Die Liste alter Kohle-Minen ist lang. Die fossile Energieerzeugung hat jahrzehntelang Schneisen in die Landschaft geschlagen und Narben hinterlassen. Im besten Fall wird der oberflächennahe Abbau renaturiert und zu Naherholungsflächen umgebaut. Die tieferliegenden Minen werden oft geflutet. Doch was, wenn die Energieerzeugung der Vergangenheit eines der größten Probleme der regenerativen Energien lösen könnte, nämlich der Speicherung von Strom aus Sonnen- und Windenergieanlagen?

„Glück auf!“, der traditionelle Gruß der Kohlekumpel, könnte schon bald für umweltfreundliche Energieerzeugung stehen, wenn die Vision des schottischen Unternehmens Gravitricity wahr wird. Das Start-up plant ehemalige Bohrlöcher zu nutzen, um Energie zu speichern. Dazu soll ein schweres Gewicht von bis zu 2000 Tonnen an Kabeln in einem vertikalen Schacht befestigt werden.

Wenn dann an einem windigen Tag sehr viel Strom beispielsweise aus Windenergieanlagen erzeugt wird, wird die Energie genutzt, um das Gewicht nach oben zu ziehen. Wird hingegen Strom benötigt, fällt das Gewicht nach unten. Die frei werdende Energie treibt dann Generatoren an. Ist der Bedarf nach Strom sehr hoch, kann das Gewicht sehr schnell hinabgelassen werden. Je tiefer der Schacht, desto mehr Energie lässt sich umsetzen.

Ähnlich wie Pumpspeicherkraftwerke

Auf diese Weise könnte das Unternehmen die im Strommarkt sehr begehrte Regelenergie bereitstellen und kurzzeitige Frequenzschwankungen, die unter anderem durch Fluktuation der erneuerbare Energien im Stromnetz verursacht werden, ausgleichen.

Die Idee, die Schwerkraft zur Speicherung von Energie zu nutzen, ist nicht neu. Ganz ähnlich dem Bohrloch-Prinzip von Gravitricity funktionieren Pumpspeicherkraftwerke. Bei ihnen wird Wasser bergauf gepumpt, um es bei Energiebedarf wieder hinunterfließen zu lassen und damit Stromturbinen anzutreiben.

Neue Pumpspeicherkraftwerke lassen sich jedoch nur schwer bauen. In Europa werden die meisten geeigneten Standorte bereits genutzt. Zudem sind die Genehmigungsauflagen hoch, da für solche Kraftwerke massive Eingriffe in Natur und Landschaft nötig sind. Dies wäre ein Pluspunkt für die schottischen Entwickler: Sie könnten bereits vorhandene Bohrlöcher wie beispielsweise alte Kohleschächte oder Salzstöcke nutzen. Laut Gravitricity könnte deren Länge zwischen 150 und 1500 Meter betragen.

Prototyp für nächstes Jahr geplant

Zweifelsohne wäre die Konstruktion, die derart schwere Gewichte sicher auf- und abtransportieren kann, sehr teuer. Das Unternehmen argumentiert jedoch, das System könne bei einer Leistung von einem bis zu 20 Megawatt über Jahrzehnte relativ wartungsfrei und kosteneffizient betrieben werden, da keine chemische Lösung wie bei einer Batterie, sondern Mechanik zum Einsatz käme. Über 25 Jahre betrachtet seien die Kosten für die Energieumwandlung daher niedriger als bei allen konkurrierenden Speichertechnologien, darunter auch Lithium-Ionen-Batterien. Zu dieser Einschätzung kommt zumindest eine Technikabschätzung des Imperial College London.

Ob sich dies auch in der Realität abbilden lässt, muss sich erst noch zeigen. Für die Entwicklungsphase hat das Start-up mit Sitz in Edinburgh im Frühjahr eine Förderung in Höhe von fast einer Million US-Dollar von der britischen Gründungsförderung Innovate UK erhalten. Ein Patent für das System mit den gespannten Führungsdrähten zum stabilen Heben und Senken des Gewichts sei angemeldet, so Gravitricity. Aktuell werde gemeinsam mit dem niederländischen Hebespezialisten Huisman ein Design eines ersten Prototyps mit einer Leistung von 250 Kilowatt entwickelt, der nächstes Jahr in den Niederlanden und Schottland getestet werden soll.

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