Wer die Pressemitteilung der Universität Witten/Herdecke liest, der könnte meinen, dem Absolventen Fabian Stein sei etwas Bahnbrechendes, ja nahezu Magisches gelungen: „Startup verwandelt 31 Plastikflaschen in modischen Reiserucksack“, wird dort der von Fabian Stein entwickelten Wayks One gepriesen, der eines der größten ökologischen Probleme unserer Zeit angehen soll: den schädlichen Umgang mit Plastik.
Ein – zugegeben praktisches – Material, das jedoch allzu oft als Müll in Gewässern landet, sich auf Halden stapelt und dessen Produktion Unmengen an Ressourcen verschwendet. Deshalb bringt Fabian Stein nun einen Rucksack auf den Markt, der größtenteils aus recyceltem Polyester besteht, dem unter der Abkürzung PET bekannten Polyethylenterephthalat. Pro Exemplar müssen 31 etwa 600 ml fassende Flaschen wiederverwertet werden. Zum Vergleich: Die klassische Produktion des benötigten Polyesters bräuchte 465 Milliliter Öl mehr und würde zusätzlich 1820 Gramm CO2 ausstoßen.
Im Modegeschäft ist recyceltes Polyester allerdings nichts Ungewöhnliches mehr. Irgendwie müssen die vielen PET-Pfandflaschen schließlich wiederverwertet werden. Es ist ein aufwendiger – und auch deshalb nicht ganz unumstrittener – Prozess. Maschinen waschen die Flaschen, entfernen Etiketten, Kleber und Deckel, entfärben sie, schreddern und schmelzen sie zu kleinen Pellets, aus denen Fäden gezogen werden, die erneut chemisch gefärbt werden müssen. Insgesamt wird laut Branchenplattform Plastics Inside 44 Prozent des so entstandenen Polyesters für das Weben von Stoffen genutzt.
Ein Beispiel von vielen guten
Man könnte nun Schmunzeln über die Kampagne für einen vermeintlich neuartigen Öko-Rucksack, dessen Herstellung so besonders gar nicht ist. Oder man könnte das Potenzial einer Recycling-Methode würdigen, die sich in der Breite durchzusetzen scheint. „Vielleicht ist es irgendwann der Fall, dass man damit niemand mehr hinter dem Ofen herholen kann“, sagt Fabian Stein. Noch würde das jedoch bei seinen Kunden ziehen. Zumal das nur ein ökologischer Aspekt von vielen sei: Beim Imprägnieren wird auf das schädliche PFC verzichtet. Selbst die Reißverschlüsse sind aus recyceltem Material hergestellt. Und überhaupt: Das Grundkonzept des Wayks One sei umweltfreundlich.
Der Rucksack ist modular, bestehend aus elf Einzelteilen, verbunden durch Reißverschlüsse, die nach Belieben abgenommen werden können. Vom 37-Liter-Backpack bis zu einem schmalen Rucksack, in den nur ein Laptop passt, ist daher alles drin. Damit soll ein neuer Typ Reisender angesprochen werden, die mit einem Rucksack für alle Fälle ihr Hab und Gut verringern möchte. „Früher bedeutete Urlaub zwei, drei Wochen am Mittelmeer am Strand“, sagt Gründer Fabian Stein. „Die junge Generation macht kurze, vielseitigere Trips, die vielleicht mit einem Business-Meeting verbunden werden. Du triffst dich mit ein paar Leuten, bummelst durch die Stadt, machst einen kleinen Hike und gehst dann vielleicht noch mal an den Strand.“
Crowdfunding secured
Klar, so ein Rucksack müsse auch gut aussehen, um die Zielgruppe mitzunehmen. Was offenbar gelingt: Drei Tage vor Ende der Crowdfunding-Kampagne ist die Mindestsumme von 22.000 Euro bereits um das Dreifache überschritten. Für 199 Euro bekommt man die klassische Reisevariante, die später voraussichtlich für 289 Euro verkauft wird.
Fabian Stein, 38, hat Wirtschaftswissenschaften studiert. Zwar hat seine neun Jahre jüngere Schwestern und Mitgründerin Leonie Stein einen Abschluss am australischen RMIT in Melbourne in „Fashion & Textile Merchandising“. Ihre Unerfahrenheit im Modegeschäft legen sie dennoch als Chance aus. „Große Unternehmen möchten ja am liebsten sowohl einen Tagesrucksack also auch einen Reiserucksack verkaufen“, erklärt Stein, weshalb modulare Modelle bislang eher selten sind. „Da würde man sich ja ins eigene Fleisch schneiden.“
Recycelte Stoffe hingegen sind selbst bei den Modegrößen schon angekommen. Der Sänger Pharrell Williams beispielsweise hat mit G-Star RAW Jeans eine Kollektion mit Jeans, Jacken, T-Shirts und Hoodies auf den Markt gebracht. Aquafil produziert für H&M und Adidas hat angekündigt ab 2024 in Schuhen und Textilien nur noch recyceltes Polyester zu verwenden.
Auch Fabian Stein profitiert von bereits etablierten und regulierten Wertschöpfungsketten. Der Rucksack wird in einer Fabrik in Vietnam genäht, die von Fairwear zertifiziert wurde, unter anderem, weil dort Arbeitszeiten begrenzt, Tarifverhandlungen erlaubt und sichere Arbeitsbedingungen garantiert werden. Das Unternehmen hat bereits recyceltes Polyester von einem taiwanischen Hersteller bezogen. Der wiederum würde sich an die von Bluesign definierten Umweltstandard halten, beispielsweise, um die Verschmutzung von Wasser und Luft zu verringern.
Achillesferse Wertschöpfungskette
Fabian Stein sind derlei Zertifikate wichtig. Denn Medienberichte über umweltschädliche Konkurrenten haben Zweifel aufkommen lassen an der Nachhaltigkeit des PET-Recyclings. Ein weiterer Vorwurf: Weil in asiatischen Ländern nicht genügend Flaschen gesammelt werden, würden mit Kunststoff beladene Schiffe in Europa auf eine lange Reise gen Ost geschickt. „Die Umweltbilanz ist dann im Eimer“, sagt Fabian Stein, der sich von seinem Produzenten aus Taiwan bestätigen ließ, dass er hauptsächlich direkt aus Taiwan bezieht: „Ich würde aber nicht darauf schwören, dass er nicht auch doch mal etwas aus China rüberschaffen würde.“
Auch unabhängig von der Frage des Recyclings steht es nicht so gut um den Ruf von Polyester. Sind Waschmaschinen nicht mit modernen Filtern ausgestattet, gelangen bei jedem Waschgang winzige Plastikteilchen ins Wasser. Jenes Mikroplastik belastet die Weltmeere schon heute enorm. „Normalerweise landet unser Rucksack ja nicht in der Waschmaschine“, erwidert Stein, der ein wenig Abrieb bei der Nutzung jedoch nicht abstreitet.
„Man kriegt es nicht hundertprozentig nachhaltig“, bilanziert Fabian Stein, so gerne er auch auf eine komplett zirkuläre Wertschöpfung setzen würde. Bei der Außenwand des Rucksacks beispielsweise liegt der recycelte Anteil nur bei 91 Prozent. „100 Prozent wäre zwar möglich aber das hilft uns auch nicht weiter, wenn wir ein Produkt haben wollen, das lange hält und nicht auseinander fällt“, sagt der Gründer. Auch der Rucksack selbst lässt sich leider nicht mal eben recyceln, weil er nicht ausschließlich aus Polyester besteht. „Eigentlich wäre es das coolste, wenn du ihn nachher schreddern und aus den Materialien ein neues Produkt schaffen könntest.“ Das machen die Kunststoffmoleküle leider nicht mit – noch nicht.