Millionen Menschen die im Dunkeln sitzen. Kein Strom, keine Heizung, kein Internet. Ein Gau, der jederzeit zur Realität werden kann? 2006 ist das schon einmal passiert. Als die Hochspannungsleitung über der Ems abgeschaltet wurde, um das Kreuzfahrtschiff „Norwegian Pearl“ von der Meyer-Werft in die Nordsee zu überführen, brach in weiten Teilen Europas das Stromnetz zusammen.

Ein Versehen. Aber dass Hacker es schaffen, eine Lücke im Stromnetz zu entdecken, könnte nur eine Frage der Zeit sein. Dem Industrial Control Systems Cyber Emergency Response Team des US-Ministeriums für Innere Sicherheit wurden 2014 bereits 303 Angriffe bei Netzanbietern gemeldet – bisher ohne größere Folgen.

Das Netz ist allerdings sensibel und muss mit viel Fingerspitzengefühl behandelt werden. Das hat auch Tobias Struck, Leiter Energiespeicher der Wemag AG, erfahren. Ein Jahr lang tüftelte er mit seinen Kollegen der Stadtwerke Schwerin und der Wemag Netz GmbH zusammen mit dem Berliner Speicherpionier Younicos und den Experten vom Institut für Elektrische Energietechnik der Universität Rostock an einem Inselnetz. Das soll bei einem kompletten Stromausfall trotzdem die Stromversorgung sicherstellen.

Um ganz Schwerin zum Leuchten zu bringen, reicht es nicht. Aber die notwendige Infrastruktur kann damit versorgt werden, etwa Krankenhäuser, Krisenstab, Katstrophenschutz und Supermärkte. Denn das Chaos nach einem Stromausfall kann groß sein. Erst vor kurzem legte eine defekte Hochspannungsleitung mehrere Berliner Stadtteile lahm. Noch nicht mal die Feuerwehr konnte ausrücken, weil sich ohne Strom die Hallentore nicht öffnen ließen.

Kein Notstrom für Mecklenburg-Vorpommern

Selbst mit konventionellen Kraftwerken ist es bisher in Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich, nach einem Blackout das Netz wieder aufzubauen. Denn längst nicht jedes Kraftwerk hat die Voraussetzungen, um in ein totes Netz wieder Leben einzuhauchen. Fast alle brauchen ein funktionierendes Stromnetz, um einzuspeisen zu können. Bundesweit gibt es dafür nach Angaben der Bundesnetzagentur 120 Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 9,7 Gigawatt. Um ganz Deutschland mit Strom zu versorgen, reicht das nicht. Nur für die wichtigsten Zentren. Mecklenburg-Vorpommern, das am dünnsten besiedelte Bundesland, zählt nicht dazu. Für den Fall der Fälle will die Wemag deshalb gewappnet sein.

Die Idee: Der Batteriespeicher des Öko-Energieversorgers wird dafür genutzt, damit die Wechselrichter das Netz stabilisieren und um das acht Kilometer entfernte Gas- und Dampfturbinenkraftwerk der Stadtwerke Schwerin „anzuwerfen“, damit es mit den aus Gas erzeugten Strom wieder einspeisen kann. Eine knifflige Sache. Eine Strominsel ist sehr empfindlich. Ein paar Mal ist auch bei Strucks Testbetrieb das Netz zusammengebrochen, bevor er es schaffte, es für mehrere Stunden zu stabilisieren.

„Der Test beweist eindrucksvoll die zentrale Bedeutung von netzbildenden Batteriekraftwerken für das Energiesystem der Zukunft“, sagt heute aber Stephen L. Prince, CEO von Younicos, das die Batterie mit einer speziellen Steuerung schwarzstartfähig machte. Schwarzstart ist ein Fachbegriff, der das Anfahren eines Kraftwerks ohne Netzstrom beschreibt. Viele Anbieter scheuen, solche Starts auszuprobieren. Vor einigen Jahren wurde das in den USA getestet und ein Dominoeffekt ausgelöst, der die halbe Ostküste lahm legte.

Test ohne Verbraucher

Aber Schwerin ist nicht Kalifornien. Struck und sein Team sind lieber auf Nummer sicher gegangen. Bei dem Versuch wurden daher noch keine Verbraucher an das Stromnetz angeschlossen. Etwa 1000 Haushalte wurden simuliert. Erst im kommenden Jahr soll in einem praktischen Test das Projekt unter dem Titel „Kickstarter“ zur Marktreife gebracht werden.

Neben dem Gaskraftwerk sollen dann Erneuerbare-Energien-Anlagen dafür genutzt werden, das Stromnetz mit Hilfe des schwarzstartfähigen Batteriekraftwerks aufzubauen. Ob es gelingt, weiß Struck noch nicht. Versuchen will er es aber auf jeden Fall. Schließlich sollen ab 2040 nur noch die Erneuerbaren Strom liefern. „Es ist erst ein Versuch, um zu testen, ob ein stabiles Netz überhaupt möglich ist“, erklärt Struck. Versucht hat das in dieser Konstellation noch niemand. Eignen würde sich das Land an der Nordostküste dafür, weil es dort so viele Windenergieanlagen wie in kaum einem anderen Bundesland gibt. Mit über 40 Prozent des Stromverbrauchs aus Wind ist Mecklenburg-Vorpommern vorbildlich.

Auch wenn es der erste europäische Test ist, bei dem ein Batteriespeicher das Netz startet – großer Reichtum folgt nicht. Denn für das Vorhalten der Schwarzstartfähigkeit verdienen die Stadtwerke keinen Cent. „Es ist noch nicht in den Köpfen der Verantwortlichen, dass der wirtschaftliche Schaden eines Blackouts viel größer als die Finanzierung von Schwarzstartfähigkeit ist“, bedauert Struck, der sich demnächst mit jordanischen Unternehmern treffen wird. Etwa 1000 Besucher aus aller Welt schauen sich den vollautomatisierten Batteriepark von der Größe einer Turnhalle jedes Jahr an. Zehn Megawatt Leistung und eine Speicherkapazität von 14,5 Megawattstunden hält er vor.

Probleme gab es bisher nicht. „Der Speicher ist sehr stabil – es ist noch nicht eine einzige Zelle ausgefallen“, sagt der WEMAG-Speicherexperte, der auch Geschäftsführer der Batteriespeicher Schwerin GmbH & Co. KG, einer 100prozentigen Tochter der Wemag ist, und den Speicher betreibt. Deshalb lag der Test auch nahe.

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