Von wegen „Brummi“! Als im Hamburger Hafen vor ein paar Tagen drei neue Trucks in Dienst gestellt wurden, war nur ein leichtes Summen zu hören. Denn statt eines großvolumigen Diesels werden die Laster von einem leisen E-Motor angetrieben. Entwickelt hat sie das amerikanische Start-Up Nikola. Gebaut werden sie unter anderem bei Iveco in Ulm. 

Und wenn es nach Michael Lohscheller geht, soll man dieses Geräusch künftig viel öfter hören. In Hamburg, wo bald 25 Exemplare des Nikola Tre fahren sollen, in ganz Europa und vor allem in den USA. Denn der 53-jährige ehemalige Opel-Boss sitzt seit Februar auf dem Chefsessel in Phoenix in Arizona, derzeit als Präsident, ab kommendem Jahr als Vorstandschef. Er will das 2014 gegründete Unternehmen zum Treiber der elektrischen Revolution auf der rechten Autobahnspur machen. Als Vorbild gilt dabei natürlich Tesla. Nicht umsonst hat sich Firmengründer Trevor Milton – der sich derzeit in New York wegen Wertpapierbetrug verantworten muss – bei der Namensfindung beim gleichen Elektropionier bedient wie Elon Musk. Wie der hat Milton sein Unternehmen nach dem Erfinder Nikola Tesla benannt, der der Welt unter anderem den Wechselstrommotor bescherte.

Zwei Langstrecken-Läufer 
Michael Lohscheller läuft seit vielen Jahren Marathon, der vollelektrische Nikola Tre BEV, der seit kurzem im Hamburger Hafen zum Einsatz kommt, fährt mit einer Akkuladung sogar über 500 Kilometer mit einer Akkuladung weit. Fotos: Nikola
Zwei Langstrecken-Läufer
Michael Lohscheller läuft seit vielen Jahren Marathon, der vollelektrische Nikola Tre BEV, der seit kurzem im Hamburger Hafen zum Einsatz kommt, fährt mit einer Akkuladung sogar über 500 Kilometer mit einer Akkuladung weit. Fotos: Nikola

Dabei setzt Nikola anders als Tesla auf einen technologischen Spagat. Neben dem jetzt in Hamburg in Dienst gestellten Tre BEV mit reinem Batterieantrieb und einer Reichweite von rund 550 Kilometern wollen die Amerikaner diese Woche auf der IAA Transportation in Hannover auch den Nikola Tre FCEV präsentieren, bei dem der Strom für die E-Maschine an Bord mit einer Brennstoffzelle erzeugt wird. Damit steigt die Reichweite von rund 550 auf 800 auf Kilometer, während sich die Ladezeit dramatisch verkürzt. Statt die gut 750 kWh große Batterie mit 240 kW im besten Fall in 120 Minuten von zehn auf 80 Prozent zu bringen, sollen dann 20 Minuten zum Volltanken reichen. 

Start-up musste alles neu lernen

Zwar ist Nikola mit diesen Plänen nicht alleine. Und anders als vor zehn Jahren beim Elektro-Auto braucht es beim elektrischen Lastwagen kein Start-Up mehr, um die etablierten Hersteller aufzuwecken und zur Umstellung zu treiben. Längst arbeiten auch Daimler, MAN, Volvo und Scania an Elektro-Trucks für alle Gewichtsklassen. 

„Doch während viele andere noch ankündigen, sind wir bereits auf der Straße,“ sagt Lohscheller mit einem Seitenhieb auch auf Tesla, wo der elektrische Semi noch immer auf sich warten lässt, und rühmt einmal mehr die schnelle Start-Up-Kultur. 

Volle Ladung für Hamburg
 Im Hamburger Hafen haben kürzlich die ersten batteriegetriebenen Zugmaschinen von Nikola den Betrieb aufgenommen.
Volle Ladung für Hamburg
Im Hamburger Hafen haben kürzlich die ersten batteriegetriebenen Zugmaschinen von Nikola den Betrieb aufgenommen.

Zwar lobt Lohscheller das frische, schnelle Denken des Start-Ups, dessen gut 1 000 Mitarbeiter keinen Ballast aus der Vergangenheit mitschleppen müssen. „Doch hat das natürlich nicht nur Vorteile,“ räumt er mit einer Bodenhaftung ein, die er über Jahrzehnte in der „alten“ PS-Welt bekommen hat. „Man denkt freier, hat dafür aber keine Erfahrung und muss alles neu lernen.“ Deshalb stampfe auch ein Start-Up ein Montagewerk eben nicht über Nacht aus dem Boden. Und er bringe es vor allem nicht über Nacht zum Laufen.

Iveco hilft bei Produktion und Service

Und noch etwas unterscheidet ein Start-Up wie Nikola von einem etablierten Hersteller wie Mercedes oder Volvo: Das über die Jahre erlangte Vertrauen in die Modelle und vor allem in den Service. Auch wenn es in der Nutzfahrzeug-Welt selten um Prestige gehe, sondern allein um Profite oder zumindest Rentabilität, seine eine starke Marke deshalb wichtig, gibt Lohscheller zu. „Denn die Kunden müssen die Gewissheit haben, dass ihnen bei einem Problem schnellstmöglich weitergeholfen wird.“ Deshalb baue Nikola eben kein eigenes, neues Service-Netzwerk auf, sondern kooperiere mit starken und vor allem etablierten Partnern wie in Deutschland, zum Beispiel mit Iveco.

Jetzt, wo die Entwicklung weitgehend abgeschlossen ist und beide Fahrzeuge enthüllt sind, ist Lohschellers vorrangige Aufgabe, die Produktion hochzufahren und den Verkauf in Ganz zu bringen: In den USA sind die ersten paar Dutzend Fahrzeuge ausgeliefert. Und mit der Übergabe in Hamburg fährt jetzt dann auch das Europa-Geschäft hoch.

Brennstoffzelle als Rucksacklösung 
Der Nikola Tre FCEV, den der US-Hersteller jetzt auf der Nutzfahrzeug-IAA in Hannover vorstellt, wird der Fahrstrom hinter dem Fahrerhaus in einer Brennstoffzelle erzeugt. Damit wächst die Reichweite der Zugmaschine auf 800 Kilometer.
Brennstoffzelle als Rucksacklösung
Der Nikola Tre FCEV, den der US-Hersteller jetzt auf der Nutzfahrzeug-IAA in Hannover vorstellt, wird der Fahrstrom hinter dem Fahrerhaus in einer Brennstoffzelle erzeugt. Damit wächst die Reichweite der Zugmaschine auf 800 Kilometer.

Und während das noch vergleichsweise bescheidene Zahlen sind, rüstet sich Nikola bereits für deutlich mehr: „Wir sind bereit“, sagt Lohscheller und berichtet stolz von der großen Kapazität daheim in Coolidge und bei uns in Ulm: „In den USA können wir 20.000 Laster im Jahr bauen, und die aktuell auf 2.000 Fahrzeuge ausgelegte Produktion in Ulm lässt sich sehr schnell auf 10.000 Einheiten steigern.“

Nikola baut eigene Wasserstoff-Tankstellen

Dass Nikola dabei ähnlich wie Mercedes zweigleisig fährt und zur Batterie auch auf die Brennstoffzelle setzt, mag zwar den Entwicklungsaufwand erhöhen, ist für Lohscheller aber eine Entscheidung, die den Siegeszug des Elektrolastwagens beschleunigen wird. „Mit den Batterien waren wir schnell marktreif und mit der Brennstoffzelle können kurz danach auch dort elektrische Lastwagen anbieten, wo die Ladeinfrastruktur noch nicht ausreicht, die Entfernungen zu groß oder die Lieferzeiten zu kurz sind,“ sagt Lohscheller.

Zwar sieht der Deutsche in Amerika die Brennstoffzelle vor allem in Flächenstaaten wie den USA im Vorteil. Erst recht, weil Nikola ähnlich wie Tesla mit seinen Superchargern auch die Energie zum Fahren bereitstellen und eigene Wasserstofftankstellen bauen will. Doch welche Technologie am Ende das Rennen machen wird, kann der ehemalige Opel-Chef schwer abschätzen. Deshalb hält er es mit der menschlichen Anatomie oder den Trinkern: „Auf einem Bein kann man schlecht stehen.“ 

Homeland USA 
In den USA sind die ersten paar Dutzend Elektro-Trucks von Nikola inzwischen ausgeliefert - lange vor dem Tesla Semi.
Homeland USA
In den USA sind die ersten paar Dutzend Elektro-Trucks von Nikola inzwischen ausgeliefert – lange vor dem Tesla Semi.

Wer mit Lohscheller über Nikola spricht, der erlebt den Manager nach seinem kurzen Ausflug zu Vinfast jetzt in einer Rolle, die nach mehr aussieht als einem kurzen Gastspiel. Und zudem schwärmt er auch aus einer persönlichen Perspektive für das Leben in Amerika. Doch ein Problem hat der passionierte Marathon-Läufer aus Vietnam mit nach Arizona genommen: Hier wie dort sei es zu heiß für Langstreckenläufe. „Zumindest im Sommer ist hier an solche Strecken nicht zu denken“, sagt Lohscheller.

Was er dort an Zeit gewinnt, kann er anderweitig gut nutzen – um beispielsweise schnellstmöglich den Lkw-Führerschein machen. Denn bislang darf Lohscheller die Produkte, die er verantwortet, nur auf der Teststrecke fahren.

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