines Erachtens die eigentliche Aufgabe des Menschen. Wir sind schöpferisch und sollten die Fähigkeit nutzen, um etwas Schönes aus den Ressourcen zu machen – ohne die Erde zu belasten. Auch unser Hochregallager für 30.000 Euro-Paletten haben wir nachhaltig aus Holz gebaut.

Nämlich?
Dort bestehen die Außenwände aus heimischem Lärchenholz. Zum Ausgleich haben wir dafür viele Bäume neu gepflanzt. Die Halle steht in einer weißen Betonwanne und reicht zwei Meter unter den Grundwasserspiegel des Rheins. Dadurch kommen wir dort ohne jegliche Heizung und Kühlung aus. Das ist Zusammenarbeit mit der Natur. Mich enttäuscht, dass solche Lösungen viel zu selten zum Einsatz kommen: Wir wirtschaften heute viel zu einseitig profitorientiert und schaffen damit Probleme, deren Lösung wir der nächsten Generation überlassen. Wer heute Glyphosat und Kunstdünger über die Äcker verteilt, darf sich nicht wundern, wenn die Reinigung des Grundwassers immer aufwändiger wird.

Daraus folgt – keine Chemie mehr?
Wir sollten Wirtschaft neu denken, so dass profitable Lösungen für Mensch UND Natur entstehen. Es ist doch keine Leistung, etwas zu nutzen, ohne dafür zu bezahlen, ohne die Folgekosten für das Gemeinwohl zu berücksichtigen.

Wie kommen wir von der Erkenntnis zurück zum Elektroauto?
Ganz einfach: Die Elektromobilität muss in den Gesamtkontext Mobilität gesetzt werden und in die Frage: Wie bewegen wir Menschen und Güter sinnvoll? Das geht nicht allein mit Autos, sondern muss intermodal geschehen, etwa durch die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel. Wir haben deshalb für unseren neuen Unternehmenssitz ein Verkehrskonzept entwickelt, das all das berücksichtigt – Elektrofahrzeuge spielen dabei eine wichtige Rolle. Aber es wäre auch hier naiv zu glauben, dass es reicht, den Antrieb zu wechseln. Wir brauchen vielmehr ein grundsätzlich anderes Denken.

Also eine Art „Umparken im Kopf“? Davor scheuen viele Menschen zurück.
Weil es falsch ist, nur in Schwarz und Weiß zu denken. Alles in der Natur durchläuft eine Entwicklung: Eine Rose, die jetzt vertrocknet ist, fängt nicht im Frühjahr ganz plötzlich zu Blühen an. Sie durchlebt eine Gestaltmetamorphose. Und so muss man auch die Veränderungen im Mobilitätsverhalten sehen: Wir brauchen zunächst eine Veränderung des Denkens, bevor wir den Hebel umlegen können. Sonst holt man sich ein blaues Auge.

Wie ließe sich die notwendige Veränderung einleiten?
Was unserer Gesellschaft fehlt, sind positive Beispiele. Wir kritisieren nur, suchen zu wenig nach Alternativen. Wir müssen also viel mehr Lösungen anbieten, damit sie aufgegriffen werden. Ich würde mich deshalb auch freuen, wenn das Erfolgsmodell von Alnatura viele Nachahmer finden würde.

Ihr neues Verkehrskonzept sieht am Firmenstandort eine ganze Reihe von Ladestationen vor. Nur für die Fahrzeuge der Mitarbeiter oder auch für den Lieferverkehr?
Das ist ein ganz zentrales Element: Wie bekommen wir die Ware umweltverträglich zu den Kunden? Durch die Digitalisierung könnten wir uns – wie früher die Könige – alle Waren zu uns ins Haus kommen lassen. Für mich ist das nichts: Ich möchte die Lebensmittel riechen, sehen, fühlen. Ich möchte den Salat, Mangold oder Fenchel anschauen, nicht nur Symbolbilder anklicken. Auch viele unserer Kunden denken so, sie kommen immer noch gerne in unsere Läden. Aber natürlich müssen wir uns auch auf die Menschen einstellen, die ihren Bedarf per Computer erledigen und sich die Waren liefern lassen. Für sie müssen wir uns Konzepte einfallen lassen, um die Transporte möglichst umweltverträglich zu gestalten. Zum Beispiel mit Elektrotransportern oder auch Lastenrädern.

Sie machen sich augenscheinlich viele Gedanken um die Umwelt und Natur. Kennen Sie denn auch Ihren persönlichen CO2-Fußabdruck?
Nein, noch nicht. Aber der Natur- und Klimaschutz ist mir eine Herzensangelegenheit. Natürlich nutze ich auch daheim nur Ökostrom. Und mein Auto war auch ein Faktor, bei dem ich mir dachte, da gibt es unter CO2-Gesichtspunkten eine Menge Verbesserungspotenzial. Auch wenn ich sehr viel Fahrrad fahre – ohne Elektro.

Warum?
Weil ich mich gerne bewege und nicht jeden Tag einen Berg erklimmen muss.

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