Es klingt, als würde sich eine Dampflok von Ferne nähern. Schnaufend, prustend , irgendwie aus der Zeit gefallen. Die Geräusche macht allerdings kein Dampfross, sondern ein Elektroauto bei flotter Fahrt. Als es an einer Ampel zum Stehen kommt, ändert sich das Klangbild. Zu hören ist jetzt nur noch so etwas wie ein schweres Atmen wie bei einem Asthmakranken. Der Gesetzgeber will es so – oder ähnlich. Nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft bei Fahrgeschwindigkeiten unter Tempo 30 – im Stadtverkehr also praktisch immer. Noch nicht unbedingt heute, zwingend aber ab 1. Juli kommenden Jahres, nicht nur in der gesamten Europäischen Union, sondern mehr oder minder weltweit.

„Das Fahrzeug-Warnsystem“ heißt es in Artikel 8, Absatz 3 der EU-Verordnung 540/2014, die sich mit dem Geräuschpegel von Elektroautos beschäftigt, „muss ein Dauerschallzeichen erzeugen, das Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer vor einem in Betrieb befindlichen Fahrzeug warnt. Das Schallzeichen sollte eindeutig auf das Fahrzeugverhalten hinweisen und mit dem Geräusch eines mit einem Verbrennungsmotor ausgestatteten Fahrzeugs der gleichen Klasse vergleichbar sein.“ Und deshalb sitzen nun überall in der Welt Psychoakustiker und Ingenieure in Soundstudios, um für all die Elektroautos, die nächstes Jahr auf den Markt kommen, einen Klang zu kreieren, der den gesetzlichen Anforderungen entspricht, aber auch zum Auto passt.

Die Geräusche werden dann auf einem Speicherchip abgelegt und über einen Außenlautsprecher an die Umgebung abgegeben, um blinde und sehbehinderte Menschen vor einem herannahenden E-Mobil zu warnen. „Das ist der Witz des Jahrhunderts“, schimpft Klaus Genuit, Akustik-Professor an der RWTH Aachen und Leiter des Unternehmens Head Acoustics in Herzogenrath. „Die Elektromobilität schafft endlich eine Möglichkeit, die Städte leiser zu machen – und nun müssen auf politischen Druck hin künstliche Geräusche hinzugefügt werden.“ In seinen Studios hat er für namhafte Autohersteller bereits eine Reihe von Fahrgeräuschen in unterschiedlichen Tonhöhen und Frequenzen erzeugt – der Dampflok-Sound ist nur einer von Hunderten von Soundfiles.

Brüllen E-Autos bald wie Löwen?

Um den perfekten Klang für die Elektroautos der neuen Submarke EQ und eine neue Art von Straßenmusik zu schaffen, hat Daimler die Musiker von Linkin Park engagiert. Andere experimentieren mit synthetischen Tönen, die den Stromern die akustische Anmutung eines Weltraumkreuzers verleihen. Nein, nicht auf Schleichfahrt, sondern unterwegs mit Warp-Antrieb. Theoretisch könnte das Auto auch Bellen wie ein Hund oder Brüllen wie ein Löwe – der Gesetzgeber lässt da jede Menge Spielraum.

„Das Elektroauto darf nicht pfeifen oder piepsen wie ein Gabelstapler, das wäre nicht schön. „Es soll wie ein Benziner oder Diesel klingen, nur anders, moderner“, umreißt Genuit die Herausforderung. Dem Akustik-Spezialisten wäre es lieber, wenn der Gesetzgeber intelligentere Lösungen zugelassen hätte. Beispielsweise könnte das Elektroauto nur dann einen Warnton abgeben, wenn die zahlreichen Sensoren am Fahrzeug erkennen, dass ein Fußgänger dem Auto gefährlich nahe kommt. Genuit: „Spätestens wenn das vollautonom fahrende Auto kommt, sollte man die Regelung noch einmal überdenken.“

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