Seit fast 30 Jahren ist Benno Fürmann eine prominente Größe der deutschen Film- und Fernsehlandschaft. Der heute 51jährige wurde für Projekte wie „Die Bubi Scholz Story“ gefeiert, drehte für Hollywood und war zuletzt unter anderem in dem Serienerfolg „Babylon Berlin“ zu sehen. Doch parallel zu seinen Aktivitäten im Showbusiness suchte er auf der ganzen Welt nach intensiven Erfahrungen in der Natur. In seinem 2023 erschienenen Buch „Unter Bäumen“ (Gräfe und Unzer) lässt er diese Erlebnisse Revue passieren und reflektiert dabei auch seine persönlichen lebensphilosophischen Erkenntnisse ebenso wie das Verhältnis der Spezies Mensch zu diesem Planeten. Diese Überlegungen im Angesicht des Klimawandels entwickelt er im Gespräch mit EDISON noch weiter und versucht dabei Lösungswege zwischen Einschränkung und Selbstentfaltung aufzuzeigen.
Herr Fürmann, im Vorwort Ihres Buches stellen Sie die Frage „Wie schaffe ich es, auf mich, andere und die Natur achtzugeben und zugleich lustvoll durch die Welt zu navigieren?“ Haben Sie darauf eine klare Antwort?
Nein. Ich steige in den Flieger, wenn ich in der verfügbaren Zeit nicht anders nach Südamerika und den Himalaja komme. Aber ich mache mir die Entscheidung immer schwerer, weil sich auch mein Kompass verändert hat. Flugzeuge sehe ich wesentlich weniger von innen als früher. Der letzte Flug war Juni letzten Jahres. In den 80ern und 90ern hat man sich nicht gefragt, was das für den Planeten bedeutet, wenn man nach Ecuador fliegt. Doch ich glaube auch nicht, dass ich ein guter Botschafter für klimatische Nachhaltigkeit wäre, wenn ich depressiv in der Ecke hängen und auf den Tisch eines Berliner Cafés starre, weil ich mir gar nichts mehr erlaube. Es ist nicht realistisch, dass keiner von uns mehr etwas tut, das CO2 generiert. Und selbst wenn es so wäre, würde das wahrscheinlich kein glücklicher Planet sein. Vielleicht vergrößere ich mit einer Reise meine Liebe zum Planteten und setze mich danach noch stärker zu seinem Schutz ein obwohl ich erstmal CO2 generiere. Aber die Frage ist, wie sehr ist meine Entscheidung eingebettet in ein Bewusstsein über den Zustand der Welt und dem Wissen, dass meine Entscheidung zu Fliegen den Planeten und die Menschheit etwas kostet. Wie wir alle versuche ich zwischen fahrlässigem Handeln und maximalster Verantwortung meinen Weg zu finden. Es gibt keine Formel XY, sondern das ist immer wieder ein Austarieren.
Machen Sie etwas zum Ausgleich, wenn Sie sich für einen Flug entscheiden?
Ich kompensiere Flüge mit Atmosfair. Das ist eine deutsche Initiative, die Bäume pflanzt und energieeffiziente Kocher herstellt, speziell für Länder, wo viel draußen gekocht wird und der CO2-Abdruck nicht auf der Agenda steht, weil man ganz andere Sorgen hat. Inwieweit die Bäume, die gepflanzt werden, reichen, um einen Abdruck auszugleichen, ist eine andere Frage. Aber ich habe keinen besseren Hebel außer dem kompletten Verzicht auf Flüge. Deshalb reise ich innerhalb Deutschlands und nach Österreich und in die Schweiz nur noch per Zug.
Wie sollte der Verkehr der Zukunft Ihrer Meinung nach aussehen?
Natürlich werden wir nicht in Holzwägen durch die Gegend rollen. Technologie wird immer eine Rolle spielen. Wir brauchen klimaschonende Antriebe. Und gleichzeitig brauchen wir ein neues Bewusstsein für die Natur. Das bekommen wir, wenn wir eine stärkere Verbindung zur Natur herstellen und über das reine Mitdenken auch mitfühlen. Denn wir sind ja selbst Natur. Mit dieser Verbindung spüren wir, dass wir uns selbst schaden, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Wie lässt sich diese Verbindung konkret herstellen? Nicht jeder kann durch den Dschungel ziehen oder im Himalaja klettern, wie Sie das machen.
Im Buch erwähne ich zum Beispiel das Bergwaldprojekt, einen Verein, der 1987 von einem Förster aus der Schweiz und einem deutschen Greenpeace-Mann gegründet wurde. Diese Initiative hat den Anspruch, dem Laien die Natur näherzubringen. Und zwar dadurch, dass man im Wald lebt, und Waldpflege- und Aufforstungsarbeiten durchführt. Das Projekt ist unter anderem in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv. Aber es muss ja auch nicht so weit gehen. Jeder, der einen Waldspaziergang von zwei Stunden macht, kommt da verändert heraus. Ich habe gemerkt, je mehr ich in der Natur bin, desto ruhiger und verankerter bin ich. Je häufiger wir Natur erleben, desto mehr ist das „die Welt retten“ keine kognitiv-mentale Angelegenheit mehr, sondern ein gelebter Ruf. Das Problem ist einfach, dass wir Natur zum Rohstofflieferanten verdinglicht haben. Aber wir müssen unser Verhältnis zu ihr kultivieren, damit sie regelmäßig sinnlich erfahrbar wird. Das ist ein Auftrag an uns.
Wer soll diesen Auftrag erfüllen?
Ich sehe da besonders Eltern in der Pflicht und generell alle Institutionen, die junge Menschen begleiten, wie Kindertagesstätten oder Schulen. Aber ich habe auch das Gefühl, dass es generell verstärkte Sehnsucht nach einer stärkeren Anbindung an die Natur gibt.
Woher kommt Ihre Sehnsucht nach solchen Erfahrungen?
Wir sind alle hoch empfindsame Wesen. Und ich habe begriffen, dass mich intensive Erfahrungen mit dem Leben und mit mir selbst verbinden. Je tiefer, desto besser.
Sie haben eine 20-jährige Tochter. Wie sieht Zoe diese Umweltfragen?
Sie weiß, dass sie in eine Generation reingeboren ist, wo der Umweltalarm auf einem anderen Niveau stattfindet als in meiner Jugend. Das ist mit einem anderen Verantwortungsbewusstsein verbunden. Aber auch wenn sie nicht fahrlässig agiert, setzt sie sich auch ins Flugzeug, weil sie die Welt sehen will. Und ich habe ihr dabei nichts zu sagen, weil ich selbst Jahre lang nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ gelebt habe.
Welche Rolle spielt bei Ihrer Fortbewegung das Auto?
Ich habe kein Auto mehr. Als Berliner ist es toll, dass ich den Großteil mit dem Fahrrad machen kann. Und wenn ich ein Auto brauche, dann nutze ich Carsharing. Als mir vor zehn Jahren die ersten Freunde erzählten, dass im Teilen die Zukunft liegen würde, konnte ich mir das nicht vorstellen.
Hatten Sie denn nie eine Autoleidenschaft?
Ich fand Autos immer toll. Ich liebe es, in meiner eigenen Welt wie in einer Kapsel zu sitzen und Musik zu hören. Teilweise habe ich mich am Ende eines Drehtags einfach ins Auto gesetzt, Musik angemacht und bin einfach nur gefahren. Ich liebe es zu rollen. Bewegung tut mir gut. Ich kann dabei produktiv denken und einfach abschalten. Aber das gleiche Gefühl habe ich in der Bahn, wenn ich mir Kopfhörer einstecke. Deshalb ist mir der Zug auch lieber als das Flugzeug.
Es gibt den Spruch, dass die Erde ohne den Menschen viel besser dran wäre. Was halten Sie davon?
Ich würde uns vermissen. Ich habe mich auch nicht hier selbst hingezaubert, das hat eine evolutionäre Vorgeschichte, dass es so kam. An guten Tagen, wenn ich mit lauter inspirierenden Menschen zu tun habe, denke ich, dass immer mehr Menschen bereit sind, die Verantwortung zu übernehmen, von der ich gerade gesprochen habe. Noch nie war die grüne Agenda größer als heutzutage. Noch nie waren so viele Menschen für den Umweltschutz. In den 80ern hat man Ökos noch als sonnenblumenkernfressende Wollpulliträger verlacht. Inzwischen ist das totaler Mainstream. Aber es gibt eben auch Tage, wo ich an meinen eigenen Ansprüchen scheitere und von ignoranten Leuten umgeben bin, und dann sehe ich das alles etwas pessimistischer.
Manche sehen die Situation so pessimistisch, dass sie sich als „Letzte Generation“ begreifen und zu extremen Maßnahmen greifen.
Ist es geil, sich auf die Straße zu kleben oder nicht? Ich verstehe den Maurer, der zu spät zur Arbeit kommt, und seine Wut, und ich verstehe aber auch die Verzweiflung von Jugendlichen, die sich von der Politik nicht mehr repräsentiert fühlen.
Aber Sie sind ja kein Befürworter des absoluten Verzichts, wie ihn diese radikale Gruppierung fordert. Verschrecken diese Extremisten nicht den Rest der Bevölkerung, der im Grunde Klimaschutz befürworten würde?
Ich verstehe das Argument auf eine Art. Aber diese vehementen Maßnahmen stoßen auch eine Diskussion an, die notwendig ist. Natürlich sehe ich das Problem, dass die Leute so genervt sind, dass sie in die andere politische Richtung davon schlendern. Das ist durchaus ein ernstzunehmendes Argument. Aber sollte man deshalb auf jede Form von radikalem Protest verzichten, um den Rechten, die den Klimaschutz leugnen, keine Wähler zuzutreiben? Eigentlich kann es das auch nicht bedeuten. Aber es ist kompliziert.
Nachdem Sie die Begegnung mit der Natur suchen, würden Sie sich manchmal wünschen, in einer Zeit zu leben, in der die Zivilisation noch nicht so ausgeprägt war?
Ich stelle mir die Frage so nicht, weil ich im Hier und Jetzt lebe. Aber ich kenne die Sehnsucht nach der Vergangenheit. Es passiert mir oft, dass ich an Orte komme, wo ich denke: Den hätte ich gerne gesehen bevor die Amerikaner hierher kamen oder bevor die Araber anfingen eine Straße zu bauen. Inzwischen habe ich mich von der Modernität und den kulturellen Errungenschaften hin zur Ursprünglichkeit bewegt. Mich interessieren keine Städtereisen mehr. Ich war früher mindestens einmal im Jahr in New York, ich war dort auf der Schauspielschule, habe eine enge Bindung zur Stadt, mein bester Freund lebt dort. Aber mein letzter Aufenthalt liegt jetzt zehn Jahre zurück. Je ursprünglicher und stiller es wird, je weniger Menschen um mich sind – und das sage ich nicht, weil ich ein Misanthrop wäre – desto besser kann ich mich seelisch verankern.
Welche ursprünglichen Naturerlebnisse wünschen Sie sich noch?
Ich war noch nie im Okavangodelta im Norden Botswanas. Ich würde gerne mal ins Hochland von Angola und über die Weiten der Mongolei galoppieren. Aber ich möchte auch noch auf einigen Nord- und Ostseeinseln herumhüpfen.
Doch die Errungenschaften der Technik schätzen Sie schon, Herr Fürmann?
Natürlich. Der Komfort der modernen Welt ist hervorragend. Ich bin dankbar für Membranen wie Goretex, die mir erlauben, mich auf eine ganz andere Weise draußen aufzuhalten. Heute ist es so viel angenehmer und möglicher, in der Welt unterwegs zu sein. Und ich bin auch wirklich auf die Zukunft gespannt. Ich habe Lust, Tag für Tag weiter Richtung Morgen zu gehen. Ich weiß nicht, was sein wird. Keiner weiß das. Zwischendurch habe ich die große Angst, dass wir es nicht schaffen, klug genug zu sein, aber letztlich habe ich dann doch Hoffnung.
Wie würde Ihr persönlicher Lösungsansatz für diesen Weg abschließend aussehen?
Wir leben in dem Dilemma, dass alles jederzeit möglich ist, aber das heißt nicht, dass man alles jederzeit tun sollte. Es sind viele Sachen erlaubt, die eigentlich nicht erlaubt sein sollten. „Freiheit droht in Willkür auszuarten, sofern sie nicht in Verantwortlichkeit gelebt wird“, sagte Viktor Frankl. Und darum geht es: Gebe ich wie ein Kind jedem Impuls, jedem Herzenswunsch nach oder bin ich bereit Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen? Natürlich sollen wir Länder bereisen, natürlich müssen wir unseren Horizont erweitern, aber natürlich ist es auch dringend geboten, dass wir vom Gas gehen. Wieviel habe ich das Recht mir zu gönnen, bloß weil ich kann? Jeder nicht getätigte Flug ist ein guter Flug. Vielleicht muss es nicht immer die Fernreise sein. Ich werden die Probleme der Zukunft insgesamt nur lösen, wenn wir einerseits eine größere Verbindung zur Natur herstellen. Auf diese Weise werden wir mit dem Planeten so umgehen, wie wir wollen, dass man mit uns selbst umgeht. Und gleichzeitig ist eine technologische Weiterentwicklung nötig. In diesem Spagat aus Modernisierung und Naturverbundenheit müssen wir uns in die Zukunft bewegen.