Was wir nicht schon alles von Unternehmern gehört haben. Sie seien dabei, das „Google des Lernens“ (Scoyo) zu entwickeln, das „Amazon des Stahlhandels“ (Klöckner & Co), das „Uber des Schwerverkehrs“ (Schenker) oder das „Tinder des Recruitings“ (Truffls). Mal mag es Größenwahn sein, der da aus ihnen spricht. Mal sind dies jedoch auch hilfreiche Bilder, um neuartige Geschäftsmodelle zu veranschaulichen.
„Unsere Idee ist es, das Airbnb der Ladestationen für Elektroautos zu werden“, beginnt Martina Hickethier ihre Erzählung über die Gründung von eCarUp. Die Produkt- und Marketingmanagerin des Schweizer Start-ups sieht eine Marktlücke, vergleichbar mit der im Hotelgewerbe, bevor das populäre Online-Portal sie zu schließen begann. Wer auf Reisen war, hatte meist nur die Wahl zwischen kommerziellen Hotels und der Couch bei Freunden. Gleichzeitig standen ungezählte Zimmer in Privathaushalten leer. Bis Airbnb kam – und sie mit ein paar Klicks ins Internet stellen ließ.
Für die Fahrer von E-Autos sieht es derzeit ähnlich aus: Wer sein Fahrzeug außer Haus laden will, macht dies meist bei einer der Stromtankstellen größerer Ketten wie Ionity und Allego – oder bei einem Kumpel, sollte dieser eine private Ladestation haben. Aber: „Die werden in der Regel ausschließlich vom Besitzer genutzt“, sagt Hickethier. „Da ist ein riesiges ungenutztes Potenzial, das wir dank der Sharing Economy freisetzen können“. Nach dem Prinzip des Vorbilds Airbnb soll jeder Infos über seine eigene Ladestation in der App hochladen – und andere Nutzer zur Kasse beten können.
Die ersten Anbieter dafür stehen bereits in den Startlöchern: Evungo geht gerade als Daimler-Spin-Off in die Pilotphase. E3Charge wurde erst vergangenes Jahr ins Leben gerufen und hat nun Fördermittel vom baden-württembergischen Verkehrsministerium bekommen. Die geographische Nähe der drei Unternehmen fällt auf.
Prämierte Problemlösung
ECarUp hat also noch einen zeitlichen Vorsprung. Im Oktober gewannen die Schweizer in der Kategorie „Connecting People“ den „Germany New Mobility & Connectivity Award“, kurz Genius Award, einer Initiative des Handelsblatts und des Stuttgarter Projektbüros zet:project.
Der Impuls für die Innovation kam von einem Kunden von smart-me, der Mutterfirma von eCarUp. Der Immobilienvermieter kannte den Gründer David Eberli, bei dem er einen Smart Meter gekauft hatte, mit dem sich der Stromverbrauch eines Hauses effizienter gestalten lässt. Er beklagte sich bei ihm darüber, wie umständlich es doch sei, eine Ladestation mehreren Fahrern von E-Autos zur Verfügung zu stellen. Zwar könne er jedem eine Karte zur Nutzung aushändigen. Aber was, wenn Gäste zu Besuch sind? Oder auch mal jemand Unbekanntes vor dem Haus parke – und die Zeit zum Laden nutzen möchte?
Das mittlerweile eigenständige Spinoff eCarUp unter Geschäftsführer Fabian Trinkler bietet deshalb seit November 2017 ein „Upgrade Kit“ ab einem Preis von 195 Euro an: eine kastenförmige Nachrüstung, in etwa so groß wie eine Zigarrenschachtel, die optimalerweise in die Ladestation eingebaut wird. Mit der Anwendung von eCarUp lassen sich freie Ladestationen nicht nur online auf einer Karte finden, sondern auch durch das Scannen eines QR-Codes aktivieren und bezahlen. Es geht auch ohne App nur mit Kreditkarte. Aber dann mit etwas eingeschränktem Service.
Der jeweilige Preis pro Kilowattstunde kann vom Inhaber individuell bestimmt werden – von kleinen und mittelständischen Unternehmen beispielsweise, einem der häufigsten Kunden, wie Hickethier sagt. „Da kann es Wagen der eigenen Flotte geben, die Fahrzeuge von Mitarbeitern und die von Nutzern außerhalb der Öffnungszeiten“. Während die Kosten der Firmenwagen durchgereicht werden können, lässt sich Mitarbeitern Rabatt geben. Fremde wiederum würden voll zahlen. Betreiber eines hochklassigen Hotels hingegen könnten mit einer Gratis-Ladung Kunden anlocken.
10 Prozent Beteiligung
Wie Airbnb will eCarUp an jeder Transaktion verdienen. In der Regel sind das 10 Prozent. Was das Schweizer Start-up jedoch von dem Giganten aus dem Silicon Valley unterscheidet: Im Gegensatz zu freien Betten haben bislang die wenigsten kaum genutzte Ladestationen über.
„Die technischen Hürden sind arg hoch“, sagt Hickethier hinsichtlich Privatleuten und kleinen Firmen, bei denen sich Profis um die Installation kümmern müssen. Deshalb kooperiert das Startup mit lokalen Energieversorgern, die die aufgerüsteten Stromsäulen unters Volk bringen. Ansonsten vertreiben sie das Upgrate Kit auch über die Hersteller von Ladestationen wie enercab, ratio electric und wallbe. Mit Erfolg: 240 Ladestationen würden in der Schweiz bereits über eCarUp laufen, was etwa acht Prozent der öffentlich zugänglichen Anlagen entspricht.
Das soll nun auf Deutschland übertragen werden, wo die Online-Karte noch recht leer ist. Sie kooperieren bereits mit den SWU Stadwerken Ulm/Neu-Ulm und denen in Rotenburg (Wümme). Und auch mit einem noch nicht namentlich genannten norddeutschen Energieversorger haben sie bereits Verträge geschlossen.
„Bis da die ersten Ladestationen kommen, kann es aber noch ein halbes Jahr dauern“. Hindernisse gibt es auf dem deutschen Markt zuhauf: der strenge Datenschutz, komplexe finanzrechtliche Fragen und der sehr kleinteilig strukturierte Markt. „Da gibt es etwa 1000 Stadtwerke“, sagt Hickethier. „Wir haben nicht die Ressourcen, jedem einzelnen unser Produkt vorzustellen.“
Geschäftsmodell Ladestrom
Die Plattformökonomie funktioniert meist nach dem „the winner takes it all“-Prinzip. Langfristig will niemand viele verschiedene Apps auf seinem Smartphone installieren, um die nächste Ladestation anzusteuern. In den USA beispielsweise lässt sich über EVmatch auch ohne umständliche Kundenkarten an Ladestationen zahlen – und New Motion gewinnt nicht nur in den Niederlanden immer mehr Käufer ihrer Ladestationen. „Was uns von ihnen unterscheidet ist, dass wir nicht abhängig von einem Hersteller sind“, sagt Hickethier. Die Nachrüstung von eCarUp lässt sich an die unterschiedlichsten Ladestationen anschließen. „Inklusive eines funktionierenden Abrechnungssystems bietet das niemand an“, sagt sie.
Ein weiterer Pluspunkt knüpft am ursprünglichen Geschäftsfeld des Gründers von eCarUp an. Die Nachrüstung lässt sich auch mit einem Smart Meter kombinieren. Das ist eine Art intelligenter Stromzähler, der die Energienutzung optimiert, in dem er automatisch Geräte im Haus steuert, je nachdem, wie viel beispielsweise die eigene Photovoltaikanlage aktuell beisteuert und wie hoch die Stromkosten sind. „Wenn sich die Einspeisung ins Netz gerade nicht lohnt, ist es auf jeden Fall super, wenn ein E-Auto zum zusätzlichen Verbrauch zur Verfügung steht“, so Hickethier.
Die Konkurrenz, gegen die sich Airbnb durchgesetzt hat, kennt heut kaum noch jemand. Ob eCarUp Ähnliches gelingen wird? „Jetzt kämpfen noch alle um die Vormachtstellung“, sagt auch Hickethier. „Da wird sich noch einiges tun.“