Staus im morgendlichen Berufsverkehr, Termindruck und keine Zeit für eine Mittagspause. Normalität in Deutschland. Eine fremde Welt für Johannes Völkner. Der 35-Jährige geht morgens lieber Kitesurfen. Im Moment in Kapstadt. Für ihn eine der schönsten Städte der Welt. Immer wieder kommt er in die südafrikanische Metropole zurück. Mal für ein paar Wochen. Mal für ein paar Monate. Johannes Völkner ist ein digitaler Nomade.

Seine wichtigsten Besitztümer sind Laptop und Handy, um mit seinen Kunden und den Menschen in seiner Heimat in Kontakt zu treten. Manchmal am Telefon. Meistens aber per Internet. Ein Problem ist das nicht. WLAN gibt es fast überall. In den großen Städten immer.

Seit sieben Jahren ist Völkner auf Reisen. Eine bewusste Entscheidung war es nicht. „Ich bin da so reingerutscht“, erzählt er. Alles begann nach dem Abi, als er für eine Weile nach Australien ging. Als ihm jemand von Kapstadt vorschwärmte, ging ihm die Stadt nicht mehr aus dem Kopf. Das Reisen, die Sehnsucht nach fremden Ländern liegt ihn im Blut. Wie vielen anderen Menschen auch. Die Zahl der Menschen mit Fernweh wächst. Genaue Daten gibt es nicht.

Immer mehr Weltenbummler

Die Facebook-Seite für digitale Nomaden von Völkner zeigt aber die Entwicklung. Mit einigen wenigen Mitgliedern startete er. Heute sind es 30.000. Schätzungen zufolge sollen eine halbe Million Menschen ihr Business auf Reisen betreiben. Sie alle haben eines gemeinsam: Für eine Weile wollen sie aussteigen. Die Welt sehen, andere Kulturen, andere Menschen kennen lernen. Für ein paar Monate oder ein paar Jahre.

Die Gründe sind unterschiedlich. Für manche sei es ein Lebensstil, erzählt Völkner, der in Halle in Westfalen aufwuchs. Geo-Arbitrage nennt er dies. Via Internet mit Kunden in Europa Geld verdienen und sich damit in Asien einen höheren Lebensstil leisten können. In Bali, so der Weltenbummler, könne man in einer Villa wohnen, für dessen Preis man in Berlin nur eine kleine Wohnung bekommen könne.

Nicht alle haben das als Ziel. Einige wollen einfach nur die Welt kennen lernen oder über die Wintermonate in wärmere Gefilde ziehen. So wie Marc Mültin, der in Kapstadt den Winter verbringt und Kunden bei der Umsetzung der ISO 15118 hilft. Eine Norm für Ladesäulen, die 2019 weltweit umgesetzt werden und die Ladetechnik intelligenter machen soll.

Völkner war in über 70 Ländern. Mindestens ein Mal im Jahr ist er in Kapstadt, die fast wie eine zweite Heimat für ihn ist. Einsam ist es nicht für ihn. Fast überall auf der Welt trifft er inzwischen auf Bekannte. „Es ist eine Community, die sich kennt“, erzählt er, der auch eine Internetseite für „workingtravel“ betreibt, um seine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen. Shanghai, Bali, Kapstadt – aber auch Lissabon, Budapest und sogar die Ex-Drogenhochburg Medellín zählen zu den Hotspots der abenteuerlustigen Frauen und Männer.

Nationalitäten spielen bei ihnen keine Rolle. Vorurteile gibt es nicht. Vor kurzem, so Völkner, saß er mit Menschen aus Indien den Philippinen, Thailand, USA, Kanada und Irland an einem Tisch. Alle hätten online gearbeitet. Für ihn sei das normal. „Es geht nur darum, wie gut man in dem Business ist. Es geht um skills“.

Die meisten digitalen Nomaden sind Freiberufler, die per Laptop und Smartphone von überall auf der Welt arbeiten können – sie sind Programmierer oder arbeiten im Consulting oder E-Commerce. Das ergab eine Umfrage in Völkners Facebook-Gruppe. Die Nomadengeneration ist mit dem Internet aufgewachsen. Fliegt günstig mit EasyJet und wohnt günstig mit Airbnb. Sie interessieren sich vor allem für eins: die Internetgeschwindigkeit vor Ort.

Als Vorbild gilt vielen der Ire Johnny Ward, der mehr vom Leben wollte, als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Vor zehn Jahren machte er seinen Traum vom Reisen und der Freiheit wahr. Mit nichts fing er an und verdient heute mit seinem Blog „onestep4ward“ über eine Million US-Dollar. So schreibt er jedenfalls auf seiner Internetseite.

Kreuzfahrten für digitale Nomaden

Ob das stimmt oder nicht: „Man sollte es einfach mal ausprobieren – aber nicht überstürzen“, rät Völkner allen, die darüber nachdenken, mal auszusteigen. „Es gibt immer mehr Jobs, die man ortsunabhängig machen kann.“ Nicht jeder brauche gleich am Anfang ein komplettes Business. „Angst sollte nicht im Weg stehen – es kann auch eine gute Erfahrung sein. Egal, wie lange man dies macht.“

Als Völkner als Weltenbummler startet, war alles noch ganz anders. Er kannte kaum jemanden. Zog immer alleine umher. Musste an jedem Ort immer wieder einen Bekanntenkreis aufbauen. Bis ihm eine geniale Idee kam: Kreuzfahrten für digitale Nomaden. Es geht um den Austausch, um Informationen von Menschen, die Business und Reisen verbinden. Wenn im Winter Kreuzfahrtschiffe von Europa nach Südamerika oder Südafrika überführt werden, sind Plätze günstig, weil kaum jemand daran interessiert ist

Das nutzt Völkner für sein Geschäft. Er organisiert bis zu 50 Events – Konferenzen, Workshops, Networking und verkauft die Plätze mit einem entsprechenden Aufpreis an digitale Nomaden. „Nomad Cruise“ nennt er dies. Und es ist beliebt. Seit 2015 bietet er das an. „Beim letzten Trip waren 260 Personen dabei“, erzählt er. Ein Haufen junger Menschen, die an Deck sitzen und sich über Coworking-Stations, Visaprobleme, Unterkünfte und Internetverbindungen austauschen. Viele würden danach noch zusammen weiterreisen, erklärt Völkner. Im April geht es von Spanien nach Griechenland. Die Nachfrage ist schon jetzt groß.

In Deutschland wird Völkner nicht wieder leben. Ein fester Job kommt sowieso nicht Frage. Irgendwann will er vielleicht in Südspanien oder auf Mallorca seine Home Base einrichten. Sonst sei es schwer, eine Familie zu gründen. Irgendwann mal. Im Moment konzentriert er sich auf die „Nomad Cruise“. Und es gibt noch viele Länder zu entdecken. Nach Mauritius wollte er schon immer mal. Nach Südamerika zieht es ihn auch – oder vielleicht noch mal nach Bali. Was danach kommt? Wer weiß. Für Völkner ist die Zukunft ein unbeschriebenes Buch.

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