Mahle? Den meisten Menschen ist der Stuttgarter Automobilzulieferer als Hersteller von Kolben, Zylindern und Ventilsteuerungen bekannt. Komponenten für Verbrennungskraftmaschinen produziert das Traditionsunternehmen, das 2024 weltweit einen Umsatz von 11,7 Milliarden Euro erwirtschaftete, noch immer. Eingesetzt werden sie weltweit in Motorrädern, Pkw und Nutzfahrzeugen, aber auch in Großmotoren etwa für die Schifffahrt.
Aber Mahle ist auch längst in der neuen Welt der Elektromobilität angekommen. Das von einer Familienstiftung geführte Unternehmen produziert effiziente Elektromotoren und intelligente Ladesysteme. Zunutze macht sich die Unternehmensgruppe hier unter anderem die Expertise von Behr – 2013 hat Mahle die Mehrheit an dem Experten für Kühl- und Klimatisierungssysteme übernommen und die Aktivitäten im Geschäftsbereich Thermomanagement zusammengeführt.
Geführt wird der Konzern seit November 2022 von Arnd Franz, 60. Wir trafen uns mit ihm auf der Fachmesse Power2Drive in München, wo sich das Unternehmen als Spezialist für das Laden von Elektroautos präsentierte. Im Interview unterhielten wir uns mit ihm über die Antriebswende und die Zukunft des Verbrennungsmotors. Dabei wurde es schnell politisch: Der Mahle-CEO formulierte Forderungen an die EU, er verriet, was er von den Zielen der neuen deutschen Regierung hält – und warum die Ausrichtung eines Unternehmens von der Größenordnung Mahles allein auf die Elektromobilität für ihn ein inakzeptables Risiko darstellt.

Der Diplom-Kaufmann steht seit November 2022 an der Spitze der Konzern-Geschäftsleitung. Zuvor war der gebürtige Stuttgarter unter anderem für Magna und den Teilegroßhändler LKQ Europe tätig.
Herr Franz, laut VDA sollen die Zulassungszahlen bei den batterieelektrischen Autos um 75 Prozent auf etwa 666.000 Einheiten steigen. Welche Erwartungen haben Sie an dieses Jahr?
Arnd Franz: Die zunehmende Dynamik sehen wir ebenfalls. Auch bei den verkaufsunterstützenden Maßnahmen für batterieelektrische Fahrzeuge. Steigende Verkaufszahlen sind wichtig, damit die Hersteller ihre Flottenziele erreichen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die zeitliche Streckung der CO2-Ziele durch die EU auswirkt. Mit der aktuellen Regulierung bleibt nichts anderes übrig, als batterieelektrische Fahrzeuge in den Markt zu bringen. Die Frage ist nur, wie nachhaltig das ist. Ich gehe davon aus, dass es weiterhin extrem anspruchsvoll bleibt, ausreichend viele batterieelektrische Fahrzeuge zu verkaufen, um die Vorgaben zu erfüllen.
Woran machen Sie das fest?
Die Verbraucher sind nach wie vor zurückhaltend, weil unter anderem die Ladeinfrastruktur die Bedarfe nicht erfüllt und die Kosten der E-Fahrzeuge zu hoch sind. Und ohne die Verbraucher geht es nun einmal nicht.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wir brauchen eine technologieoffene, diskriminierungsfreie Politik bei den Antriebstechnologien im Mobilitätssektor. Die Europäische Union muss den Weg für Hybridfahrzeuge mit nachhaltiger Verbrennungstechnologie freimachen – so wie andere Märkte das auch tun. Am Ende ist nichts gewonnen, wenn die Emissionsziele nicht erreicht werden, weil die Menschen keine batterieelektrischen Fahrzeuge kaufen. Insofern halte ich weiterhin einen technologieoffenen Ansatz für den besten Weg zur Klimaneutralität.
„Am Ende ist nichts gewonnen, wenn die Emissionsziele nicht erreicht werden, weil die Menschen keine batterieelektrischen Fahrzeuge kaufen.“
Da sind wir genau beim Thema: Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung enthält ein Acht-Punkte-Programm zur Förderung der Elektromobilität. Wie schätzen Sie das ein?
Der Koalitionsvertrag ist aus meiner Sicht ein klarer, wegweisender Schritt, um unsere Wirtschaft wieder anzukurbeln. Es bleibt abzuwarten, wie die Umsetzung erfolgt. Niedrigere Energiepreise, eine geringere Steuerbelastung und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind drei Punkte, die neben Infrastruktur und Entbürokratisierung entscheidend sind, um Deutschland und Europa wieder wettbewerbsfähig zu machen. Hier sind wir weit zurückgefallen und müssen jetzt aufholen. Ob eine Legislaturperiode dafür ausreicht, bezweifle ich. Da ist langer Atem gefordert.
Wie lange will Mahle am Geschäft mit Komponenten für Verbrennungsmotoren festhalten? Oder anders gefragt: Bringt die Diskussion um elektrische Fahrzeuge mit Range Extendern Impulse für das klassische Geschäft?
Mit den Range Extendern kommt eine neue Dynamik in den Markt. In China verzeichneten Pkw mit Range Extendern im vergangenen Jahr die höchsten Zuwachsraten. Range-Extender-E-Fahrzeuge und Plug-in-Hybride sind für den Konsumenten sehr attraktiv. In zehn bis 15 Jahren werden wohl weltweit zwischen 90 und 100 Millionen Autos pro Jahr gebaut werden. Ich denke, dass die Hälfte davon einen Verbrennungsmotor haben wird. Und das weit über diesen Zeitpunkt hinaus. Ich glaube an eine Fifty-Fifty-Welt, das heißt 50 Prozent rein batterieelektrische Fahrzeuge und 50 Prozent elektrifizierte Verbrenner, die mit nachhaltigen Kraftstoffen betrieben werden.
Was bedeutet das für Sie?
Ich gehe davon aus, dass zukünftige hybridisierte Pkw 60 bis 80 Prozent aller Strecken elektrisch und den Rest mit einem hocheffizienten Verbrennungsmotor fahren werden. Damit dieser CO2-neutral wird, brauchen wir nachhaltige Kraftstoffe. Deshalb engagiert sich Mahle bereits heute massiv für die Verfügbarkeit und Marktfähigkeit von Biokraftstoffen. Dabei spielt unser Biomobility Center in Brasilien eine wichtige Rolle. Langfristig werden dann auch die synthetischen Kraftstoffe, wie E-Diesel und E-Benzin, wichtig. Die müssen im nächsten Jahrzehnt zur Verfügung stehen, um eine vollständige Dekarbonisierung zu erreichen.
„Aus meiner Sicht ist es nahezu unmöglich, alle Mobilitätsbedürfnisse allein mit batterieelektrischen Antrieben abzudecken.“
Der Nutzen dieser Kraftstoffe ist umstritten, weil die Produktion aufwendig und teuer ist …
Die Energiedichte der Flüssigkraftstoffe ist unschlagbar. Sie haben heute zwischen einer normalen LFP-Batterie und Benzin oder Diesel einen Energiedichtenunterschied um den Faktor zehn. Gravimetrisch und volumetrisch. Das bedeutet zehnmal weniger Platzbedarf und zehnmal weniger Gewicht im Auto. Selbst mit Feststoffbatterien verdoppelt sich die Energiedichte gegenüber den heutigen Batterien lediglich – da sind wir auch nur bei Faktor fünf. Aus meiner Sicht ist es nahezu unmöglich, alle Mobilitätsbedürfnisse allein mit batterieelektrischen Antrieben abzudecken. Deshalb halte ich es für ein unternehmerisch inakzeptables Risiko, ein Unternehmen in einer Größenordnung, wie sie Mahle hat, nur auf diese Technologie auszurichten.
Im zweiten Teil des Interviews schildert Franz, mit welchen Ladelösungen Mahle die Elektromobilität voranbringen will.