Die Tianmenshan Big Gate Road im gleichnamigen Nationalpark in der Provinz Hunan gilt als eine der spektakulärsten Straßen der Welt. In 99 engen Kurven windet sie sich rund elf Kilometer den gleichnamigen Berg hinauf, der zu den fünf heiligen Bergen Chinas zählt. Normalerweise nutzen die Straße dieselgetriebene Reisebusse, die Touristen im Stundentakt rauf zum so genannten „Himmelstor“ schaffen, einer torbogenförmigen Felsformation in 1519 Metern Höhe. Wer es eiliger hat, nimmt für den Weg zur Spitze die Tianmen-Bergbahn. Die längste Standseilbahn der Welt braucht für die Fahrt zum Gipfel nur etwa eine halb Stunde. Aber es geht noch viel schneller – wenn die Straße für die Öffentlichkeit und den Busverkehr gesperrt wird und obendrein ein elektrogetriebener Rennwagen zur Verfügung steht. Volkswagen nutzte die Möglichkeit am Wochenende, um einen Rekordwert zu setzen: Vom „Basislager“ am Fuß des Berges raste Rennfahrer Romain Dumas in 7 Minuten und 38 Sekunden bis zum Himmeltor hinaus, völlig emissionsfrei und nur von lauten Pfeifgeräuschen des Elektromotors begleitet.
Der kleine sympathische Franzose zeigte sich Ziel beeindruckt nicht nur von der Landschaft, sondern auch von den Herausforderungen, die Straßenverlauf und Fahrzeug boten: „Diese Rekordfahrt wird mir sicher auf ewig als mein spektakulärster Einsatz in Erinnerung bleiben.“ Mächtig stolz, wen wundert’s, zeigten sich über den neuen Geschwindigkeitsrekord diejenigen, die das Spektakel ermöglicht hatten. Beispielsweise Stephan Wöllenstein, als Markenvorstand von Volkswagen verantwortlich für das wichtige China-Geschäft: „Der ID.R unterstreicht die Kompetenz von Volkswagen im Bereich der E-Mobilität und gibt unseren Kunden einen spannenden Ausblick auf unsere rein elektrische Zukunft.“
Denn darum geht es wirklich: Kunden in aller Welt mit emotionalen Erlebnissen für die Elektromobilität zu begeistern und das Publikum für den neuen ID.3 wortwörtlich zu „elektrisieren“, der kommenden Montag, beim Markenabend des Volkswagen-Konzerns auf der IAA in Frankfurt seine Weltpremiere erlebt. Der kompakte Fünftürer hat zwar mit dem ID.3 bis auf das Antriebsprinzip nur wenig gemein. Statt mit 500 Kilowatt wird er im kommenden Jahr nur mit einer Motorleistung von xy Kilowatt angeboten. Und auch die Beschleunigungswerte und die Höchstgeschwindigkeit reichen bei weitem nicht an den Rennwagen heran. Dafür soll der ID.3 die Elektromobilität massentauglich machen – der ID.R ist ein Prototyp und ein Einzelstück – die unterschiedliche Farbgebung bei den diversen Rekordfahrten tauscht da ein wenig. In China ging der Rennwagen in Rot-Schwarz an den Start, auf der Nordschleife des Nürburgrings präsentierte er sich wie beim Goodwood Festival of Speed in Blau-Schwarz. Und im Sommer vergangenen Jahres ging er beim inzwischen legendären Pikes Peak Hill Climb in einem jungfräulichen Weiß an den Start.
Was kommt als nächstes?
Überhaupt fragt man sich inzwischen nicht nur in Wolfsburg, was sich die Motorsport-Abteilung von Volkswagen noch so alles einfallen lässt, um den ID.R und seinen Piloten in Szene zu setzen. Die Rekordfahrten in England (1,86 Kilometer in 39,9 Sekunden) und Deutschland (20,8 Kilometer über die Nordschleife in 6:05,336 Minuten) waren auf die Kunden in Europa zugeschnitten, die Wettfahrt in Colorado (19,9 Kilometer in 7:57,148 Minuten) diente der Elektrisierung des US-Publikums. Und die „China Challenge“ zum Himmelstor sollte die Aufmerksamkeit der Chinesen auf die Elektro-Strategie von Volkswagen lenken. Russland könnte noch ein spannendes Pflaster sein – wie wäre es mit einer Wettfahrt von Moskau nach Irkutsk auf den Spuren des „Kuriers des Zaren“? Und: Gibt es da nicht eine spektakuläre Bergstraße hinauf zum Tafelberg in Kapstadt?
VW-COO Ralf Brandstätter und seinem Team wird sicher noch etwas einfallen – für das Museum ist der ID.R viel zu schade. Und bis zum Markteinführung des ID.3 im Frühjahr 2020 bleibt noch jede Menge Zeit, um die Spannung hoch zu halten. Lassen wir uns überraschen.