Jetzt flippen die Schweden völlig aus. Erst verkünden sie als erste in Europa die schleichende, aber mehr oder weniger endgültige Abkehr von Verbrennungsmotoren und den Start einer völlig neuen automobilen Elektromarke unter dem schönen Namen ihres bisherigen Haustuners Polestar (Polarstern!) und nun das: Polestar 1 ist ein 600 PS starkes halbelektrisches Sportcoupé, das auf Wunsch seines Herrchens in 3,8 Sekunden auf Tempo 100 rasen kann. Ein Auto mit ausfahrbarem Heckspoiler! Geht’s noch, Volvo?
Volvos eloquenter Chefdesigner Thomas Ingenlath, der jetzt in Personalunion auch im Chefsessel von Polestar sitzt, sieht da überhaupt keinen Widerspruch. Im Gegenteil. „Der Polestar 1 ist ein Aushängeschild, ein Dream Car, dieses Auto wird der Marke eine emotionale Initialzündung geben“, sagt er lächelnd mit sanfter Stimme.
Gewissermaßen Thors Hammer, wenn Sie sich mit der nordischen Mythologie auskennen. Andererseits ein Auto, das so cool aussieht, dass die Leute es womöglich auch kaufen, wenn sie es nicht brauchen. Sehr klassische GT-Proportionen. Nordisch puristisch und perfekt wie ein Eiskristall. Wobei die Ähnlichkeit zur schon 2013 gezeigten feinen Coupé-Studie von Volvo nicht zu übersehen ist. Macht nichts, an deren Durchkomponiertheit war ohnehin nicht viel zu verbessern.
Auch eine zarte Ähnlichkeit zu Volvos Coupé-Klassiker der sechziger Jahre, wir meinen natürlich den P1800, fällt auf. Am schräg abgeschnittenen Heck zum Beispiel. Sie wollen lieber Details? Bitteschön, wir haben sie, obwohl sich Polestar noch etwas ziert. Der 4,50 Meter lange 2+2-Sitzer ist nur 1,35 Meter hoch und üppige 1,89 Meter breit. Er nutzt Volvos variable SPA-Architektur als technische Basis, nur der Boden ist aus hochfestem Schwedenstahl, ansonsten besteht die Karosserie komplett aus superleichter Kohlefaser, was schon mal 230 Kilogramm an Gewicht spart.
Sportlicher Antrieb
Den Antrieb übernimmt vorn ein rund 360 PS starker Vierzylinder-Kompressor-Turbo-Benziner mit zwei Liter Hubraum aus dem aktuellen Volvo-Baukasten (Drive E-Reihe). An der der Hinterachse indes arbeiten gleich zwei Elektromotoren mit insgesamt 218 PS. Okay, ein bisserl was steuert auch noch der Startergenerator zu. Bringt in Summe die erwähnten 600 PS Systemleistung. Noch mehr beeindruckt das fette Drehmoment von insgesamt 1000 (!) Newtonmetern – 520 Nm an der Vorderachse, 480 Nm hinten.
Da bleibt kein Auge trocken, die 21-Zoll-Räder (Mischbereifung wie bei Porsche: vorn 275/30, hinten 295/30) könnten beim Kickdown dicke schwarze Striche auf den Asphalt malen. Und weil jeder der beiden E-Motoren hinten ein eigenes Planetengetriebe hat, funktioniert hier für wilde Kurvenhatz das sogenannte Torque-Vectoring, mit dem sich elektronisch blitzartige Drehmomentschübe fürs rechte oder linke Hinterrad aktivieren lassen. Wobei es sich mit dem Auto nach Auskunft der Techniker aber auch ganz entspannt herumkullern lässt. Ohne Getöse und Getröte, sondern mit zartem elektrischen Gesumme.
Seine Höchstgeschwindigkeit, bewusst limitiert, liegt übrigens bei Tempo 250, rein elektrisch geht es bis 160 km/h. Bei diesem Speed dürften der in zwei Batteriepakete eingesperrte Strom, wir reden hier von 34 kWh, fix ausgeschlürft sein. Mit sensibleren Stromfuß soll Polestar 1 rein elektrisch im „Pure“-Modus aber 150 Kilometer weit kommen, mehr bietet kein anderer Plug-in-Hybrid. Das reicht für ausgedehnte City-Touren, die Batterien müssen nicht ständig nachgeladen werden. Und als Benzin-Strom-Gesamtreichweite offerieren sich dank eines 60-Liter-Tanks sehr üppige 900 Kilometer.
Innen viel Platz und wenig Kofferraum
Wie es drinnen aussieht? Alles schick und fein im hellen Cockpit, mit starker Anlehnung an die aktuelle Volvo-Linie. Also lifestylisch, chromveredelt und digitalisiert. Vorn, wir haben es probiert, ist Platz für zwei Sitzriesen, hinten für deren Kids. Nur der Kofferraum ist ein heikles Thema mit geschätzten 250 Liter Volumen. Da passen zwei Lufthansa-Bordtrolleys und vielleicht noch zwei Fläschchen Schwedenpunsch rein. Schuld daran ist die heckwärtige Lithium-Ionen-Batterie, die sich da etwas breitmacht. Die andere versteckt sich unauffällig im Mitteltunnel.
Ab Mitte 2019 sollen die ersten Exemplare des heißen Schweden ausgeliefert werden. Spätestens jetzt muss gesagt werden, dass Polestar 1 (und seine künftigen Brüder) zwar am Göteborger Volvo-Stammsitz entwickelt und verwaltet, aber, Sie ahnen es, am Ende in China gebaut wird. Dafür entsteht in Chengdu auf grüner Wiese ein High-Tech-Werk, laut Volvo das energetisch und ökologisch vorbildlichste im Reich der Mitte.
Diese Standort-Entscheidung muss man nicht mögen, nachvollziehbar ist sie allemal – zumal uns die Chinesen, abgesehen von ihren niedrigen Produktionskosten, gerade vormachen, wie man den Vormarsch der Elektromobilität ratzfatz durchdrückt, wenn man den Weg als richtig erkannt hat. Für 2019 ist eine Neuwagenquote von 10 Prozent per Gesetz angeordnet, 2020 sollen es schon 12 Prozent sein. Elektroautos werden seit Jahren subventioniert. Wir Deutschen diskutieren lieber noch ein bisschen.
Natürlich redete in der Standortfrage auch die starke chinesische Konzern-Mutter Geely („Glück verheißende Automobile“) rein, mit der Volvo bisher bestens gefahren ist, weil man bei fast allen wichtigen Entscheidungen relativ freie Hand, genügend Taschengeld und sonstiges Geely-Potential im Rücken hatte. Umgekehrt spendiert Volvo derzeit viel schwedische Technik fürs Geelys jungdynamische Newcomer-Automarke Lync & Co, die in zwei Jahren auch bei uns und zuerst in Berlin einfallen soll.
Zweiter Polestar schon 2019
Wie die Story weitergeht? Mit Polestar 2 natürlich, und zwar schon Ende 2019. Und das wird, wie aus Göteborg zu hören ist, kein elitäres Luxusmodell, sondern eine dynamische Vollwert-Limousine für die Familie. Exakt Mittelklasse, kaum größer als ein aktueller Volvo S/V60 – rund 4,65 Meter lang. Ein schneidiger Fünfsitzer mit viel Platz, womöglich sogar mit großer Heckklappe. Ingenlath sieht dieses Auto als direkten Rivalen für Teslas Model 3. Höhere Stückzahlen, zum Beispiel fünfstellige, seien für das neue chinesische Werk kein Problem.
Polestar 3 wiederum wird ein größerer SUV a la Volvo XC90, dessen Basis er auch nutzt. Allerdings garantiert zwei Handbreit flacher als Schwedens SUV-Flaggschiff, dazu schnittiger und schneller, weil es eben ein Polestar sein soll. Kein Protz-Klotz, sondern ein eleganter Feger für alle dynamischen Gelegenheiten. Im Idealfall, wenn Ingenlaths Truppe mal wieder einen besonders kreativen Tag hat, sogar einer für ein cooleres Image der Hochsitzer-Käufer: Du hast Geschmack, man sieht’s an deinem SUV.
Cool ist auch der Weg der Polestar-Modelle zu ihren künftigen Besitzern. An traditionelle Eigentumsmodelle ist nämlich nicht so gedacht. Sondern an ein kautionsfreies Abo mit Festlaufzeit (ein bis drei Jahre) als All-Inclusive-Angebot, das Versicherung, Wartung einen Concierge-Service und sogar die steuerrechtliche Abschreibung umfasst. Und für den großen Urlaub offeriert Polestar kostenlos einen großen Familien-Volvo. Das ganze Einkaufserlebnis läuft auf Wunsch übers Internet. „Carefree“ („Sorgenfrei“) heißt das bei Polestar und wir sind gespannt, ob potentielle Käufer anbeißen.
Nur 500 Stück pro Jahr
„Keine Angst, richtig kaufen können sie Polestar 1 natürlich auch“, beruhigt Ingenlath und verrät schon mal das Preisniveau des elektrischen Schweden-Porsche, das sich je nach Ausstattung zwischen 130.000 und 150.000 Euro bewegen werde. Viel Geld für einen Volvo (der Mietpreis ist noch geheim), aber den hätte man schließlich ziemlich exklusiv, denn mehr als 500 Exemplare pro Jahr sollen nicht gebaut werden.
Da scheint Strategie durch. Überflieger Polestar 1 ist der Typ zum Anfixen, und danach lässt die schwedisch-chinesische Kombination die dynamischen Alltagsfreunde mit höheren Stückzahlen auf die Weltmärkte los. Jedenfalls ist dieser Powerplan nicht nur eine Gefahr für den US-Elektropionier Tesla, sondern auch für die deutschen Premiummarken Mercedes, BMW und Audi.
Zumal Volvo selbst zügig weitere elektrisierte Modelle plant, so startet der neue, schicke Kompakt-SUV XC40 schon Ende 2018 als Plug-in-Hybrid und 2020 als vollektrisches Auto. Der ebenfalls neue, nordisch edle Golf-Rivale V40, wird noch 2019 als Vollelektriker gezeigt und ab Frühjahr 2020 verkauft. Auch der neue Sportkombi V60, der im Sommer nächsten Jahres bei den Händlern ist, wird ein Stromer – er kommt 2019 als Plug-in-Hybrid. Und das ist erst der Anfang.