Eigentlich wollten wir dieses Interview von Angesicht zu Angesicht führen, idealerweise in einer maritimen Umgebung, auf keinen Fall virtuell ohne Wasser und Weite. Ging aber nur so. Ja, Corona. Aber wir reden. Seine ruhige, leicht melodische Stimme. Präzise, gelassen. Öfter ein entspanntes Lächeln. Fast wie an Bord der Sea Explorer während der täglichen Lageberichte von der Vendée Globe, die wir tage- und nächtelang verfolgt haben. Und typisch Segler, diese scharfen Fältchen um die Augen, die man sich bei viel Sonne und jahrelangem Kneisten verdient. Genau, beim Ferngucken.
Guten Morgen, Boris Herrmann. Haben Sie sich heute früh schon um den Zustand unserer Meere gesorgt?
Damit wache ich natürlich nicht jeden Morgen auf. Aber klar, ist ein ständiges Thema für mich. Deshalb haben wir ja auch seit vier Jahren so ein kompaktes Labor auf unserer Rennyacht »Sea Explorer«, damit segeln wir im aktuellen Zyklus in vier Jahren zweimal um die Welt. Und sammeln Daten zum Zustand der Ozeane. Die sind schließlich für ein Drittel der CO2-Aufnahme auf unserem Planeten zuständig. Wissen nur wenige. Das ist der Grund, warum wir mit diesem Labor die CO2-Konzentration in den Weltmeeren messen. Die steigt natürlich mit der Zunahme unserer CO2-Emissionen und des Klimawandels. So beschleunigt sich die Versauerung der Ozeane. Und die Wassertemperaturen erhöhen sich.
Böse, große Themen…
Darum beschäftigen wir uns damit. Deshalb auch der Aufwand mit diesem Labor an Bord. Diese Daten werden oft präsentiert, sie fließen auch in den IPCC-Report des Weltklimarats ein. Wir werden dort sogar namentlich zitiert mit unserem Schiffsnamen. Darauf sind wir stolz. Ein spannendes Thema für unser Team.
Welche emotionale Verbindung haben Sie eigentlich zum Meer? Ist das ihr Gegner, ihr Partner oder ihr allerbester Freund?
Durchaus so ein allerbester Freund und Partner, den man gern neben sich hat. Ich mag es, am Meer zu sein und habe wirklich das Gefühl, dass mir das Energie gibt. Wenn ich es längere Zeit nicht sehe, dann fehlt es mir. Ich gehe auch gern am Meer spazieren, ich mache viel Wassersport. Kitesurfen, Stand-Up-Paddling. Naja, bin ja auch am Meer aufgewachsen.
Sie waren schon als Kind verrückt nach Segeln und haben früh von einer Alleinumsegelung der Welt geträumt. Stimmt das?
Ja. Ich habe mit meinem Vater die ganze Nordseeküste erkundet. Auf den Sandbänken gespielt und im Wattenmeer. Als Jugendlicher hab ich dann 1997 das Buch von dieser amerikanischen Teenagerin verschlungen, die allein um die Welt gesegelt ist. Genau, Tania Aebi »Die Welt im Sturm erobert«. Das war damals die Jüngste ihrer Zeit, ihre Geschichte fand ich extrem inspirierend, weil die quasi im gleichen Alter war wie ich und ihre Erlebnisse so toll beschrieben hat. Alles mit wenig Geld und viel Improvisation. Entsprach genau meiner Lebenswelt. Da habe ich mir gesagt: Wenn ich die Schule beendet habe, will ich das auch. Dann liegt da mein kleines, gebraucht gekauftes Segelboot. Dann will ich los.
Es lief dann aber anders.
Ja, bei mir wurde das Regattasegeln zur Leidenschaft. Und schließlich faszinierten mich die Ozeane immer mehr. Ich wollte große Rennen segeln, all diese berühmten Wettbewerbe. Das wurde zum Leitmotiv.
Das Meer ist auch in bösen Situationen niemals ihr Feind?
Nein, kein Feind. Das ist einfach die Natur. Die ist immer stärker. Du brauchst da Respekt. Also, man geht nicht außer Sichtweite der Küste ohne vernünftige Ausrüstung und Vorbereitung segeln. Und wenn wir über den Atlantik wollen, dann sind wir extrem gut vorbereitet mit möglichst perfekter Ausrüstung, tollen Schiffen, viel Sicherheitstraining. Und immer mit viel Respekt.
Was war denn bei der Vendée Globe ihre schlimmste Situation, wenn wir den Chrash mit dem Fischdampfer mal außen vor lassen?
Am berüchtigten Kap Hoorn hatte ich verdammt schwere Stunden. Unangenehmer Sturm, hoher Seegang, und ich lag an zwölfter Stelle nicht gut im Rennen. Und dann ging mir mit dem Groß noch mein wichtigstes Segel kaputt. Das Hauptsegel. Kein kleiner Riss in der Mitte, sondern am mittleren Rand, am Achterliek, dort wo massiv Druck draufliegt. Wo du nicht einfach ein bisschen Klebstoff draufschmieren kannst. Da musste ich dann mitten im Sturm und bei tierischer Gischt an Deck versuchen, das zu reparieren. Ich war völlig erschöpft, habe mich eine halbe Stunde hingelegt, um Kraft zu sammeln. Dann wieder raus. Das war ’ne harte Nummer. Da war ich mir mal ausnahmsweise nicht sicher, ob ich das schaffe. Man hat ja eine Menge Probleme auf so einem Törn, aber ob ich die belastete Achterkante des Segels wieder heil kriege, das wusste ich nicht. War auch extrem seelischer Stress, du willst ja nicht wegen so einem Defekt das ganze Rennen aufgeben.
Mal unterwegs mal richtig böse Angst gehabt? Zum Beispiel als ihr nach dem in der Nähe gekenterten Segler Kevin Escoffier gesucht habt, dessen Boot in zwei Teile zerbrochen war.
Ja, danach hatte ich einen ziemlich dunklen Seelenzustand. Da zweifelst du, mein Gott, wer weiß ob der jetzt gefunden wird. Ich kannte ja auch seine Familie so ein bisschen. Du denkst, das darf jetzt nicht wahr sein, da muss irgendein Wunder passieren. Das gab es dann ja auch, aber es war überhaupt nicht sicher, dass man ihn finden würde. Schrecklich, in eine Situation zu kommen, in der du darauf angewiesen bist, dass ein Wunder passiert.
Was war denn ihr schönster Moment unterwegs?
Start und Ziel bringen naturgemäß ganz tolle Situationen. Diese überspringende Energie der Leute drumherum, die beim Start mit den Schlauchbooten so dicht dran sind, dass ich Tränen in ihren Augen sehen konnte. Oder die riesige Freude und die allerersten Berührungen beim Ankommen. Ganz große Emotionen.
Und unterwegs?
Da gab es andere schöne Momente, die waren aber eher still und diskret. Wenn man im Flow ist, mit sich selbst ganz im reinen. Alles passt. Das Schiff, der Wind, der Seegang. Das Boot fährt perfekt, man liegt an einer guten Stelle im Rennen. Du hast gut geschlafen, viel Energie, dein Körper fühlt sich okay an. Man kann durchatmen, aufs Meer gucken. Und ist mittendrin im größten Abenteuer seines Lebens. Diese Momente machen den ständigen Stress ein bisschen vergessen. Da denkst du, das es sich lohnt, allein für diese Minuten hiergwesen zu sein. Das ist herrlich. So mitten auf dem Ozean während der Weltumseglung.
Was macht man da draußen, um vor Einsamkeit nicht verrückt zu werden? Führt man Selbstgespräche?
Selbstgespräche, die hatte ich mir vorgenommen. Ich bin ja eher so ein stiller Typ, und normalerweise spreche ich nicht mit mir selbst. Dabei tut das aber eigentlich total gut. Nach dem Motto: Jetzt rede doch einfach mal mit dem Boot, dem Wind und den Wellen. Das lockert die Seele. Jeder reagiert anders auf diese bedrückende Einsamkeit, mir hat das schon zu schaffen gemacht. Vielleicht bin ich da auch ein bisschen sensibel. Und klar, natürlich habe ich viel mit meiner Familie telefoniert.
Sie haben sich auf die große Um-die-Welt-Nummer irre vorbereitet. Sie können sogar Wunden vernähen und sich selbst eine Zahnfüllung verpassen. Das Werkzeug dafür war an Bord. Wo haben sie das gelernt?
Das war meine vierte Weltumseglung, und es ist bei allen großen Rennen Vorschrift, sich mit Sicherheits- und Medizinkursen vorzubereiten. Schon 2010 war ich bei einem französischen Arzt für zwei Wochen Assistent in der Notaufnahme. Mit weißem Kittel und Namensschild. Darunter stand »maritimer Praktikant«. Da habe ich dann die totale Routine bei bösen Notfällen miterlebt. Und den bewundert, wie der dann auf Automechaniker umgeschaltet hat. Ganz ruhig und exakt gearbeitet hat. Der hat mir auch beigebracht, mit dem Notfallstress mental klarzukommen, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Und vor der Vendée Globe?
Da hat mich dann noch ein englischer Notfallmediziner ausgebildet, der auf Telemedizin spezialisiert ist. Einer, der täglich schwere Unfälle erlebt. Absolut versiert, der kennt auch die Situationen auf Rennyachten, weil er selbst schon um die Welt gesegelt ist. Eine Koryphäe. Ist extra nach Hamburg gekommen, hat hier mit mir trainiert.
Ich gehe mal davon aus, das Sie auch am Boot fast alles reparieren können.
Nein, eben nicht! Ich habe natürlich Ersatzteile mit, und man kann bestimmte Dinge improvisieren. So habe ich unterwegs eine Halterung für einen Propeller zur Stromerzeugung gebastelt. Aus Aluminium gebogen, abgesägt mit der Flex, durchgebohrt. Aber wenn jetzt zum Beispiel am Motor die Nockenwelle bricht oder andere große Teile kaputtgehen, dann hast du ein Problem. Man kann ja nicht für alles Ersatzteile mitnehmen. Und manchmal gehen ganz triviale Dinge kaputt. Zack, schon ist das Rennen vorbei. Das ist auch die Tragik dieses Rennens. Du kannst noch so gut vorbereitet sein, und dann zerbricht eine Schraube am Mast. Der fällt um. Ende, Aus.
Im zweiten Teil lesen Sie, wie Boris Herrmann Greta Thunberg kennenlernte.