Wie kann eine Gemeinde möglichst CO2-neutral Energie produzieren und darüber autark von Stromlieferungen werden? Wüstenrot im Hohenloher Land, bekannt geworden durch die gleichnamige Bausparkasse, geht der Frage gerade auf den Grund. Die selbsternannte „Wohlfühl“-Kommune im Landkreis Heilbronn hat sich bereits 2007 das Ziel gesetzt, den Plusenergiestatus zu erreichen – also auf das gesamte Jahr gesehen mehr Energie zu produzieren als zu konsumieren.
Mehrere Forschungsvorhaben wurden dazu in Kooperation mit der Hochschule für Technik (HFT) in Stuttgart gestartet. Sie heißen EnVisaGe, EnVisage Plus und Smart2Charge und werden vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Auch am EU-Projekt „Sim4Blocks“ ist Wüstenrot beteiligt. Gesteuert werden die Projekte mithilfe intelligenter Software von enisyst. Das Unternehmen aus der Nähe von Reutlingen hat sich auf die Optimierung von Anlagen im Energiesektor spezialisiert.
Aktuell beschäftigt sich der Gemeinderat von Wüstenrot mit der Frage: Wohin mit der überschüssigen Energie? Soll man sie speichern? Und wenn ja – wie? Eine Überlegung ist, Elektroautos als Pufferspeicher zu nutzen. Auch wird überlegt, den in Wüstenrot erzeugten Solar- und Windstrom mithilfe von Elektrolyseuren in synthetische Kraftstoffe zu verwandeln. Aber lohnt sich das? Alternativ könnte man den Strom auch zur Erzeugung von Wärme mithilfe von Heizstäben nutzen. Das würde sich auf alle Fälle rechnen, haben Hochrechnungen der Hochschule ergeben.
Wind- und Sonnenkraft im Miteinander
Wüstenrot ist für die Forschenden aus Stuttgart zu einem wichtigen Testfeld geworden, für die Vernetzung von Photovoltaik- und kleinen Windanlagen. Für die Einbindung von Elektrofahrzeugen ins smarte Stromnetz, für die Erprobung neuer Formen von Wärmepumpen und Blockheizkraftwerken. Aber auch um herauszufinden, welche Rolle Wasserstoffgenerator und Brennstoffzellen bei der Energie- und Wärmewende spielen könnten. Gedacht ist unter anderem an ein Wärmenetz, das alle vorhandenen Installationen miteinander verbindet und die Gemeinde so auf diesem Gebiet autark werden lässt.
Der gesamte Rathauskomplex – ein Gebäudekomplex, der auch die Feuerwehr- und Polizeistation sowie den Bauhof umfasst – ist bereits energetisch auf den neuesten Stand gebracht. Statt wie früher mit Öl wird die Anlage nun mit Sonnenkraft und Holzhackschnitzeln beheizt. Eine kleine Siedlung nebenan kam als nächstes dran.
„Der Vorteil war“, erinnert sich Dirk Pietruschka vom Zentrum für nachhaltige Energietechnik an der HFT, „dass einer der Hauseigentümer bereits eine große Solarthermie-Anlage hatte, die im Sommer viel ungenutzte Überschusswärme produzierte. Durch den Anschluss an das Wärmenetz kann diese solare Überschusswärme nun in das Wärmenetz einspeisen und von anderen in der Siedlung genutzt werden“.
Technische Lösungen müssen sich rechnen
Die bereits bestehende große PV-Anlage der Gemeinde wurde erneut ausgebaut, mögliche Standorte für Windenergieanlagen wurden untersucht und Wärmenetze aufgebaut. Nach und nach soll so dauerhaft der Energieplus-Status erreicht werden. Im vergangenen Sommer war man dank sonnenreicher Tage schon nahe am Ziel.
Pietruschka hatte mit seiner Idee „EnVisaGe – Kommunale netzgebundene Energieversorgung, Vision 2020‘“ im Rathaus von Wüstenrot offene Türen eingerannt. Dieses Projekt, das im Sommer 2012 startete, geht vor allem zwei Fragestellungen nach: Welche Ressourcen lassen sich wirtschaftlich nutzen? Und: Wie lässt sich der Zubau regenerativer Energien ausbauen, ohne das Stromnetz zu überlasten?
Die Antworten darauf lieferte unter anderem das EU-Forschungsprojekt Sim4Blocks (www.sim4blocks.eu). Es entwickelte ein intelligentes Steuerungssystem, das durch Lastverschiebung den Stromverbrauch in den angeschlossenen Gebäuden besser an die Stromerzeugung im Gemeindegebiet anpasst.
Ohne Künstliche Intelligenz geht es nicht
Mit einfachen logischen Betriebsabfolgen ließe sich ein solches System kaum noch abbilden, ahnte Pietruschka. Für die Orchestrierung einer energieeffizienten Kommune brauche es vielmehr Künstliche Intelligenz (KI). Genau dies wird in den Forschungsprojekten der HFT Stuttgart nun gemeinsam mit enisyst vorangetrieben und umgesetzt.
„Aufgabe ist es jetzt, dieses Konglomerat aus Gebäuden mit seinen eher beliebig verteilten Systemen so zu betreiben, dass das gesamte Quartier möglichst mit einem hohen Anteil an erneuerbarer Energie versorgt wird.“ Dazu braucht es zunächst einmal jede Menge Daten von sämtlichen Komponenten und über ihr Zusammenspiel. Auf der Basis wird ein Modell erstellt, mit dem sich zuverlässig vorhersagen lässt, wie viel Strom und Wärme im Quartier benötigt und verbraucht werden – und wann. Außerdem soll es vorhersagen können, wie viel Strom im Tagesverlauf die Photovoltaikanlagen erzeugen und zu welchem Zeitpunkt.
Die kommenden Monate werden zeigen, wie zuverlässig die Modelle bereits arbeiten – und ob Wüstenrot sein Ziel in diesem Jahr endlich erreicht.