Im Hafen von Sydney ist die Hälfte der ehemals natürlichen Küstenlinie mit Mauern und Dämmen befestigt. Das ist schlecht für die Artenvielfalt, weil weniger Organismen auf den glatten, eintönigen Strukturen leben können. Das beeinträchtigt wiederum die Selbstreinigungskraft des Lebensraums, damit die Wasserqualität und reduziert die Fischbestände.
Ein Team von Wissenschaftlerinnen rund um Maria Vozzo vom Sydney-Institut für Meereswissenschaften versuchen daher gemeinsam mit dem Industriedesigner Alex Goad ein Ersatzbiotop zu schaffen. In dem sollen sich Pflanzen und Tiere wieder ansiedeln und die Artenvielfalt erhöhen – was ein Ökosystem widerstandfähiger und produktiver macht.
Sie setzen dabei auf eine ungewöhnliche Technik: den 3D-Druck von Beton. Mit dessen Hilfe hat Designer Goad sechseckige Kacheln entworfen, die 55 Zentimeter im Durchmesser groß sind und 25 Kilogramm wiegen. Sie weisen Vertiefungen und Löcher auf wie poröser Sandstein, der ursprünglich hier die Küste bildete. Eine Art Bio-Mimikry, also Strukturen, die die Natur nachahmen. Die Platten werden mithilfe von Bolzen an der Kaimauer befestigt – fertig ist die Living Seawall, die lebende Wand, so der Name des Projektes.
Die ersten Kacheln haben die australischen Forscher Anfang 2019 in der Nähe der berühmten Harbour Bridge in Sydney installiert. Mittlerweile befinden sich an insgesamt vier Orten die Platten. Derzeit untersuchen die Meereswissenschaftler, welche Formen die Meeresorganismen am schnellsten besiedeln. Das Projekt helfe zu verstehen, „welche Designs und Geometrien die Ozean-Ökosysteme am besten unterstützen“, so Goad. Finanziert hat das Vorhaben die australische Niederlassung des schwedischen Autoherstellers Volvo, der Bundesstaat New South Wales und eine Reihe von Stiftungen.
Die Ergebnisse des Projektes sind nicht nur für Australien wichtig. Weltweit werden immer größere Küstenabschnitte besiedelt und bebaut. Der Klimawandel sorgt für steigende Meeresspiegel und mehr Wetterextreme, was widerum einen höheren und widerstandsfähigeren Küstenschutz erfordert – meist in Form von Deichen, Molen und Mauern. Diese Bauwerke zu Ersatzbiotopen zu machen, kann ein Beitrag zum Artenschutz sein.
Erste Erfolge konnten die Australier bereits verzeichnen. So entdeckten sie bereits nach wenigen Wochen verschiedene Fischarten, die an den Kacheln Nahrung suchten. Einige waren bereits komplett mit Algen, Austern und anderen Muscheln überwuchert. Seitdem untersuchen die Forscher die künstlichen Lebensräume regelmäßig, zuletzt Anfang März.
Lebensfreundlicher Beton – preisgekrönt
Eine ganz ähnliche Idee wie Vozzo und Goad hatte die israelische Meeresbiologin Shimrit Perkol-Finkel – beim Tauchen. Bei ihren Unterwasserexpeditionen im Rahmen ihrer Doktorarbeit erlebte sie hautnah, wie artenarm Wellenbrecher aus Beton sein können. Gemeinsam mit ihrem Studienkollegen Ido Sella gründete sie deshalb 2012 Econcrete: Um beispielsweise Strukturen mit Vertiefungen und Nischen zu entwerfen, in denen sich Tümpel mit Meereswasser bilden und die regelmäßig überspült werden. Ähnlich wie an einer natürlichen Felsküste. Darüberhinaus bietet die Firma auch massive Blöcke, Matten und Wandelemente zum Küstenschutz an, die zugleich neue Lebensräume für Meeresorganismen bilden.
Die beiden Gründer haben außerdem einen Zuschlagsstoff namens Admix entwickelt, der im Beton bis zu zehn Prozent des sonst üblichen Zementes ersetzt. Dessen Produktion ist gewöhnlich sehr energieintensiv und sorgt somit für hohe, klimaschädliche Treibhausgas-Emissionen. Umgekehrt enthält Admix viel an Calciumcarbonaten, die bei Industrieprozessen anfallen und gewöhnlich in Deponien entsorgt werden. Laut Perkol-Finkel ist der CO2-Fußabdruck ihres Betons 80 Prozent kleiner als der von gewöhnlichem Baumaterial.
Ihre Beton-Klötze hat Econcrete bereits an den verschiedensten Küsten eingesetzt, etwa bei Haifa in Israel, in Brocklyn in den USA oder Rotterdem in den Niederlanden. Kontrolluntersuchungen hätten gezeigt, so das Unternehmen, dass die Artenvielfalt auf den Strukturen doppelt so groß sei wie auf herkömmlichem Beton.
Für ihre Idee haben Perkol-Finkel und Sella bereits mehrere Preise erhalten, unter anderem im vergangenen Jahr einen der Green Awards in Berlin.