Die Windbranche steht vor einem strukturellen Umbruch. Seit 20 Jahren erhalten die Betreiber von Windenergieanlagen (WEA) durch das EEG gesicherte Einnahmen für ihren erzeugten und selbst für ihren nicht erzeugten Strom. Ein lukratives Geschäft, das ab dem kommenden Jahr ins Wanken gerät, wenn für die Windriesen der ersten Stunde die Förderung ausläuft. Laut einer Studie des Bundesverbandes Windenergie (BWE) erhalten ab 2021 etwa 6000 WEA mit einer Leistung von gut 4000 Megawatt (MW) keine EEG-Zuschüsse mehr. Bis zum Jahr 2025 kommen jährlich etwa 2500 MW hinzu.

Dann gibt es mehrere Möglichkeiten. Power Purchase Agreement (PPA) als Finanzierung von WEA ist in Deutschland bisher kaum bekannt, rückt aber immer mehr in den Fokus. Vor allem große Firmen aus dem IT-Sektor sind daran interessiert. Dies garantiert ihnen für einen längeren Zeitraum einen Festpreis. Und der Windpark-Betreiber hat stabile Einnahmen, bis zum technischen Ende seiner Anlage. Auch Autobauer wie Daimler interessieren sich  für PPA – sie nutzen den „Windstrom“ beispielsweise, um das Elektroauto EQC im Werk in Bremen und  die Batterie im sächsischen Kamenz und Stuttgart-Untertürkheim zu produzieren und somit ihren grünen Fußabdruck zu verkleinern.

Die Alternative ist der Abbau der „Windmühlen“, um sie nach Polen, Spanien, Kasachstan, Russland oder in die Ukraine zu verkaufen. Oder man recycelt die einzelnen Komponenten – und nutzt den Standort für den Bau einer neuen, größeren Anlage.

Höhere Leistungen durch Repowering

„Repowering spielt eine essentielle Rolle beim Erreichen der Zubauziele und des Gelingens der Energiewende“, betont BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm. Und er erklärt auch warum: „Während der Anlagenpark heute eine durchschnittliche Leistung von 1,8 Megawatt pro Anlage hat, liegen neu genehmigte Anlagen bei 4 Megawatt. Dies zeigt: Ein Ersatz alter Anlagen in bestehenden Flächen kann die Stromproduktion stark erhöhen.“

Recycling oder Komponentenverkauf sind in der Windbranche bisher mehr oder weniger Neuland. Sie nehmen aber an Bedeutung zu. „In den nächsten Jahren kommt eine Rückbau-Welle auf uns zu. Wir wollen Unternehmen, Behörden und Betreibern helfen, darauf gut vorbereitet zu sein, um den Rückbau und das Recycling von Windenergieanlagen sicher und professionell zu gestalten“, sagt Andrea Aschemeyer, Sprecherin des Beirats Normen, Standards und Gütesiegel im „RDRWind“, einem Verein der vor knapp zwei Jahren gegründet wurde. Die aktuell 44 Mitglieder wollen Standards als „best practice“ für die Demontage von Windkraftanlagen entwickeln sowie die Verbreitung neuer Anwendungen und nachhaltiger Prozesse, Standards und Normen fördern.

Denn Abbau und Recycling der WEA ist mit einigen Herausforderungen verbunden, auf die Betreiber mehr oder weniger gut vorbereitet sind. Beim Rückbau gebe es noch es einen großen Nachholbedarf, so Aschemeyer. „Das begegnet mir regelmäßig im Tagesgeschäft.“

Eine Norm gibt es immerhin schon

Der erste Erfolg des Vereins ist eine im Juli vomDeutschen Institut für Normung (DIN) veröffentlichte Norm. „Nachhaltiger Rückbau, Demontage, Recycling und Verwertung von Windenergieanlagen“ lautet der offizielle Titel des 26seitigen Dokuments, das Rahmenbedingungen für den gesamten Rückbau-Prozess festlegt  –  von der Planung über die Durchführung bis zur Dokumentation. „Die DIN SPEC 4866 gibt jedem, der mit dem Rückbau und Repowering von Windparks befasst ist, einen klaren Handlungsfaden“, erklärt Aschemeyer. „Damit werden Unsicherheiten beseitigt und durch klare Handlungskonzepte ersetzt, so dass jeder Rückbau professionell, sicher und umweltgerecht ausgeführt werden kann.“ Darüber hinaus helfe die DIN auch Kommunen und Behörden, den Rückbau zu überwachen und zu beurteilen.

Sind die Anlagen technisch noch funktionsfähig, können sie exportiert oder als Ersatzteil verkauft werden. Neben Wartungs- und Serviceunternehmen, seien auch verstärkt B2B-Portale in diesem Spezialmarkt für Ersatzteile tätig, erklärt RDRWind-Vorstandsmitglied Annette Nüsslein. Vor allem im Onshore-Bereich gebe es einen Markt dafür. Doch selbst wenn die WEA noch gewinnbringend vermarktet werden kann, müssen sie früher oder später recycelt werden. Die dafür anfallenden Kosten sind so individuell wie die Anlage selbst.

Hohe Kosten beim Rückbau

„Faktoren wie Standort, Baumaterialien und Möglichkeiten der Weiterverwendung spielen dabei eine Rolle“, erklärt Aschemeyer. Im Regelfall würden die Einnahmen aus Weiterverwendung und Recycling allerdings nicht die Kosten des Rückbaus decken, da der gesamte Standort wie Zuwegung, Kranstellfläche und Fundament zurückgebaut werden müsse. „Für die Betreiber macht es Sinn zu prüfen, ob sich Synergien bei Stilllegung und Repowering nutzen lassen, um die Kosten zu senken“, ergänzt Nüsslein.

Mit über 90 Prozent ist die Recycling-Quote von WEA zwar schon jetzt ziemlich hoch. Der Verband setzt sich jedoch dafür ein, dass die Anlagen auch nach ihrem technischen Ende immer noch umweltfreundlich bleiben. „Uns geht es vor allem um den nachhaltigen Rückbau“, so Martin Westbomke, der Vorsitzende und Gründungsmitglied von „RDRWind“ und Wissenschaftler am Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH). Strategien für den Rückbau von Windenergieanlagen erforscht das IPH im Projekt „DemoNetXXL – Demontagenetzwerke für XXL-Produkte“ und entwickelt konkrete Handlungsempfehlungen für den Rückbauprozess.

Gestürzter Riese
Beim Rückbau der ausgedienten Windenergieanlagen machen die Rotorblätter die meiste Mühe. Sie bestehen aus Faserverbundstoffen, die sich nur schwer trennen lassen. Foto: Veolia

Die meisten Komponenten einer Windkraftanlage wie Fundament, Turm, Komponenten des Getriebes und des Generators sind recycelbar. Der Turm besteht zum größten Teil aus Beton, das zerkleinert und regional für den Wege-oder Fundamentbau weiterverwendet oder als Rohstoff für Recyclingbetone eingesetzt werden kann. Der meist geringe Anteil von Stahl landet auf dem Sekundärrohstoffmarkt, elektronische Komponenten werden als Ersatzteile vermarktet oder es werden die in der Elektronik vorhandenen Kunststoffe und Metalle wie Gold und Platin herausgelöst und verkauft.

Ausgediente Kupferteile werden vom Metallhandel aufgearbeitet und anschließend an Kupferhütten weiterverkauft. Der Vorteil: Beim Recycling wird im Vergleich zur Herstellung von primärem Aluminium aus Bauxit weniger als ein Zehntel der Energie benötigt.

Bisher ist die Nachfrage sekundärer Rohstoffen nach BWE-Erfahrungen allerdings noch zu gering und von Vorbehalten auch durch die Qualitätsverluste des recycelten Materials geprägt. „Um recycelte Materialien gezielt in neue Produktgruppen einzusetzen, braucht es eine Informationsoffensive, die ähnlich wie bei der Verwendung von Recyclingpapier für eine breite Akzeptanz sorgt“, so der Verband.

Rotorblätter bereiten größte Probleme

Kniffliger wird es bei den Rotorblättern, die aus glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) oder kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffe (CFK) bestehen. Als Füllstoffe dienen Balsaholz oder Kunststoffschaum. Und zur Blitzableitung werden metallische Leistungen wie Kuper oder Aluminium ins Blatt integriert.

Faserverbundstoffe sind Schlüsselwerkstoffe des Leichtbaus, da sie kostengünstig sind und eine Festigkeiten aufweisen, die sie für Strukturbauteile geeignet machen. Diese Vorteile erweisen sich bei der Entsorgung jedoch als Nachteil, weil die Trennung der Komponenten kompliziert ist.

Eines der Unternehmen in Deutschland, das sich damit beschäftigt, ist neocomp in Bremen, die das Material auf Teilchen kleiner als 50 Millimeter schreddert und unter Zumischung von Reststoffen aus der Papierherstellung weiter aufbereitet. Diese Mischung wird von Zementwerke genutzt, wo es als Energieträger und als Substitut für die Rohmaterialien Kohle und Sand in der Zementherstellung eingesetzt wird. Ein Verfahren, mit dem neocomp den GreenTecAward gewonnen hat.

Bei der Carbonfaser funktioniert das allerdings nicht. Das fast nicht zu zerstörende Material wird in der Pyrolyse bei bis zu 600 bis 800 Grad Celsius unter Ausschluss von Sauerstoff verbrannt, damit sich die Carbonfaser aus der Matrix löst. Die Alternative heißt Solvolyse, bei der spezielle Flüssigkeiten zur Trennung von Faser und Matrix eingesetzt werden. Ob sich dieses Verfahren auf großtechnische Anlagen übertragen lässt, ist noch ungeklärt. Die Fasern können zu Pellets oder Fasermehl zermahlen und als Füllstoffe in Spritzgussgranulaten oder Bauprodukten eingesetzt werden.

UBA befürchtet Engpässe beim Recycling

Rein technisch sei das Recycling zwar gelöst, so Elisa Seiler vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal. Optimal ist es aber noch nicht. Forschungen würden sich mit einer höherwertigen Verwertung der Materialien beschäftigen.

Weltweit werden nach Berechnungen des europäischen Windverbandes WindEurope 2,5 Millionen Tonnen Verbundwerkstoffe im Windsektor eingesetzt, die früher oder später recycelt werden müssen. Das Recycling der alten Blätter habe für die Windindustrie daher höchste Priorität, so der Verband, der damit rechnet, dass in Europa in den kommenden fünf Jahren 14.000 Windturbinenblätter außer Betrieb genommen werden. Das Umweltbundesamt (UBA) befürchtet, dass es beim Recycling zu Engpässen kommen wird und dass die Rückstellungen der Betreiber für den Rückbau nicht ausreichen werden.  

Unproblematisch ist nach UBA-Berechnungen das Recycling für den jährlich 5,5 Millionen Tonnen anfallenden Beton und die knapp eine Million Tonne Stahl aus den WEA. Anders sieht es bei den Rotorblättern aus, bei denen laut UBA-Prognose ab 2024 etwa 70.000 Tonnen der Verbundmaterialien anfallen, die bisher nur von einigen wenigen Unternehmen recycelt werden  können. Das sieht sieht RDRWind-Mitglied Mika Lange vom Recycling-Unternehmen neowa nicht so: „Für die Verwertung der verbleibenden Rotorblätter und Gondelverkleidungen aus GFK existiert eine etablierte Verwertungslösung.“  

Wir wollen es hoffen.

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