In den wenigsten Fünf-Jahres-Plänen von Unternehmen steht wohl als Ziel: „Das Geschäftsmodell ist überflüssig, wir machen den Laden dicht.“ Beim Projekt „Plastik Whale“ aus den Niederlanden ist allerdings genau das das Ziel. Dort steht sinkende Geschäftsaktivität für Erfolg und in der Idealvorstellung der Mitarbeiter werden sie bald gar nicht mehr gebraucht.
Plastic Whale ist ein gemeinnütziges Projekt in den Niederlanden, das mit Booten auf den Kanälen von Amsterdam unterwegs ist und Plastikmüll aus dem Wasser fischt. Gründer Marius Smit ist früher viel durch die Welt gereist. Dabei ist ihm an fast allen Orten aber dasselbe Phänomen begegnet: Plastikabfall.
Deshalb gründete er 2011 Plastic Whale mit dem Ziel, zumindest in Amsterdam die Kanäle von Plastik zu befreien. Er begann, das Plastik aus dem Wasser zu fischen, lud zum ersten Amsterdamer Plastikfischfest ein, zu dem mehrere Hundert Menschen kamen – und schraubte nebenbei am ersten Boot der Plastic Whale Flotte. Als Rohmaterial dafür diente natürlich das zuvor geangelte Plastik, 7000 bis 9000 Plastikflaschen sind für ein Boot nötig.
105.000 geangelte Plastikflaschen in sieben Jahren
Mittlerweile sind aus dem einen Boot zehn geworden, neun davon in Amsterdam, eines in Rotterdam. In über 2000 Müllsäcken sind in der Zeit 105.000 Plastikflaschen gelandet. Alleine wäre das für Smit natürlich nicht zu schaffen, doch er erhält kräftig Unterstützung: Aus den paar Hunderten Fischern, die 2011 beim Plastikfischfest mitmachten, sind über 11.000 Menschen geworden, die in den vergangenen sieben Jahren mit Netzen das Amsterdamer Wasser von Müll befreit haben.
Das sind zu großen Teilen Touristen von auswärts. Smit hat festgestellt, dass Plastikfischen nicht nur ein gutes Gewissen bringt, sondern auch Spaß macht. Also bietet er Besuchern in der Stadt Rundfahrten über die Kanäle an. Die Urlauber bekommen eine rund zweistündige Stadtführung mit Guide und können dabei selbst zum Netz greifen und wetteifern, wer den meisten Müll aus dem Wasser angelt.
Den Müll trennen die Plastik-Fischer gleich auf dem Boot. Auf einen Stapel kommt der Plastikabfall, hauptsächlich Flaschen, auf den anderen Stapel all jene Dinge, die Plastic Whale nicht weiter verarbeiten kann. „Noch nicht“, verbessert Pauline de Boer. Sie ist seit einem guten halben Jahr bei Plastic Whale dabei. „Unser Ziel ist es natürlich, immer mehr Dinge aus unserem Fang auch verwenden zu können.“ Zunächst ist das aber nur das Plastik, den Rest entsorgt die Stadtverwaltung. Das Plastik kommt an Land in einen großen Schiffscontainer. Rund zweimal im Jahr füllt Plastic Whale ihn bis oben mit dem geangelten Plastikmüll. Sobald er voll ist, wird das Plastik zu Granulat und Schaumstoff verarbeitet.
Recycelte Möbel mit maritimem Flair
Das ist Grundlage nicht nur für neue Boote, sondern auch für das nächste Projekt von Plastic Whale: Büromöbel. „Vergangenen September hat unser Team bei einem Treffen um einen viel zu kleinen Tisch herumgesessen“, sagt de Boer. „Wir brauchten einen größeren. Und anstatt einen neuen zu kaufen, überlegten wir: Können wir dafür auch das Plastik nutzen?“
Mit befreundeten Designern entwickelten sie ein Konzept für Tische, Stühle und Lampen. Dann wurden sie Mitarbeitern des Möbeldesigners Vepa vorgestellt. Normalerweise, so de Boer, dauere die Entwicklung und Durchführung eines solchen Projekts zwei Jahre. „Wir haben es in einem halben geschafft.“ Im Februar haben die Partner die ersten Möbel vorgestellt.
Beim Design orientiert sich Vepa am Boot-und-Wal-Flair von Plastic Whale. Tische, Stühle und Lampen wirken alle angemessen maritim. In allen Kreislauf-Möbeln kommt das geangelte Plastik zum Einsatz. 1000 Plastikflaschen für einen Tisch, 60 bis 70 für einen Stuhl. Dazu kommen noch Stahlreste aus der Vepa-Fabrik für die Metallelemente der Möbel.
Im Moment sucht Plastic Whale noch nach Launching Partners für das Möbel-Projekt. Elf sind schon an Bord, neun sollen noch dazukommen. Diese Partner sollen nicht nur die Möbel kaufen, sondern auch an Workshops von Plastic Whale teilnehmen, ihre eigene Müllwirtschaft analysieren und verbessern – und im Idealfall das Plastik für die eigenen Möbel bei einer Bootstour gleich selbst angeln.
In naher Zukunft wird das Projekt für Marius Smit, Pauline de Boer und Plastic Whale vermutlich nicht vorbei sein – zu ihrer Enttäuschung. Denn egal, wie viel sie auch angeln: Es landet immer mehr Plastik im Wasser, als sie wieder heraussammeln können. Und selbst, wenn in Amsterdam irgendwann einmal nichts mehr zu tun sein sollte – Müll wartet überall. Laut einer Studie im Fachmagazin Nature sind alleine am „Great Pacific Garbage Patch“, einem 1,6 Millionen Quadratkilometer großen Ozeanstück zwischen Kalifornien und Hawaii rund 1,8 Milliarden Stücke Plastik im Wasser – zusammengerechnet knapp 80.000 Tonnen. „Alleine können wir das Problem nicht lösen“, stellt de Boer deshalb fest. „Aber mit vereinten Kräften können wir helfen.“