Elektroantriebe sind für Ferrari nichts Neues, denn schon seit 15 Jahren verabreichen die Norditaliener einigen ihrer Modelle elektrische Vitaminstöße. Doch im kommenden Frühjahr soll das erste rein elektrische Modell Premiere feiern. Der Arbeitstitel: Elettrica. Erstmals wird kein brüllender Verbrenner mit acht oder zwölf Zylindern von einem Elektromodul unterstützt, sondern der Antrieb wird komplett elektrisch erfolgen.
Dafür entwickelten die Techniker aus Maranello eine neue Plattform nebst Fahrwerk und mächtiger Batterie, die von einem 800-Volt-System unterstützt wird. Was der erste elektrische Ferrari können soll und wie er sich den Kunden präsentiert, darüber halten sich die Norditaliener gewohnt bedeckt. Nur so viel ließen sie wissen: Der erste Elektro-Ferrari wird ein Viersitzer mit vier Türen und einem Lenkrad mit zwei Manettinos, über die sich Leistungsstufen und Fahrmodi bedienen lassen. Das war es schon – erst einmal.

Ferrari hat in Maranello für den Elettrica ein neues Gebäude hochgezogen, in dem aktuell die Antriebswende vorbereitet wird.
Der Innenraum wird im Januar enthüllt, das finale Auto mit einigen Monaten Verspätung erst „irgendwann“ im kommenden Frühjahr der Weltöffentlichkeit präsentiert. „Dies ist keine Revolution bei Ferrari, da wir weiterhin unsere traditionell angetriebenen Modelle als Herzstück unseres Angebots produzieren werden. Aber die Aufnahme des ersten 100 Prozent elektrischen Modells in unser Fahrzeugportfolio ist zweifellos ein Moment, den wir in Zukunft als historisch in Erinnerung behalten werden“, erklärt Gianmaria Fulgenzi, der seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Marke tätig ist und 2022 zum Direktor für Produktentwicklung bei Ferrari ernannt wurde.
Akku von SK On mit 122 kWh Kapazität
Ohne den Prototyp 599 HY-KERS (2010), LaFerrari (2013), SF90 Stradale (2019), 296 GTB und den jüngst vorgestellten 849 Testarossa wäre die technische Umsetzung eines reinen Elektroantriebs nicht möglich gewesen. „Es gibt mehr als 60 patentierte technologische Lösungen, und erstmals bestehen sowohl das Chassis als auch die Karosserie zu 75 Prozent aus recyceltem Aluminium“, sagt Fulgenzi stolz. Das Herz von Entwicklung und Produktion schlägt im neu eingeweihten E-Building.

15 Module mit 3150 Pouch-Zellen von SK On packt Ferrari in den Boden des Viersitzers. Die Speicherkapazität von 122 kWh soll für über 530 Kilometer gut sein – wenn der Elektro-GT aus Maranello auf der Straße nicht zu sehr gefordert wird. Fotos: Ferrari.
Die in Maranello entwickelte und montierte 122-kWh-Batterie verfügt über eine Energiedichte von fast 280 Wh/L – die höchste aller derzeit erhältlichen Elektroautos. Ferrari entschied sich für die Strategie, möglichst viele Batteriekomponenten selbst zu entwickeln und zu produzieren. Die 15 Batteriemodule (bestehend aus insgesamt 210 Pouch-Zellen des koreanischen Unternehmens SK On, mit dem auch Nissan und Hyundai kooperieren) sind im Fahrzeugboden zwischen den Achsen eingebaut, wobei 13 von ihnen so tief wie möglich im Boden liegen. Zwei weitere Module wurden unter dem Rücksitz verbaut, um die Fahrdynamik zu verbessern.
Auf diese Weise erreichten die italienischen Ingenieure einen 80 mm niedrigeren Schwerpunkt als bei einem Ferrari mit Verbrennungsmotor. Die 800-Volt-Spannung des Systems ermöglicht eine maximale Ladeleistung von 350 kW, was in der Praxis bedeutet, dass während einer 20-minütigen Ladepause eine Reichweite von 300 Kilometern gewonnen werden kann. Ferrari will mit dem 122 kWh Batteriepaket im Unterboden (mit NMC, also Nickel-, Mangan- und Kobalt-Kathoden) eine Reichweite von über 530 Kilometern erreichen.
Spitzenleistung von weit über 1000 PS
Dabei verfügt der Elettrica über einen mechanisch gedämpften Hilfsrahmen, um Geräusche und Vibrationen zu reduzieren, die ohne den Klang des Motors leichter in den Fahrzeuginnenraum gelangen würden. Die Räder an der Hinterachse können gemeinsam oder unabhängig voneinander um 2,15 Grad in beide Richtungen gedreht werden, um die Stabilität oder Agilität zu verbessern. Jeder Dämpfer beherbergt einen Elektromotor, der von einem 48-Volt-System angetrieben wird, wodurch die Dämpfung an jedem Rad einzeln gesteuert werden kann. Da jedes Rad über einen eigenen Motor verfügt, kann echtes Torque Vectoring umgesetzt werden.

Für die Produktion des neuen Elettrica hat Ferrari eine neue hochmoderne Fertigung aufgezogen. Auch Verbrenner und Hybridautos werden hier auf einer Fläche von 42.500 Quadratmetern von über 300 Mitarbeitern montiert.
Die Vorderachse kann je nach Fahrmodus abgekoppelt werden, um den Stromverbrauch zu minimieren. Beide Achsen verfügen Permanentmagnet-Synchronmotoren mit Halbach-Rotoren, Getriebe und Wechselrichter. Die Vorderachse hat eine Leistungsdichte von 3,23 kW pro Kilogramm und einen Wirkungsgrad von 90 Prozent, während die Hinterachse bei einer Relation von 4,87 kW/kg auf einen Wirkungsgrad von 93 Prozent kommt. Die absoluten Leistungswerte betragen 210 kW oder 286 PS an der Vorderachse und 620 kW (843 PS) an der Hinterachse, was einer Gesamtleistung von 1.113 PS entspricht.
Jede Achse mit eigener Stimme
Besondere Bedeutung legten die Entwickler auf die Akustik des Antriebs. „Wir wollten, dass die elektrische Achse ihre eigene Stimme hat“, erklärt Fulgenzi, „und deshalb haben wir einen Beschleunigungsmesser eingeführt, der den Klang im Metall erfasst, wo er in der elektrischen Achse eingeschlossen ist.“
Nicht allein auf den Motorsound sind die Ferrari-Fans ebenso gespannt wie die Konkurrenz – beim kommenden Elettrica.