Es gibt Schwarzbären, Murmeltiere und Dickhornschafe, die sich schon einmal auf die Fahrbahn verirren. Es gibt riesige Steinbrocken direkt am Fahrbahnrand und gähnende Schluchten, die nur wenige Zentimeter neben der Fahrbahn lauern. Und es gibt neben den großen Temperaturunterschieden zwischen dem Startpunkt bei 2862 Metern und dem Ziel auf 4302 Metern Höhe die Gefahr schneller Witterungsumschwünge: Der „Pikes Peak Hill Climb“ in der Nähe von Colorado Springs ist allein schon wegen dieser Unwägbarkeiten eines der schwierigsten Autorennen der Welt, vergleichbar allenfalls nur mit dem 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring.
Hinzu kommen die dünne Luft auf der Bergrennstrecke in den Rocky Mountains, eine Steigung von bis zu 10 Prozent und ein Labyrinth von insgesamt 156 Kurven, das die Teilnehmer auf der exakt 19,99 Kilometer langen Strecke zu bewältigen haben.

Umso größer ist die Leistung zu bewerten, die das Team von Volkswagen Motorsport aus Hannover am frühen Sonntagmorgen beim 94. Lauf des zweitältesten Autorennens der USA (Motto des Veranstalters: „The mountain decides“) vollbracht hat: Mit dem elektrisch angetriebenen, offiziell 500 Kilowatt starken Elektro-Rennwagen namens I.D. R Pikes Peak stellte es einen neuen Weltrekord auf.

Mit dem französischen Ausnahmefahrer Romain Dumas am Steuer – mehrfacher Sieger nicht nur am Pikes Peak, sondern auch bei Langstreckenrennen am Nürburgring und Weltmeister in Le Mans – erreichte die allradgetriebene Stromflunder nach fliegendem Start das Ziel nach nur 7 Minuten und 57 Sekunden und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 145,123 km/h.

Schneller hatte zuvor noch kein Mensch die Wahnsinns-Strecke bewältigt, weder mit einem PS-starken Verbrennungsmotor, noch mit einem drehmomentstarken Elektromotor unter der Haube. 2016 lag die Bestzeit eines Elektroautos bei 8:57 Minuten, den Gesamtrekord hatte Dumas‘ Landsmann Sebastian Loeb 2013 in einem Peugeot 208 geholt.

Entsprechend groß war die Freude im Team im Basislager, als nach der Zieldurchfahrt die elektronisch gestoppte Zeit auf den Monitoren der Veranstalter aufleuchtete. Mit Champagner wurde dort der „New Electric Highscore“ minutenlang gefeiert. Mittendrin: Hinrich J. Woebcken, der Chef von Volkswagen of America: „Das war ein perfekter Countdown für die Zukunft der Mobilität“, jubelte er.

„Das ist ein sehr, sehr schnelles Auto“

Denn der I.D. R Pikes Peak ist so etwas wie die technologische Speerspitze der E-Offensive, die der Volkswagen-Konzern vor zwei Jahren gestartet hat, um die Scharte des Dieselskandals auszuwetzen. Der Rennwagen soll demonstrieren, dass Elektroautos eine ungeheure Dynamik entwickeln können und nicht nur im Stadtverkehr Fahrspaß bereiten. „Das ist ein wirklich sehr, sehr schnelles Auto“, zeigte sich Dumas nach den letzten Trainingsläufen auf der Pikes Peak Highway schwer beeindruckt.

Und auch den motorsport-begeisterten wie erstaunlich kundigen Zuschauern, die trotz der frühen Startzeit am Sonntagmorgen zu Zigtausenden an den Berg gekommen waren, blieb die Spucke weg, als der graulackierte Rennwagen kurz nach 10:00 Uhr Ortszeit an ihnen vorbeipfiff, mit bis zu 240 Sachen deutlich schneller als die Feuerwehr, aber trotz Elektroantrieb fast genauso lautstark wie ein Löschfahrzeug.

Das künstliche Martinshorn war allerdings kein Einfall von Volkswagen, sondern Auflage des Veranstalters: Um Schwarzbären, Mufflons und anderes Getier vor dem heransausenden Elektroauto zu warnen – normalerweise gilt am Berg ein Tempolimit von 25 Meilen bzw. 40 km/h – musste an der Front ein kleiner Soundgenerator installiert werden, der mit einer Lautstärke von knapp 120 Dezibel die Landschaft beschallte. Und Fahrer Dumas gehörig nervte, weil es ihm der auch im Fahrzeuginnern gut zu hörende Yelp-Ton erschwerte, Funksignale und akustische Rückmeldungen von Reifen und Motoren aufzunehmen. Dass er die Strecke trotzdem voll konzentriert und beinahe fehlerlos meisterte, unterstreicht das fahrerische Können des Franzosen.

Renner aus dem Rechner

Die Rekordfahrt demonstrierte aber auch eindrucksvoll, wozu ein Elektroantrieb in der Lage ist. Selbst dann, wenn für seine Entwicklung nur neun Monate Zeit zur Verfügung standen – und man wie bei VW Motorsport bislang so gut wie keine Erfahrung mit dieser Antriebstechnik hatte und die Trainingsmöglichkeiten zudem stark eingeschränkt sind. So wurde der I.D. R Pikes Peak größtenteils am Computer konzipiert und die Fahrt zum Gipfel mithilfe des Technologiepartners Ansys und von Hochleistungsrechnern simuliert, um die Steuerung des Antriebs in der dünnen Bergluft zu optimieren.

Eine der größten Herausforderungen, verriet Motorsportchef Sven Smeets am Rande der Trainingsläufe, war das Temperaturmanagement der nur etwa 45 Kilowattstunden großen Hochleistungsbatterie, für die Volkswagen Zellen des US-Herstellers A123 nutzte. Seine optimale Leistung erbringt der Akku in einem Temperaturfenster zwischen 29 und 35 Grad Celsius. Beim Aufladen (über einen mit Glycerin betriebenen Generator) wird die Batterie jedoch bis zu 100 Grad heiß. Daher muss sie vor dem Start des Wagens mühsam heruntergekühlt werden, damit sie nicht in Flammen aufgeht. Und in eisigen Höhen, bei Außentemperaturen in der Morgendämmerung von wenigen Grad über den Gefrierpunkt, muss der Wagen während längeren Standzeiten aufwendig beheizt werden.

Entsprechend angespannt waren die Mitglieder des Teams vor dem Start. Aber alle Sorgen waren unbegründet – die luftgekühlte Batterie hielt der hohen Belastung des Bergrennens stand und trug den I.D. R problemlos bis auf den Gipfel. „Mission accomplished“, konstatierte François-Xavier Demaison, der sichtlich erleichterte Technikdirektor von VW Motorsport.

Wie es weiter geht

Und nun? Ob der Rennwagen noch einmal bei einem Kampf gegen die Zeit zum Einsatz kommt, ist offen. Für Einsätze im Flachland müsste er aufwendig umgebaut werden. Und ob Volkswagen noch einmal am Pikes Peak antritt, lässt sich noch nicht absehen. Immerhin hat der Renneinsatz dem Autohersteller einige wichtige Erkenntnisse gebracht, die auch den Serienfahrzeugen der I.D.-Familie zugutekommen sollen. Im Herbst nächsten Jahres geht der erste I.D. im Golf-Format an den Start, mit einer größeren Batterie für eine Reichweite von bis zu 600 Kilometern. Und irgendwann, so lässt Woebcken durchblicken, werde es sicher auch einen I.D. in einer R-Variante zu kaufen geben. Nicht mit 500 Kilowatt Leistung, dafür aber sicher mit einer Reichweite von mehr als nur 20 Kilometern.

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