Ein kurzer Klick auf die Smartphone-App und wenige Minuten später kommt das Lastenrad um die Ecke gerauscht. Es bietet Platz genug, um die Einkäufe darauf zu verstauen und ganz bequem durch den Stadtverkehr nach Hause zu radeln. Sind die Tüten ausgeladen, rollt das elektrische Gefährt nach einem weiteren Tastendruck wieder davon – in ein zentrales Depot oder zum nächsten Kunden. Dass das Realität wird, daran arbeiten Forscher der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Entstanden ist die Idee ganz zufällig. Juniorprofessor Stephan Schmidt vom Lehrstuhl Autonomes Fahren der Fakultät für Maschinenbau forschte an autonomen Autos und wollte seine Algorithmen in der Praxis testen. An einem Auto war dies zu aufwendig. Etwas Kleineres musste her. „Da kam relativ schnell das Rad ins Spiel“, erklärt der Ingenieur. Kaum war die Idee geboren, hat sich das Projekt zum Selbstläufer entwickelt.
Seit einem Jahr tüfteln Schmidt und sein Kollege, der Informatiker und Juniorprofessor Sebastian Zug, in einem Team aus Maschinenbauern, Informatikern, Logistikern und Umweltpsychologen an dem E-Lastenrad, das auf Befehl angeradelt kommt und eines Tages von jedem beliebigen Ort der Stadt aus gerufen werden kann. Der Weg bis zur Marktreife ist allerdings noch ziemlich weit. Drei Jahre Arbeit liegt vor den Wissenschaftlern, bevor sie das Gefährt als Prototyp bezeichnen. Die Anfänge sind jedoch mehr als versprechend. Die ersten Probeläufe hat das autonome Fahrrad bewältigt. In Zukunft könnte es den öffentlichen Nahverkehr ergänzen und eine ökologische Alternative zum Auto sein. „Ein Rad kommt in der Innenstadt schneller durch verstopfte Straßen als ein Auto, das oft im Stau steht – auch wenn es automatisiert ist“, so Schmidt.
Nicht der Hund macht Schwierigkeiten – sondern die Hundeleine
Die Technik funktioniert ganz ähnlich wie beim Auto – eine Stereokamera, ein Laserscanner und ein Radar analysieren das Umfeld. Sensoren messen Raddrehzahl und Beschleunigung und ermitteln gemeinsam mit der Umfeldsensorik die Position. GPS ergänzt das System. Eine automatisierte Bremse ist gerade im Aufbau. Im Detail gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zum selbstfahrenden Auto: bei einem Rad gibt es weniger Bauraum. Die aufwendige Technik muss irgendwie Halt am Lenkrad finden und für den Strom muss der Akku reichen. Da das E-Lastenrad auf dem Radweg und nicht auf der Straße fährt, besteht eine sehr enge Interaktion mit anderen Personen. „Das ist sehr viel herausfordernder als bei einem Auto“, erklärt Schmidt. Andererseits fährt ein Rad auch langsamer als ein Auto, was mehr Zeit für die Datenverarbeitung ermöglicht und das Kollisionspotenzial verringert.
Im Stadtpark von Magdeburg bewies das derzeit vermutlich technisch komplexeste E-Lastenrad, dass es funktioniert. Dafür mussten die Wissenschaftler den Weg abfahren und alle Hindernisse wie Straßenlampen, Bordsteinkanten oder auch Poller kartografieren und den Untergrund aufzeigen. Schmidt: „Die Bildverarbeitungsalgorithmen benötigen die Information, ob unter den Rädern Schotter, Kopfstein oder eine gepflasterte Straße ist.“ Unebene Strecken seien eine echte Herausforderung für die Bildverarbeitung.
Passanten hat das Dreirad erkannt und dann gebremst und gewartet, dass sie passieren. Das ist so vorgesehen, denn ausweichen kann es noch nicht. Problematisch sind oft die Dinge, an die man erst gar nicht denkt: So stellen beispielsweise nicht die herumspringenden Hunde ein großes Problem dar, sondern viel mehr die schmalen Hundeleinen, die sich schon mal quer über den Radweg spannen, wenn der Hund einen anderen Weg als sein Mensch einschlägt. „Der Laserscanner hat Schwierigkeiten, dies zu erkennen“, sagt Schmidt.
Passanten sind überraschend aufgeschlossen
Eine der größten Herausforderungen des Projektes liege aber in der fehlertoleranten Umgebungserfassung, ergänzt Zug. „Also in der zuverlässigen Analyse, wo sich das Fahrrad global und vor allem in Bezug auf die intendierte Fahrspur befindet.“ Bisher ist die Umfeldwahrnehmung eher noch rudimentär. Laserscanner und Kameras sind zwar in der Lage, dem vorgegebenen Weg zu folgen und anzuhalten, wenn ein Fußgänger den Weg kreuzt. Ein autonomes Bike muss aber auch wissen, wohin sich Autos, Fußgänger oder andere Radfahrer bewegen, um den eigenen Weg zu planen und ihnen ausweichen zu können.
„Besonders spannend ist für uns dabei, wie die Interaktion mit Passanten gestaltet werden kann und welche Faktoren sich auf die Akzeptanz des E-Bikes auswirken“, sagt Karen Krause vom Lehrstuhl für Umweltpsychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Bei den ersten Fahrversuchen hat sich bereits gezeigt, dass Menschen der Technik grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Überrascht waren die Wissenschaftler vor allem davon, wie viel Grundvertrauen die Menschen einem autonomen Rad gegenüber entgegenbringen. „Passanten gehen automatisch davon aus, dass das Rad anhält, wenn sie sich davorstellen“, schildert Schmidt seine ersten Erfahrungen.
Rechtsrahmen fehlt bisher
Die Entwicklung eines autonomen Lastenrads mache eine Vielzahl ingenieurwissenschaftlicher, betriebswirtschaftlicher, sozial- und humanwissenschaftlicher Entscheidungen notwendig, so der Juniorprofessor. Alleine die Überquerung einer viel befahrenen Straße ohne Ampel bringe nicht nur technisch, sondern auch juristisch und wahrnehmungspsychologisch erhebliche Herausforderungen. Ein Rechtsrahmen fehlt bisher, autonomes Fahren auf einem Radweg ist nicht erlaubt. Die Wissenschaftler wollen hierfür eine Ausnahmegenehmigung beantragen.
Zunächst wird das Lastenrad ab 2020 in einem Bike-Sharing-System mit Fahrradruffunktion auf dem Universitätscampus getestet. Ein überschaubares Areal, das Schmidt und seine Kollegen kartografieren und für das sie definierte Routen von der Uni bis zum Bahnhof und der Straßenbahn vorgeben. Wann das Bike, das per Klick auf die App angeradelt kommt, tatsächlich in den Straßen von Magdeburg unterwegs ist, ist noch offen.