In der gesamten Europäischen Union geht die CO2-Intensität der Stromerzeugung zurück. So sind die Treibhausgasemissionen des Stromsektors im vergangenen Jahr um 12 Prozent zurückgegangen, zeigt eine Analyse der Organisationen Agora Energiewende und Sandbag. In absoluten Zahlen gingen die CO2-Emissionen demnach um 120 Millionen Tonnen zurück – so viel wie nie zuvor seit 1990. Als Hauptgrund führen die beiden Think Tanks den Rückgang der Kohleverstromung an, die ein „Rekordtief“ erreicht habe. Je zur Hälfte hätten die Energieträger Gas und Erneuerbare die wegfallenden Kohlestrommengen ersetzt. Diese Verschiebung wiederum hätten hauptsächlich die gestiegenen Preise für CO2- Zertifikate verursacht, hieß es weiter.
„Weltweit einzigartige Geschwindigkeit“
Den Rückgang der Kohleverstromung in Deutschland hatte eine Agora-Studie kurz nach Jahresbeginn bereits festgehalten. Nun hieß es, es sei ein Rückgang in allen EU-Ländern zu beobachten. Insgesamt sei die Menge an Kohlestrom gegenüber 2018 um 24 Prozent oder 150 Milliarden Kilowattstunden (kWh) zurückgegangen. Dabei entfielen bei der Braunkohle fast zwei Drittel des Rückgangs allein auf Deutschland und Polen, hält die Analyse fest. Europa lege „weltweit eine einzigartige Geschwindigkeit bei der Ablösung von Kohlestrom“ an den Tag, erklärte Sandbag-Analyst Dave Jones.
Gaskraftwerke waren die einzigen fossilen Stromerzeuger, die ihre Mengen steigern konnten – und zwar um 12 Prozent. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung wuchs EU-weit derweil auf 34,6 Prozent und stieg damit um 1,8 Prozentpunkte. Dabei lieferten Windkraft- und Solarstromanlagen erstmals mehr Strom als Kohlekraftwerke, betonten die Analysten. Windenergie steigerte ihren Output demnach um 14 Prozent – auch dank einer guten Jahresernte aufgrunden starker Winde. Solarenergie legte um sieben Prozent zu. Die Erzeugung aus Wasserkraft ging indes wegen anhaltender Trockenheit im Sommer um sechs Prozent zurück. Agora mahnte trotzdem mit Blick auf die Klimaziele, den Ausbau der Erneuerbaren trotz der positiven Entwicklung im vergangenen Jahr weiter zu beschleunigen.
„Das postfossile Zeitalter kommt“
Agora und Sandbag sehen zudem eine Verbindung zwischen dem ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren und sinkenden Börsenstrompreisen. Denn die Länder mit dem aktuell stärksten Zubau – Großbritannien, Irland und Spanien – hätten zugleich die stärksten Gefälle im Großhandel verzeichnet. „Bei der Entwicklung der Börsenstrompreise sehen wir, dass die Länder, die erneuerbare Energien ausbauen, unabhängiger von Importen, fossilen Rohstoffpreisen und natürlich dem CO2-Preis sind“, erklärte Matthias Buck, Leiter Europäische Energiepolitik bei Agora Energiewende.
Für das laufende Jahr rechnen Agora und Sandbag mit einer Fortsetzung des Trends. „Der Abwärtstrend beim Kohlestrom wird anhalten“, blickte Buck voraus. Zum einen hätten zahlreiche Länder in Europa inzwischen Kohleausstiegspläne verabschiedet oder diskutierten diese zurzeit. Zum anderen sänken die Preise für Erneuerbare immer weiter. „Das postfossile Zeitalter kommt also, darauf müssen sich die EU-Mitgliedstaaten jetzt einstellen“, so Buck. Für einen vollständigen europäischen Kohleausstieg fehlen indes noch Ausstiegspläne der Braunkohleländer Polen, Tschechien, Rumänien und Bulgarien, halten die Organisationen abschließend fest.
Kohlekraft zieht nach Asien um
In Europa mag die Kohleverstromung in den kommenden Jahrzehnten allmählich zum Ende kommen. Das ist die gute Nachricht. Aber damit ist diese Form der Energieversorgung, die für etwa 40 Prozent aller Treibhausemissionen verantwortlich ist, leider noch lange nicht tot – sie zieht nur nach Asien und in andere Regionen der Welt um.
Nach einem Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Bericht der International Energy Association (IEA) verbrennt die Welt heute 65 Prozent mehr Kohle als im Jahr 2000, weil asiatische Länder wie China und Indien, Indonesien und Vietnam weiterhin stark auf die Kohle setzen, um den steigenden Energiehunger ihrer wachsenden Bevölkerung zu decken. Weltweit würden derzeit neue Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 170 Gigawatt geplant oder bereits gebaut. „Kohle bleibt auf absehbare Zeit die größte Quelle für die Stromerzeugung“, konstatiert die IEA in ihrem „World Energy Outlook“, der die Entwicklung bis zum Jahr 2040 hochzurechnen versucht.