An einem Freitagmittag im September setzte sich Norbert Krause in sein Auto, fuhr nach Köln, kreiste in der Innenstadt zweimal um den Block und parkte schließlich auf der chaotischen Venloer Straße. Dann blieb er für 22 Stunden und 48 Minuten sitzen. Das ist die Zeit, die ein Auto durchschnittlich ungenutzt herumsteht. „Pionierfahrt auf den Spuren des Stillstands“ hat der Künstler aus Mönchengladbach diese Aktion genannt. Er will eins zeigen: Egal ob Elektro oder Benziner, in den Städten verbrauchen Autos vor allem erst mal Platz. Die Pionierfahrt war Teil der Aktionsreihe Utopien der Mobilität des Projekts Phase XI. Im Gespräch erzählt Norbert Krause, welche Erkenntnisse er in den knapp 23 Stunden gewonnen hat und wie man den städtischen Verkehr verringern und neue Freiräume schaffen könnte.
Herr Krause, was ging Ihnen durch den Kopf als Sie wussten: Ich sitze die nächsten knapp 23 Stunden in einem parkenden Auto?
In den ersten Momenten im Auto ging die Zeit nicht vorbei. Die Vorbereitung auf die Aktion war sehr turbulent. Dann geht es endlich los und auf einmal sitzt du dort und weißt nicht mehr genau, was du machen sollst. Ich habe nach zehn Minuten das erste Mal auf die Uhr geguckt und nur gedacht: „Ohje.“ Aber nach einer guten Stunde hatte ich mich daran gewöhnt. Ich habe gemerkt, wie in meinem Inneren alles langsamer wurde, während draußen der Trubel weiterging. Ich habe mich wie in einer Art Zeitvakuum gefühlt.
Was wollten Sie mit Ihrer Aktion erreichen?
In Städten ist sehr viel Fläche dem ruhenden und fahrenden Verkehr vorbehalten. Wer sich mit Mobilität beschäftigt, kennt die Zahl: 22 Stunden und 48 Minuten. Das ist die Zeit, die ein Auto im Durchschnitt unbenutzt parkt und Platz im städtischen Raum einnimmt. Das ist erst mal bloß eine abstrakte Zahl. Man erkennt zwar, dass sie wahnwitzig ist, nimmt sie aber einfach hin. Ich wollte die Zahl mit Emotionen unterfüttern und greifbarer machen. Deshalb dachte ich: Wenn ich das Auto demnächst irgendwo parke, dann bleibe ich einfach mal sitzen.
Sie konnten 23 Stunden lang den Verkehr aus ihrem Auto beobachten. Was ist Ihnen aufgefallen?
Ich hatte Zeit, das Zusammenspiel im Verkehr einmal ernsthaft und über längere Dauer anzuschauen. Nachdem ich das Treiben draußen ein bis zwei Stunden verfolgt hatte ist mir aufgefallen, dass die Raumaufteilung auf der Straße für niemanden funktioniert: Die Fußwege sind zu eng, um entspannt aneinander vorbeizulaufen. Die eingezeichneten Radwege sind kaum breiter als der Lenker und für die Autos und zum Parken ist auch kaum Platz. Es ist für alle Beteiligten ein nicht funktionierender Kompromiss.
Wie könnte man das besser lösen?
In diesem speziellen Fall könnte schon helfen, die Straße zur Einbahnstraße zu machen. Das hat meistens weniger dramatische Folgen als viele befürchten. Das gilt auch für komplette Sperrungen. In meiner Heimatstadt Mönchengladbach wird eine Straße auf drei Spuren erweitert, weil dort immer viel Verkehr herrscht. Für die Bauarbeiten wird sie aber erst mal ein ganzes Jahr lang komplett gesperrt. Und man merkt plötzlich: Eigentlich funktioniert es auch ganz ohne die Straße.
Für viele Menschen ist das Auto aber immer noch die bequemste und vor allem schnellste Lösung, um von A nach B zu kommen.
Beim Thema Mobilität spielt Zeit eine große Rolle. Sucht man beispielsweise seine Route auf Google Maps, zeigt es einem die Dauer mit dem Auto, mit dem Zug, mit dem Fahrrad an. Natürlich ist man mit dem Auto meist am schnellsten. Aber das greift zu kurz. Ohne Auto spart man jeden Monat Geld. Das heißt, dass man gegebenenfalls auch weniger arbeiten muss. Dadurch hat man wiederum mehr Zeit zur freien Verfügung, als man mit dem Auto überhaupt gespart hätte. Und Fahrrad fahren und Laufen ist gesund und verlängert die Lebenszeit. So gewinnt man zusätzliche Zeit. Ich finde solche Rechnungen sehr faszinierend.
Sie haben auch Leute eingeladen, sich zu Ihnen ins parkende Auto zu setzen und über Mobilität in der Stadt zu sprechen. Hatten Sie viele Besucher?
Insgesamt kamen rund 15 bis 20 Personen, die sich zu mir ins Auto gesetzt haben. In den Abendstunden waren es natürlich deutlich mehr als mittags. Tagsüber hat jeder ein Ziel, abends sind die Leute entspannter. Der letzte Zusteiger ging um drei Uhr nachts.
Was haben Sie von den Leuten gelernt, mit denen Sie gesprochen haben?
Ich habe gemerkt, dass eine Situationen bei vielen Leuten ähnlich ist: Ein älteres Familienmitglied hat ein Auto, das es nicht mehr fährt und beispielsweise an die Enkel weitergibt. Die brauchen es aber nur ganz selten und teilen es deshalb mit Geschwistern oder Nachbarn. So entsteht eine Art Mini-Car-Sharing abseits von kommerziellen Modellen. Leider ist so etwas versicherungstechnisch aber gar nicht vorgesehen, so dass viele Leute zögern, ihr Auto zu teilen. Da muss etwas geändert werden. Das wäre ein sehr einfacher Kniff, um die Verkehrssituation ganz ohne große Innovationen zu entspannen.
Gab es auch negative Reaktionen?
Ein paar. Ein Fußgänger lief beispielsweise vorbei und rief nur im Vorbeigehen: Ich habe drei Autos und bin stolz darauf! Dann war er weg. Lieber wäre mir natürlich gewesen, er wäre stehen geblieben und wir hätten darüber diskutieren können. Denn so eine Aktion bringt nur dann etwas, wenn man mit Leute diskutiert, die anderer Meinung sind. Sonst ist das witzlos.
Wie sieht der städtische Verkehr in Ihrer Idealvorstellung in Zukunft aus?
In Städten müsste der öffentliche Nahverkehr viel besser ausgebaut sein, so dass er auch einen Großteil der Menschen transportieren kann. Aber es geht nicht nur um innerstädtische Lösungen. Die Städter haben oft gar kein Auto. Ein großer Teil des Autoverkehrs sind Pendler, die zum Arbeiten oder Einkaufen in die Stadt kommen. Für sie müsste eine bessere Lösung gefunden werden. Man könnte beispielsweise einen Ring an großen Parkhäusern rund um die Städte bauen und von dort die letzte Meile per ÖPNV anbinden.
Weniger parkende Autos hieße mehr freie Fläche. Was sollte man Ihrer Meinung nach mit diesem zusätzliche Raum machen?
Ideal wäre natürlich Wohnungsbau, aber dafür sind die Flächen, die frei würden, von der Dimensionierung her meist ungeeignet. Aber man könnte beispielsweise mehr Grünflächen anlegen und Fahrradwege verbreitern. Es bräuchte auf jeden Fall ein neues stadtgestalterisches Konzept. Denn wenn einfach nur die Autos verbannt würden hat man immer noch die breiten grauen Flächen. Das sähe sehr trostlos aus. Deshalb müsste man eine ganz andere Ästhetik in Städten entwickeln.
Besitzen Sie eigentlich ein Auto?
Nach der Geburt meiner Tochter haben wir wieder ein Auto angeschafft. Wann immer es geht nehme ich aber das Fahrrad oder gehe zu Fuß. Ziel ist es, den Wagen irgendwann auch wieder loszuwerden oder mit Nachbarn zu teilen.
Und steht das Auto auch 23 Stunden am Tag unbenutzt herum?
Ja, locker.