Kempten und New York haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Das eine ist die Weltmetropole schlechthin, das andere eine 70.000 Einwohner Kleinstadt im Allgäu. Doch so unterschiedlich die Städte auch sein mögen, mindestens eine Sache haben sie gemeinsam: Innovativ denkende Menschen. In der amerikanischen Metropole gibt es das Start-Up LO3 Energy und in Kempten das Allgäuer Äquivalent: Das Überlandwerk (AÜW).

Der deutsche Energieversorger hat sich ein Vorbild am New Yorker Start-up genommen und will dessen Konzept auch hier umsetzen: Ein Microgrid, für das die Blockchain-Technologie genutzt wird. Das „Brooklyn Microgrid“ ist das wohl bekannteste Beispiel, das die Blockchain-Technik einsetzt. LO3 nutzt diese für ein virtuelles Stromnetz, in dem überschüssige Energie von regenerativen Erzeugungsanlagen direkt in der Nachbarschaft verkauft wird. Die Blockchain gilt als besonders fälschungssicher und bildet die Grundlage für die Vertragsabschlüsse.

Ökostrom direkt vom Nachbarn beziehen

Was in New York funktioniert kann auch in Kempten funktionieren, hat sich das AÜW gedacht. In Zusammenarbeit mit dem New Yorker Start-Up will der Energieversorger und Netzbetreiber aus dem Allgäu die Umsetzbarkeit testen. Im deutschen Energiemarkt kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich.

Statt wie bisher Strom von einem Stromversorger zu beziehen, sollen Haushalte aus einer Vielzahl verschiedener Lieferanten ihre Stromquellen flexibel selbst auswählen können. Selbst produzierter Strom soll auch nicht wie bisher über die EEG-Vergütung einfach ins Netz eingespeist, sondern lokal an den Nachbarn verkauft werden. So kann man Ökostrom nutzen, der direkt aus der Region stammt. Einen Energieversorger gibt es in diesem System nicht mehr. Selbst eine Bank ist überflüssig. Die Abwicklung erfolgt über die Blockchain, mit deren Hilfe die Vielzahl der Handelsgeschäfte dezentral verifiziert und gespeichert werden.

Beim AÜW werden Pilotkunden mit einem von LO3 Energy speziell entwickelten Smart Meter ausgestattet. Dieser ist in der Blockchain integriert. Mithilfe einer darauf zugeschnittenen App können die Pilotkunden auf einer Plattform untereinander handeln. Dabei geben die Kunden Präferenzen an, wie sich ihr lokal erzeugter Strommix zusammensetzen soll. Bezahlt wird mit einer digitalen Währung.

„Prosumer“ statt Verbraucher

Das Überlandwerk will mit dem dreijährigen Versuchsprojekt, das 2018 startet, die Chancen der Digitalisierung nutzen. Denn im Energiemarkt der Zukunft werden Haushalte eine wesentlich aktivere Rolle einnehmen als bisher. Reinen Stromverbraucher wandeln sich zu sogenannten Prosumern, die sowohl Strom verbrauchen als auch selbst produzieren. Die damit verbundene stärkere dezentrale Einspeisung von erneuerbaren Energien in niedere Spannungsebenen ist eine der Herausforderungen für Energieversorger und Netzbetreiber.

„Als innovativer Energieversorger sehen wir die Blockchain-Technologie als einen Baustein, um die Herausforderungen zu meistern“, so AÜW-Geschäftsführer Michael Lucke. Lawrence Orsini jedenfalls scheint er begeistert zu haben. Der CEO von LO3 Energy ist überzeugt, dass die Plattform den Besitzern von Photovoltaikanlagen eine alternative Vermarktungsmöglichkeit bietet, wenn die EEG-Vergütung in den nächsten Jahren für die ersten Anlagen ausläuft.

Das AÜW ist nicht das einzige Projekt in Deutschland für den innovativen CEO aus den USA. Mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem Energieversorger Energie Südwest AG baut Lawrence Orsini eine ebenfalls blockchain-basierte Handelsplattform auf. In dem Projekt untersuchen sie die sich ergebenden Marktpreise für lokal erzeugten Strom aus erneuerbaren Energiequellen, die dabei greifenden Marktmechanismen und die Akzeptanz der Teilnehmer für lokale Energiemärkte.

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