Draußen, auf der 2,8 Kilometer langen Handlingstrecke vor dem neuen Porsche Experience Center (PEC) am Hockenheimring, erfahren Mitarbeiter des Sportwagenherstellers unter Anleitung eines Trainers gerade am eigenen Leib, welche Beschleunigungskräfte ein bis zu 760 PS starkes Elektroauto entfalten kann – und wie man diese sicher beherrscht. Auf der Geraden, aber auch in einer dem Karussell am Nürburgring nachempfundenen schnellen Kurvenpassage. Ihre Eindrücke werden sie später nutzen, um zum Beispiel im Vertrieb Kunden für die neue Antriebstechnik zu begeistern.
Erfahrungen sammeln lassen sich reichlich im Kundenerlebniszentrum und auf dem 170.000 Quadratmeter großen Areal ringsum. Auch und gerade mit dem Taycan, dem ersten voll elektrisch angetriebenen Sportwagen von Porsche. Elf Fahrzeuge des Typs stehen am PEC ständig zur Verfügung. Ein zwölftes Auto kommt an diesem Tag dazu: Ein weißer Taycan Turbo. Am Steuer: Alexander Pollich, der CEO der Porsche Deutschland GmbH, die das Center seit bald einem Jahr betreibt. Er ist aus Zuffenhausen herbeigeeilt und hat unterwegs offenbar selbst ein wenig mit den Kräften des starken Stromers gespielt. Jedenfalls muss sein Taycan erst einmal an einem der beiden 800-Volt-HighPower-Charger vor dem PEC andocken. Knapp 20 Minuten würde es bei einer Ladeleistung von 250 Kilowatt normalerweise dauern, um den 93,4 Kilowattstunden große Stromspeicher wieder bis obenhin mit Energie zu füllen. Aber der EDISON-Ladetalk dauert dann doch etwas länger. Was nicht am HPC-Lader liegt.
Herr Pollich, als Sie im Oktober vergangenen Jahres das Porsche Experience Center am Hockenheimring eröffnet haben, hatten Sie große Pläne für die neue Location. Dann kam Corona. Was hat sich dadurch geändert?
Natürlich eine ganze Menge. Im Porsche Experience Center haben wir die Zeit der Schließung genutzt, um weitere Optimierungen vorzunehmen. Wir haben mittlerweile zwei virtuelle Live-Events am PEC organisiert, die mehr als 40.000 Porsche-Enthusiasten verfolgt haben. Seit der Wiedereröffnung Anfang Mai sind wir auch wieder gut und schnell mit analogen Formaten durchgestartet. Wir erleben derzeit einen ganz ordentlichen Andrang: Die Menschen sehnen sich nach der langen Lockdown-Phase wieder nach echten, physische Erlebnisse. Und viele realisieren, dass es dieses Jahr nichts mit dem Abenteuer-Urlaub wird. Sportwagen- und Motorsport-Enthusiasten suchen deshalb jetzt andere persönliche Highlights. Dafür haben wir hier die optimale Spielwiese. Die Buchungslage ist entsprechend gut.
Was bieten Sie den Menschen hier?
Es gibt vielseitige Fahr-Programme, bei denen Sie auf dem Beifahrersitz oder am Steuer eine Stunde lang auf den Parcours gehen – und anschließend noch eine halbe Stunde Ihre Runden mit dem neuen Taycan drehen können. Zudem bieten wir unseren Kunden das „Porsche-Fahrerlebnis“ an: Porsche-Kunden erhalten mit der Fahrzeugbestellung – bereits vor Auslieferung – die Möglichkeit, ein baugleiches Fahrzeug am PEC zu testen. Wir bieten dieses exklusive Erlebnis für zahlreiche Derivate der Baureihen Taycan, 911, 718, Macan und Cayenne an und erweitern das Angebot fortlaufend. Zudem sind Auslieferungen von High-End-Fahrzeugen am PEC möglich. Die klassischen Werksabholungen finden weiterhin in Zuffenhausen und Leipzig statt.
Die Investitionen in das PEC beginnen sich also auszahlen?
Es ist das siebte Experience-Center weltweit und ein Investment in die Marke. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Kunden sind sehr glücklich, unsere Fahrzeuge in ihrem eigentlichen Element erleben zu dürfen, auch abseits von 100 km/h wie in den USA.
Die Corona-Krise hat sich auch in den Absatzzahlen niedergeschlagen. Im ersten Halbjahr gingen die Auslieferungen in Deutschland um 25 Prozent zurück.
Das stimmt, aber wir spüren schon eine deutliche Erholung: Im Juni war die Auftragslage bereits fast wieder auf Vor-Corona-Level. Auch der Juli sieht gut aus. Wir sind jetzt vorsichtig optimistisch, dass wir die Talsohle durchschritten haben. Wir haben einige attraktive Produktneuheiten. Und mit dem Taycan geben wir jetzt richtig Gas – oder vielmehr Strom! Die Händler ziehen gut mit, das Kundeninteresse ist riesengroß.
Wie hoch ist denn inzwischen der Anteil der Stromer an den Bestellungen? Sie bieten ja nicht nur den vollelektrischen Taycan an, sondern auch Varianten des Cayenne und Panamera mit Hybridantrieb.
Bei Cayenne und Panamera sind die Varianten mit Hybridantrieb zunehmend beliebt. Beim Panamera sind wir europaweit bei einer Quote von 60 Prozent, in Deutschland bei 40 Prozent. Beim Cayenne sind es 30 Prozent in Europa und 19 in Deutschland. Das ist schon eine ordentliche Größenordnung. Mit dem Taycan und bald auch dem Macan in einer Elektro-Variante sowie zukünftigen Modellen und Derivaten gehen wir davon aus, dass wir bis zum Jahr 2025 die Hälfte unserer Fahrzeuge elektrifiziert verkaufen werden.
Die Porsche-Klientel ist eigentlich sehr konservativ: Die Umstellung von luft- auf wassergekühlte Motoren führte ebenso zu einem Aufschrei wie die Abschaffung der Elfer mit Saugmotor. Wie viel Überzeugungsarbeit müssen ihre Händler leisten, um diese Klientel für einen Taycan zu begeistern?
Natürlich gibt es Fragen, natürlich gibt es auch Zweifler. Das Design war nie ein Thema. Eher ging es bei der Vorstellung unseres Elektrosportlers um die Frage: Kann man die Sportwagen-Gene auf ein Elektrofahrzeug übertragen? Diejenigen, die den Taycan schon gefahren sind, stellen diese Frage nicht mehr. Wir haben natürlich einige technologische Besonderheiten, die uns zupasskommen: Die tief verbaute Batterie, die gut für die Straßenlage ist. Das Fahrzeug ist überraschend agil. Außerdem hat der Taycan eine tolle Beschleunigung. Selbst bei Tempo 200 zieht es Sie noch nach hinten, weil die Reserven unglaublich groß sind und die Elektromaschine so schnell reagiert.
Höre ich da auch bei Ihnen Begeisterung?
Durchaus. Ich fahre seit Dezember letzten Jahres einen Taycan Turbo.
Der Funke ist übergesprungen?
Absolut. Ich war allerdings auch vorbelastet, weil ich über die Jahre auch Prototypen und Vorserienfahrzeuge gefahren bin. Was mich begeistert, ist die lautlose Agilität und die wahnsinnige Beschleunigung an der Ampel oder auf der Autobahn. Ich genieße normalerweise auch den schönen Motorsound einer Sportabgas-Anlage eines 911. Aber das wird im Taycan sehr schnell kompensiert durch das Fahrerlebnis.
Also braucht es im Handel nicht viel Überzeugungsarbeit?
Nicht für das Fahrzeug, aber für die Elektromobilität generell: Hierzulande gibt es gegen die Antriebstechnik viele Vorbehalte.
Stichwort: Klimaschutz und Kinderarbeit im Kongo.
Und Lade-Infrastruktur. Aber diese können wir immerhin selbst beeinflussen, sprich verbessern. Im Rahmen des Ionity-Verbunds bauen wir das Netz an Schnellladeparks fortlaufend aus. In Deutschland werden wir schon bald bei 100 Ladeparks sein. Zudem bieten wir unseren Kunden auch Technik zum Heimladen an, arbeiten also intensiv an den Bedenken, die es bei der Ladethematik gibt. Inzwischen fällt es uns deshalb auch zunehmend leichter, langjährige Verbrenner-Liebhaber von der Technik zu überzeugen, wie auch neue Kunden für die Marke zu gewinnen.
Die Resonanz auf den Taycan in der Öffentlichkeit ist sehr positiv, nicht von Neidfaktoren bestimmt.
Ja, weil ich glaube, dass die Menschen anerkennen, dass Porsche die Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen ernst nimmt. Der Taycan ist nicht nur ein Feigenblatt.
Das Auto trägt also schon zum positiven Markenimage bei. Woher kommt die neue Klientel?
Die Analyse ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, da der Taycan erst seit Jahresbeginn in Deutschland ausgeliefert wird. Aber tatsächlich gewinnen wir Kunden von anderen Marken: Wir haben in Deutschland aktuell einen Neukundenanteil von rund 30 Prozent. Der wird noch steigen. Die Taycan-Kunden sind durchschnittlich etwas jünger als bisher. Und wir sehen überproportional viele Kunden, die in der IT-Branche arbeiten, also technologieaffin sind.
Wie hoch ist der Frauenanteil bei dem Modell?
Der ist auch etwas höher als bei anderen Modellen. Aber an dieser Aufgabe werden wir sicherlich noch weiter arbeiten. Wir wollen die Marke attraktiver für Frauen und jüngere Zielgruppen machen, beispielweise mit Events und Marketingaktivitäten. Unser Online-Vertriebskanal spielt dabei auch eine wichtige Rolle. Wir haben im vergangenen Jahr einen digitalen Marktplatz gelauncht, über den Kunden unsere Fahrzeuge online bestellen können.
Wie bei Porsche in Zukunft der Vertrieb aussieht und welche Rolle die Rolle E für das Unternehmen spielt, erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews.