Geht es nach Dieter Zetsche, sind die Jahre, in denen in seinem Konzern halbherzig mit der Elektromobilität umgegangen wurde, endgültig vorbei. „Mit dem EQC als erstem vollelektrischen SUV von Mercedes-Benz legen wir den Schalter um“, versprach der Daimler-Chef, „der E-Antrieb ist ein wichtiger Baustein der Mobilität der Zukunft.“

Das elektrisch angetriebene Mittelklasse-SUV namens EQC, das Daimler am Dienstag präsentierte, soll den Weg für eine ganze Flotte von Elektroautos ebnen. „Wir investieren in den nächsten Jahren mehr als zehn Milliarden Euro in neue EQ Produkte und über eine Milliarde in die Batterieproduktion“, kündigte Zetsche an.

Zwei Jahre zuvor stand der Automanager schon einmal auf der Bühne der Kunsthalle Artipelag, die östlich von Stockholm mitten in den Schären liegt. Damals, im Oktober 2016, präsentierte der Daimler-Boss hier die X-Klasse, ein Pickup-Modell. Da der Pritschen-Mercedes im Kern auf einem Nissan Navara basiert, witzelten damals nicht wenige, ob das zum Selbstverständnis des Konzerns passe, der nach eigenem Selbstverständnis einst das Automobil erfand: Einen Stern auf ein japanisches Auto zu kleben.

Dieses Mal lassen Zetsche und seine Mannen keine Zweifel aufkommen, dass der EQC „ein echter Mercedes“ ist. „Die ganze Philosophie hinter dem Projekt war: Wie machen wir einen echten Mercedes als Elektroauto?“, sagt Entwicklungsvorstand Ola Källenius. „Sicherheit, Komfort, Fahrgefühl, jedes Puzzleteil muss stimmen.“

Eckdaten sorgen nicht mehr für Begeisterung

Doch der Blick auf die Eckdaten trübt ein wenig das Bild des innovativen Autos, des Elektro-Pioniers unter den Mercedes-Modellen. Der Akku im Unterboden hat eine Kapazität von 80 Kilowattstunden (kWh), was für eine Reichweite von immerhin 450 Kilometern reicht. Allerdings gemessen nach dem alten Verfahren NEFZ – nach dem neuen Verfahren WLTP dürfte mit einer Akkuladung maximal eine Reichweite von 400 Kilometern zu erzielen sein.

Dank einer Ladeleistung von 110 kW Gleichstrom vergehen an einem Schnelllader immerhin nur etwa 40 Minuten, bis der komplett entleerte Akku wieder zu 80 Prozent gefüllt ist. Die beiden E-Maschinen leisten zusammen 300 kW – das sind 408 PS in der alten Autowelt. Diese Werte versprechen ein ordentliches Premium-Elektroauto nach aktuellem Stand der Technik. Mehr aber auch nicht, wie der Vergleich mit der Konkurrenz zeigt.

Jaguar und Tesla haben vorgelegt

Der Audi e-tron, der noch vor dem EQC auf den Markt kommt, schafft dank einer Batterie mit einer Speicherkapazität von 95 kWh etliche Kilometer mehr. Ähnliches gilt für den Jaguar I-Pace, der mit einer 90-kWh-Batterie bis zu 480 Kilometer weit kommen soll – nach der strengeren WLTP-Norm, wohlgemerkt. Und das Tesla Model X bietet mit einer Auswahl an verschiedenen Akkugrößen und Leistungsstufen deutlich mehr Varianten – einzig vergleichbare WLTP-Verbrauchs- und Reichweitenangaben fehlen bei Tesla noch. Auch bei der Effizienz kann der Elektro-Mercedes nur bedingt punkten, wenn man Reichweite, Leistung und Batteriekapazität in Relation zueinander setzt.

Ob wenigstens die Preise auf dem Niveau der Konkurrenz liegen, ist derzeit noch offen: Was Mercedes für den EQC aufrufen wird, soll erst 2019 bekannt gegeben werden. Mercedes betont, einen „wettbewerbsfähigen Preis“ bieten zu wollen, mehr aber auch nicht. Die rund 78.000 Euro für einen Jaguar I-Pace und 99.000 Euro für ein Tesla Model X 75 dürften wohl den Rahmen vorgeben.

Gleiche Leistung, etwas kleinere Batterie und Reichweite, ähnlicher Preis. Was also hebt den EQC vom Wettbewerb ab? Spötter sagen die Anhängerkupplung, die Audi bei dem e-tron wohl nicht anbieten wird. De facto sind es eben jene Themen, die sich nicht so einfach auf dem Papier vergleichen lassen.

Mercedes-Innenleben soll überzeugen

Die Rede ist vom Ökosystem, in welches das Elektroauto eingebettet ist. Die Fahrt mit einem Elektroauto beginnt meist vor der eigentlichen Fahrt. Wann fahre ich jeden Tag zur Arbeit? Oder fahre ich nicht die übliche Pendelstrecke, sondern eine ungewöhnlich lange Strecke? Mit solchen Infos wird das Erlebnis Elektroauto besser: Wird die Batterie vorkonditioniert, während der Wagen noch am Strom hängt, schont das Reichweite und Lebensdauer. Wie nahtlos kommuniziert das Auto während des Ladevorgangs mit dem Nutzer, etwa per App? Wie gut bindet sich das Auto in den Alltag ein?

Das bleibt bis zu den ersten Testfahrten mit den entsprechenden Elektroautos abzuwarten. Und selbst dann lässt es sich nicht abschließend und allgemeingültig beantworten. Die Anforderungen und Voraussetzungen der (potenziellen) Fahrer sind zu unterschiedlich. Kann ich zu Hause laden, an der Wallbox oder Haushaltssteckdose? Wie sieht die Fahrstrecke, das Umfeld und das Klima aus? Ein gut passendes Ökosystem wird im Alltag wichtiger sein als der ein oder andere Kilometer Reichweite.

Bleibt der wichtige Punkt, dass Mercedes den EQC auch erst einmal an den Mann oder die Frau bringen muss. Und da gehen die Stuttgarter tatsächlich neue Wege: Mercedes hat mit EQ eine Submarke geschaffen, unter der alle bislang angekündigten Elektroautos auf den Markt kommen sollen. Dass es ein Mercedes-EQ und kein Mercedes-Benz ist, soll jedem auf den ersten Blick klar werden. Aus diesem Grund kommen alle EQ-Modelle mit einem eigenständigen Design. Stern auf der Haube ja, aber eben kein klassischer Mercedes.

Genau da liegt aber auch eines der großen Risiken des EQC: Mit der Entscheidung für die Submarke will der Vorstand eine neue Zielgruppe für das neue Elektroauto ansprechen. Wer einen EQC fährt, zeigt schon mit dem eigenständigen Design, dass er anders ist. Zwar hat der EQC, anders als das Concept Car wieder einen klassischen Kühlergrill. Mit den markanten Tagfahrlichtern, dem schwarzen Element an der Front und der durchgehenden roten LED am Heck fällt er dennoch auf. Entwicklungschef Källenius freut sich über einen „futuristischen Hightech-Look“. Wer einfach nur einen guten Mercedes mit elektrischem Antrieb will, schaut allerdings in die Röhre.

Das zeigt sich besonders beim Vergleich mit dem Bruder im Geiste, dem konventionell angetriebenen GLC. Ja, der Vergleich hinkt. Die Gemeinsamkeiten der beiden Modelle sind gerade einmal so groß, dass sie zusammen im Werk Bremen gebaut werden können. 80 Prozent der Teile sind unterschiedlich, betont Mercedes.

Und dennoch: Wer sich für einen GLC interessiert – ein zeitlos-elegantes SUV der Mittelklasse, das im heutigen Straßenbild kaum auffällt – wird sich kaum einen EQC zulegen, mit dem er als bunter Hund aus der Menge herausragt. Die aktuellen Lieferzeiten von 18 Monaten zeigen, wie groß das Interesse am GLC weltweit ist. Eine große Zielgruppe, in der sicher auch viele potenzielle Elektro-Kunden sind. Die sich aber bewusst für den GLC entschieden haben, obwohl der EQC beinahe vor der Tür steht – Mitte 2019 soll der Elektro-Mercedes zu den Händlern kommen.

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