Die beiden verstehen sich als Retter: Was andere wegwerfen, weil es zu alt oder scheinbar kaputt ist, ist für Heide und Horand Thönges nur der Ausgangspunkt, etwas Neues entstehen zu lassen. Ihre Spezialität sind Fahrräder. In ihrer Freizeit sammeln die beiden Münchner im eigenen Wohnzimmer und im Hinterhof lädierte, manchmal fast völlig zerstörte Drahtesel und machen sie wieder einsatztauglich.
Die Räder bekommen sie gespendet, in Massen stehen sie bei den Thönges herum. Bisher war die Fahrradschrauberei bloß ein Hobby, doch jetzt wollen die beiden ihre Liebe zum Upcycling ausbauen und zur Hauptbeschäftigung machen. Deshalb sammeln sie derzeit für ihre „Radlretterei“ per Crowdfunding Kapital. Im Januar soll es losgehen.
Einzigartige Räder mit Geschichte
Eigentlich ist eine Manufaktur für Fahrräder nichts Neues. Viele Menschen geben Tausende von Euro aus, um ein nagelneues, genau für ihre Bedürfnisse zusammengestelltes Zweirad zu bekommen. Coole, handgearbeitete Räder mit einer langen Geschichte sind das allerdings selten. Die Radlretterei will diese Lücke füllen. Die Idee der Gründer: Alte Drahtesel mit viel Liebe und Mühe aufmöbeln und dann als Unikate verkaufen. Horand Thönges will zwischen 50 und 200 Euro pro Stück verlangen, je nachdem, wie viel Aufwand bei der Restaurierung nötig ist. Der 37-jährige ist vielseitig: Noch arbeitet er als Angestellter im Sozialbereich. Doch eine seiner vier Ausbildungen hat er als Schlosser gemacht – beste Voraussetzung also für einen Fahrrad-Bastler.
Eine herkömmliche Reparaturwerkstatt plant er aber nicht. Stattdessen nennt Thönges die Radlretterei eine „Auffangstation“. Mit ihrer Idee sprechen die Radlretter gleich mehrere Trend-Themen an: Nachhaltigkeit, Müllvermeidung, individuelle Gegenstände als Ausdruck eines Lebensgefühls – und natürlich eine emissionsfreie Mobilität.
500 Fahrräder auf der Warteliste
Auch deshalb ist die Nachfrage nach den Diensten der Radlretter groß. Fast zu groß, um weiter bloß in der Freizeit an den gespendeten Rädern zu basteln. Denn an diesen herrscht kein Mangel – im Gegenteil. „Auf der Warteliste stehen 500 Räder, die wir abholen sollen“, sagt Horand Thönges. „Wir haben aber einfach keinen Platz dafür.“ Er bekommt Drahtesel von überall angeboten. Schließlich stehen alte Räder in fast jedem Keller, werden regelmäßig an Bahnhöfen abgestellt oder landen an Straßenrändern. Solche „Radleichen“ machen sie dann im Münchener Westend wieder flott.
Oft landen aber auch nagelneue Fahrräder bei den Thönges, beispielsweise von Menschen, die aus der Stadt wegziehen, oder von Paaren, die sich trennen. „Dann wollen die ganz schnell die gemeinsamen Räder loswerden“, stellt Horand Thönges immer wieder fest. Die Radlretter nehmen sie natürlich gerne.
Er will das Projekt nun professioneller aufziehen und deshalb einen Laden eröffnen. Die Philosophie der Radlretter wird sich allerdings nicht ändern: Die beiden Gründer wollen möglichst viel Müll vermeiden und einzigartige Fahrräder anbieten. Die Werkstatt wollen die beiden dann übrigens hauptsächlich mit wiederverwerteten Gegenständen bestücken. Denn retten lassen sich schließlich nicht nur Fahrräder – auch Möbeln und Werkzeugen kann man ein zweites Leben schenken.