Die Chefs von Lego und Ikea sind dabei, genauso wie die von Scania, E.On und Renault. Der Finanzminister aus Luxemburg, der Vizekanzler von Österreich und die Umweltministerin aus Deutschland haben ebenfalls unterschrieben. Insgesamt knapp 40 CEOs, über ein Dutzend Minister aus Europa, zahlreiche Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften haben vergangene einen Appell des französischen Europa-Abgeordneten Pascal Canfin unterstützt. In dem fordern sie einen „Grünen Wiederaufbau“.

Die Corona-Krise droht den Kontinent und den Rest der Welt in eine schwere Rezession zu stürzen. Wenn nun die Staatschefs der Europäischen Union und die Kommission mit einem Billionen schweren Hilfsprogramm sich dagegenstemmen, sollten die Maßnahmen auch dazu dienen, eine klimaneutrale Wirtschaft aufzubauen, fordern die Unterzeichner.

Wie das im Detail funktionieren kann, dazu haben drei bekannte Bestseller-Autoren Ideen und Strategien entwickelt. Die sind zwar vor der Corona-Krise entstanden, liefern aber dennoch gerade jetzt wichtige Anstöße für eine Debatte, die nun beginnen muss: Wie sich Wohlstand sichern und besser verteilen lässt, ohne das Klima weiter aufzuheizen und die Artenvielfalt zu zerstören. Wie sich Liefer- und Transportketten neu organisieren lassen, auch um Europa wieder unabhängiger bei der Produktion wichtiger Güter zu machen.

Claudia Kemfert will montags umsetzen, was die Schüler freitags fordern

Das aktuellste, erst dieser Tage erschienene Buch stammt von der bekannten Energie- und Klimaökonomie Claudia Kemfert. Sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Sie hat nicht das übliche Sachbuch mit einem zusammenhängenden Text verfasst, sondern beantwortet 120 Fragen. Die greifen eine Menge bekannter Themen auf und liefern etwa Argumente in den Debatten mit Skeptikern des Klimawandels oder zeichnen die Verhandlungen in den diversen Großkonferenzen von Kyoto bis Paris nach. Kemfert duzt ihre Leser, ein Hinweis, dass sie auch die Vertreter der Fridays for Future-Bewegung mit Wissen versorgen möchte.

Claudia Kemfert: Mondays For Future
Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen. 195 Seiten, 18 Euro.

Wem das zu wenig Neues bietet, kann gleich zu den heiß diskutierten Punkten vorstoßen: „Brauchen wir eine Ökodiktatur?, „Können wir den Klimaschutz dem freien Markt überlassen?“, „Kann individueller Konsumverzicht den Klimawandel stoppen?“

Kemfert geht bei einigen ihrer Antworten durchaus auf Distanz zu den Aktivisten. Beispielsweise den Klimanotstand auszurufen, wie es einige Städte getan haben, um „die Mühen demokratischer Prozesse auszuhebeln“, lehnt sie ab und hält derartige Aktionen für Symbolpolitik. Und vertraut lieber auf die rechtsstaatlichen und demokratischen Verfahren des Westens – auch wenn sie langwierig sein mögen.

Ihre Ausführungen sind meist zwei, drei Seiten lang. Gründlich beschäftigt sie sich mit der Bepreisung von CO2 und der sozialen Ungerechtigkeit insbesondere der Strompreise. Aus ihrer Sicht müsste auf die Tonne Kohlendioxid eine Steuer von 35 Euro fällig werden, die dann bis 2030 auf 180 Euro steigt – und nicht bei 25 Euro liegen sollte, wie in Berlin beschlossen. Im Gegenzug würde sie die Bürger durch Senkung von Stromsteuer und EEG-Umlage entlasten.

Die Struktur des Buches erlaubt – und verleitet – zum Hin- und Herspringen zwischen den Kapiteln. Dabei ist Kemfert in ihren Thesen durchaus radikal. Etwa wenn sie schreibt, „es genügt nicht, andere Produkte zu kaufen, auch nicht andere Produkte zu produzieren. Wir müssen auf andere Art und Weise produzieren.“

Wie der Umbau hin zu einer nachhaltigeren, klimafreundlicheren Wirtschaft funktionieren könnte, fasst die Energieökonomin am Ende des Buches zusammen. Dazu definiert sie 53 (Haus-)Aufgaben und liefert im Netz weitere passende Praxisbeispiele. Die lauten etwa „Übernimm Verantwortung, die größer ist als du selbst“, „Wirke politisch“, aber auch „Schaffe fossile Kostenwahrheit“ oder „Entwickle finanzierbare Lösungsideen“. Das soll vor allem Jüngere motivieren, sich zu engagieren und nicht nur bei Demos und Streiks stehen zu bleiben. Damit liefert Kemfert ein aktuelles Handbuch für die Friday for Future-Bewegung. Aus dem sie sich bedienen und Wissen tanken soll.

Naomi Klein verbindet Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit

Auch die in Kanada lebende Journalistin und Erfolgsautorin Naomi Klein beschäftigt sich mit der Fridays for Future-Bewegung und ihrer bekanntesten Repräsentantin Greta Thunberg. Für sie ist diese Generation protestierender Schüler die erste, die der Klimawandel in seiner vollen Härte ein Leben lang treffen wird. Auch dieses Buch, erschienen Ende 2019, ist nicht aus einem Guss, sondern eine Sammlung von Essay, die Klein in den vergangenen zehn Jahren veröffentlicht hat.

Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann
Übersetzung: Barbara Steckhan, Sonja Schuhmacher, Gabriele Gockel. 352 Seiten, 24 Euro.

Allerdings hat sie die letzten Kapitel, in denen sie sich mit dem Green New Deal beschäftigt, erweitert und aktualisiert. Der bezieht sich auf das Wirtschaftsprogramm von US-Präsident Franklin D. Roosevelts, mit dem er in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die Weltwirtschaftskrise in seinem Land mit massiven Investionen in die Infrastruktur und den öffentlichen Sektor zu überwinden half. Ein ähnlich umfassendes Maßnahmenpaket fordert auch Klein und viele Vertreter der Klimaschutzbewegung. Sie spricht von einer „Generalüberholung des Betriebssystems“ der Wirtschaft. Klein hat sich in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Vordenkerin des Green New Deal entwickelt. Einem Konzept, das auch in Europa Wirkung zeigte: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das Schlagwort gleich zu Beginn ihrer Amtszeit für sich in Beschlag genommen – und das Ziel ausgegeben, die Union bis 2050 klimaneutral zu machen.

Allerdings ist Naomi Klein skeptisch, was die Rolle der Politik angeht: „Die zentralen Fragen werden nicht allein durch Wahlen geklärt“, schreibt sie. Vielmehr entschieden die Aktionen der sozialen Bewegungen maßgeblich darüber, „ob wir mit einem Green New Deal die drohende Klimakatastrophe abwenden können“. Die gegenwärtig von Parteien in Nordamerika und Europa vorgelegten Pläne wiesen noch erhebliche Schwächen auf und müssten noch erweitert werden. Klein reicht es nicht „die Dächer der Einkaufszentren mit Solarpanelen bestücken und das als grüne Politik verkaufen“. Sie fordert, „eine tiefergehende Debatte über die Grenzen eines Lebensstils zu führen, der Shoppen als maßgeblich für den Aufbau von Identität, Gemeinschaft und Kultur sieht“. Stattdessen müssten wir neue Möglichkeiten schaffen, damit die Menschen ihre Lebensqualität steigern und Freude finden könnten – „sei es durch öffentlich finanzierte Kunstprojekte und Erholungsmöglichkeiten oder durch Zugang zur Natur“. Die reichsten 10 bis 20 Prozent der Menschheit würden die Lebensweise, an die sie sich gewöhnt hätten, nicht werden beibehalten können. Wie weit diese Überlegungen in einer Zeit neuer Massenarbeitslosigkeit durch die Corona-Pandemie noch Gehör finden, bleibt abzuwarten.

Allerdings ist für Klein die soziale Frage untrennbar mit dem Green New Deal verbunden. Denn durch den Klimawandel werden Hitzewellen und Stürme heftiger ausfallen. Wenn die dann „auf ein Gesundheitssystem treffen, das durch Sparpolitik seit Jahrzehnten ausgetrocknet wurde, so werden Tausende mit ihrem Leben bezahlen, wie es tragischerweise in Puerto Rico nach dem Hurrikan Maria der Fall war“. Und jetzt in der Corona-Krise, müssen wir heute ergänzen.

Wichtig für die aktuelle Situation ist das Schlusskapitel des Buches, in dem Klein beschreibt, welch Jobmotor der Green New Deal sein kann. Dies Argument ist gerade heute enorm wichtig – weil die Arbeitslosigkeit in den USA und die Kurzarbeit in Europa nie gekannte Rekordwerte erreicht.

Jeremy Rifkin erwartet den Zusammenbruch der Ölindustrie

Das Buch des Politberaters und Wirtschaftstheoretikers Jeremy Rifkin ist bereits im Oktober 2019 erschienen, dennoch hat es fast prophetische Kraft. Denn der US-Amerikaner hat bereits damals vor der riesigen Investitionsblase in fossile Rohstoffe gewarnt – die jetzt zu platzen droht. Weil sich OPEC, Russland und die USA Preiskämpfe liefern, die Nachfrage nach Benzin und Diesel durch die Corona bedingten Ausgangsbeschränkungen eingebrochen ist und zugleich die Erneuerbaren Energie reichlich und sehr günstig Strom liefern, ist Öl und Gas historisch günstig. Das wegen seiner Umweltschäden umstrittene Fracking, das Erschließen neuer Erdöl-Vorkommen, das Geschäftsmodell insgesamt vieler Mineralölkonzerne und ihrer Zulieferer droht damit unrentabel zu werden. Anlagewerte in Höhe von Billionen US-Dollar drohen vernichtet zu werden. Rifkin hat diese Entwicklung vorhergesehen und mit einem Kollaps der „fossil befeuerten Zivilisation um 2028“ gerechnet. Nun könnte das viel schneller passieren.

Buch-Cover - Jeremy Rifkin: Der globale Green New Deal Rifkin
Jeremy Rifkin: Der globale Green New Deal
Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert – und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann. Übersetzung: Bernhard Schmid. 319 Seiten, 26,95 Euro.

Rifkins Gegenmedizin ist eine unter dem Schlagwort Green New Deal stattfindende dritte industrielle Revolution, in der das Internet der Dinge nachhaltige Energieerzeugung, Mobilität und Logistik miteinander vernetzt und dekarbonisiert. „Für Deutschland bedeutet das jetzt, die Ärmel hochzukrempeln, sich die Vision des Green New Deal zu eigen zu machen und die Welt in eine nachhaltige kohlenstofffreie Zukunft zu führen“, fordert der Autor. Denn aus seiner Sicht hat die Bundesrepublik ihre einst führende Rolle verloren. Er geißelt den stockenden Ausbau bei den Erneuerbaren Energien hierzulande, den langsamen Wechsel hin zur Elektromobilität oder die schleppende energetische Sanierung des Baubestandes. Wo doch selbst der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) „von der dringenden Notwendigkeit eines Überganges zu einer grünen Wirtschaft“ spreche. „Staaten“, mahnt er, „die beim Scale-up einer neuen, kohlenstofffreien dritten industriellen Revolution führend sind, werden auch führend bleiben“. Staaten, die sich den Kräften des Marktes verweigerten und weiter auf fossile Brennstoffe setzten, würden scheitern. Schon längst würden viele institutionelle Investoren ihr Geld aus dem fossilen Energiesektor abziehen – Milliarden von Dollar.

Und noch ein Gedanke von Rifkin ist heute brennend aktuell. Die erforderliche historische Transformation führe die Welt aus dem „Zeitalter des Fortschritts“ in eine neue Ära, dem „Zeitalter der Widerstandsfähigkeit“. Etwas, was erst recht in Zeiten der Pandemie dringender und drängender erforderlich ist. Rifkin dachte natürlich eher an Wetterextreme durch den Klimawandel und nicht an ein Virus, das die Welt in den Würgegriff nimmt. Ihm schwebt ein dezentrales, digital hoch vernetztes Energienetz vor. In dem erzeugen die Gebäude selbst mit Solarenergie Wärme und Strom für den Eigenbedarf, lokale Speicher gleichen Last- und Nachfragespitzen aus. Und auch Elektroautos sollen Teil dieser intelligenten Infrastruktur werden und etwa dann Strom laden, wenn das Angebot groß ist. Fällt ihr ein einzelner Erzeuger aus, bricht nicht gleich die gesamte Stromversorgung zusammen.

Aber derartig verteilte Konzepte werden wir wohl auch auf die weltweit verflochtenen Netze von Lieferkette anwenden müssen. Denn Covid-19 hat gezeigt, was passiert, wenn diese zerreißen. Und in einer Weltregion Schutzmasken und Beatmungsgeräte fehlen, weil eine andere in Quarantäne im Home Office sitzt. Wenn wieder Produktionskapazitäten von Asien zurück nach Europa wandern, verkürzt das nebenbei die Transportwege und hilft die Fertigung klimafreundlicher zu machen.

Der Beitrag erschien zuerst im Guardian. EDISON publiziert ihn im Rahmen der Initiative Covering Climate Now, einem Zusammenschluss von mehr als 400 Zeitungen, Zeitschriften und Newssites weltweit, der die Berichterstattung über Wege aus der Klimakrise fördern will.

Ähnlich wie Kemfert und Klein setzt auch Rifkin große Hoffnung auf soziale Bewegungen wie Fridays for Future, noch stärker aber auf Initiativen wie Energiegenossenschaften, die lokal Strom und Wärme mit Erneuerbaren Energien erzeugen und deren Gewinne in der Region bleiben. Hier nennt er ausdrücklich Deutschland als Vorbild. Aber er setzt auch – als Politikberater – stärker auf die Rolle der Staaten als die beiden anderen Autorinnen. Insbesondere die Europäische Union und China sieht er in einer Führungsposition auf dem Weg in die dekarbonisierte Wirtschaft. So verkneift er sich nicht nachzuzeichnen, wie die Idee des Green New Deals 2008 und 2009 in Großbritannien und Deutschland entstand – und von hieraus zurück in die USA wanderte. Dort erhielt das Konzept durch das radikale Sunrise Movement und vor allem durch die junge demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses Alexandria Ocasio-Cortez neuen Schwung.

Nun droht die Rezession durch das Corona-Virus dies Programm für eine klimafreundlichere Wirtschaft in einem entscheidenden Moment auszubremsen. Wer Argumente und konkrete Vorschläge sucht, um mitzuhelfen, das zu verhindern, findet in allen drei Büchern reichlich Stoff.

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