Alles bestens unterwegs
Los geht’s. Logo, wir haben den Schalthebel, hier eine kleine elegante Drehwalze auf der Mittelkonsole, sofort gefunden. Die Finger unserer rechten Hand landen automatisch dort. Für »D« einmal nach hinten ziehen und dann einfach losrollen. Noch ein bisschen begleitet von diesem ziemlich spacigen Sound, der bei Schritttempo träumende Fußgänger vor uns warnen soll. Wir starten im gemütlichen Comfort-Modus, den man netterweise mit einem Knöpfchen direkt anwählen kann.
Der Testwagen hat die mittelgroße 100-kWh-Batterie im Unterboden, was ihn bei voller Austattung zum Gesamtgewicht von 2,38 Tonnen bringt. Sie ist fast voll geladen, das Fahrerdisplay zeigt uns optimistisch eine Reichweite von 542 Kilometern an. Ergo kein Problem für unsere Testfahrt, die mit rund 245 Kilometern veranschlagt ist und am Berliner Flughafen BER beginnt. Was sofort auffällt: super Sichtradius vorn, nach hinten (ja, das typische Coupestyling) ist der Blick hingegen relativ eingeschränkt. Aber beim Rangieren helfen ja die herrlichen Kamerabilder auf dem Zentralscreen.
Absolute Ruhe im Schiff, das stellen wir schon auf den ersten Metern fest. Keine nervenden Wind- oder Abrollgeräusche. Was für eine exzellente Dämmung dieser fünfsitzigen Limousine spricht. Auch die serienmäßige Luftfederung und die kontinuierliche, prophylaktische Dämpfungsregelung (CDC) tun ihr Bestes und bügeln die Landstraßen hier im Norden der Hauptstadt (mittlerweile sind wir auf Holpersträßchen des Naturreservats Schorfheide) so was von glatt, das es eine Freude für die Bandscheiben ist.
Und die Power? Definitiv mehr als ein normaler Mensch braucht. An der Vorderachse summt ein 180 kW starker Elektromotor (permanenterregt), hinten eine 300 kW starke E-Maschine. Bringt 480 kW Systemleistung, das sind demnach rund 650 PS im Bunde mit fetten 850 Newtonmeter Drehmoment. Null bis Tempo 100 in 3,8 Sekunden. Noch Fragen? Auf der Autobahn hatten wir vorher auch den Maximalspeed von 200 km/h getestet, den der ET7 bemerkenswert fix erreicht hat.
500 Kilometer mit 100 kWh-Akku
Auffallend ist, dass dieser NIO, wenn hier sämtliche Fahrerassistenz-Systeme in Aktion sind, geradezu übervorsichtig auf enge Straßen oder zu dicht vorbeifahrende Entgegenkommer akustisch oder per Lenkeingriff reagiert. Im Extremfall auch mit einem heftigeren Bremsmanöver. Haben wir dann einfach abgeschaltet, zumal dieser schwere Wagen ohnehin leicht zu dirigieren ist und sauber durch engste Ecken flitzt. Wir haben dabei gleich sämtliche Modi durchprobiert: Comfort, Eco, Sport und Sport+. Sie sind erfreulich gut gespreizt, wobei, kleine Vorwarnung, die Sport+-Einstellung das Auto mit einem Wimpernschlag zum extrem zackigen Racer macht, was vielleicht nicht jedermanns Sache ist.
Dass Fahrwerk und Bremsen sensibel austariert sind, zeigt sich auf der Rennstrecke des Ex-Militärflughafens von Groß Dölln, wo wir schon erwartet werden. Wir buchen ein paar Rennrunden hinter den hier agierenden professionellen Race-Instruktoren, lauschen der kurzen Einweisung und wählen natürlich den Sport+-Fahrmodus. Und spüren dann schon in der ersten Haarnadelkurve wie leichtfüßig, unaufgeregt und exakt diese schwere Limousine auf der Piste reagiert. In Nullkommanichts kleben wir unserem Vordermann am Heck und sind am Ende durchgeschwitzt und ziemlich begeistert.
Über die Rückfahrt quer durch Berlin in der fiesesten Rushhour-Zeit reden wir lieber nicht, irgendwann sind wir wieder angekommen. Und schauen verblüfft auf die angezeigte Restreichweite, die der Bordcomputer mit 263 Kilometern beziffert. Dieser ET7 ist mit dem 100-kWh-Akku, wenn man nicht permanent wie angestochen durch die Gegend rast, ohne großes Gepäck locker für 500 Kilometer gut. Für die Statistik: Auf der Autobahn waren wir im Schnitt mit 23 kWh unterwegs, auf der Landstraße mit 14 bis 15 kWh, und in der Stadt sind wir auf den letzten 10 Kilometern mit dem sensationell niedrigen Schnitt von 10,4 kWh gefahren. Da war allerdings der »Eco«-Modus eingestellt, in dem das Auto kräftig (jedoch nicht bis zum Stand) per spürbarer Brems-Rekuperation einiges an Energie zurückgewinnt.
DC-Laden mit maximal 130 kW
Nur vom angesagten Ladetempo sind wir enttäuscht. AC-Laden funktioniert beim luxuriösen ET7 nur mit 11 kW, das dürfte zu Hause an der Wallbox also fast die ganze Nacht dauern. Es kommt noch härter, denn fürs DC-Schnellladen nennt NIO gerade mal 130 kW. Da dauert es dann (im Idealfall) rund 40 Minuten, um von 10 auf 80 Prozent Ladezustand zu kommen. Das können viele Konkurrenten viel schneller. Und dann bringen wir aber in Erfahrung, dass die Hardware des NIO theoretisch schon schneller laden könnte, die entsprechenden Leitungen seien da bereits verbaut. Aber der höhere Ladespeed soll erst mit dem Start der 150-kW-Batterie aktiviert werden.
Deshalb sind wir natürlich gespannt, was denn diese für den ET7 avisierte 150-kWh-Batterie so alles kann und was sie real für Reichweiten erlauben wird. Das ginge dann ja zum Beispiel von Berlin bis in die österreichischen Alpen entspannt in einem Stück. Zur Technik: Dieser anfangs schon erwähnte Superspeicher ist eine Semi-Feststoffbatterie mit festem und flüssigem Elektrolyten. Einer Anode aus Silizium-Kohlenstoff-Verbundmaterial mit extrem hoher Energiedichte (360 Wh/kg), die der chinesische Batteriehersteller WeLion zuliefert. Wann diese Superbatterie denn zu uns komme, wollen wir nun wissen. Aber dazu will Kranz nun partout gar nichts sagen. Wir wären nicht EDISON, wenn wir es nicht trotzdem rauskriegen würden: Im Frühjahr nächsten Jahres soll die Superbatterie auch im Deutschland zu haben sein.
33 Sensoren und ein „Watchtower“
Fehlt noch was? Ja, theoretisch könnte der ET7 auch autonom fahren, bis zu den Leveln drei und vier, bei denen wir unsere Hände lange komplett vom Lenkrad lassen könnten. Die Hardware dazu hat er bereits eingebaut: 33 Sensor-Einheiten, darunter ein Lidar mit ultralanger Reichweite, elf Video-Kameras, die mit 8 Megapixeln auflösen, und diverse weitere Radare und Sensoren. Dieser NIO sieht mehr und reagiert schneller, als wir in unseren besten Tagen. Guckt viel weiter als die Modelle der Konkurrenz: Größere Objekte jeder Art registriert die Sensorik schon in 687 Metern Entfernung, Fußgänger schon in 223 Metern. Deswegen hat der ET7 oben auf dem Dach auch diese windschnittigen Knubbel, die sie bei NIO, damit es schöner klingt, „Watchtower“ nennen. Aber für den Einsatz dieses autonomen Gefahrenwerdens gibt es bei uns noch keine rechtliche Erlaubnis. Nix mit einem Schläfchen oder der Videokonferenz zwischendurch.
Ansonsten gefällt uns logischerweise die unglaublich komplette Ausstattung, denn alles, was wir hier beschrieben haben, ist schon inklusive. Da dauert die Konfiguration wirklich nur Minuten. Farbe aussuchen und zwischen zwei Radgrößen wählen: die 20-Zöller des Testwagens sind mehr was für die große Reichweite, die 21er aus dem Kohlefaser-Zeugs eher was für Speedjunkies. Nun bei Bedarf nur noch der Klick bei der Anhängerkupplung, immerhin darf der ET7 bis zu zwei Tonnen an den Haken nehmen. Die Stützlast liegt bei 100 Kilogramm.
Nur im Abo – ab 1191 Euro aufwärts
Bis hierhin ist fast alles gut. Aber was der ET7 denn nun kosten soll, wird Kranz gefragt. Gelistet ist er ohne Batterie mit 69.900 Euro, was nicht uninteressant klingt. Die Antwort des Deutschland-Chefs verblüfft: „Den gibt es hier nur im Abonnement.“ Und begründet das irgendwie mit den Erfahrungen aus dem norwegischen Markt, wo sich 95 Prozent der Kunden für ein Batterie-Abo entschieden hätten. Deshalb geht NIO bei uns jetzt gleich voll aufs Ganze.
Dieses Abo («Subscription«), das man bei NIO euphorisch als Errungenschaft „für maximale Flexibilität und Personalisierung“ sieht, gibt es in zwei Versionen. Nummer eins namens »Fix« beinhaltet feste Laufzeiten zwischen 12 und 48 Monaten. Finanziell beginnt es da für den ET7 mit der 75-kWh-Batterie bei strammen 1191 Euro und dreijähriger Laufzeit, die allerdings nur 1250 monatliche Freikilometer beinhaltet. Jeder zusätzliche Kilometer kostet happige 30 Cent. Und wer die 100-kWh-Batterie will, muss für 36 Monate jeweils mindestens 1311 Euro locker machen, bei einer Laufzeit von 12 Monaten wären es schon 1408 Euro.
Nummer zwei («Flex«) sind die noch teureren flexiblen Verträge, die schon ab einem Monat Laufzeit beginnen und sich innerhalb von gerade mal zwei Wochen zum Monatsende kündigen lassen. Der Spaß beginnt bei monatlich 1660 Euro. Mit zunehmender Länge des Vertrages reduziert sich auch hier der Preis. Vorteil: Das Auto lässt sich nach Belieben wechseln, ist möglicherweise ganz praktikabel zum Kennenlernen der drei unterschiedlichen NIO-Modelle.
Die Abos beinhalten in Deutschland das komplette „Rundum-Sorglos-Paket“, sämtliche Serviceleistungen mit dem erwähnten Hol- und Bringdienst, Winterreifen sowie die Versicherungen. Die Batteriewechsel in den Swap-Stationen gibt es anfangs sogar umsonst, später wird dafür eine monatliche Gebühr erhoben – in Norwegen etwa in Höhe von umgerechnet 10 Euro. Zudem sind dort 200 Kilowattstunden Strom oder zwei Batteriewechsel im Monat im Leasingvertrag enthalten. Was die hohen Leasingraten relativiert.
Und NIO lockt zum Start noch mit einem weiteren finanziellen Vorteil: Wer sein Auto bis zum 31. Dezember bestellt, bekommt es kostenlos zu seiner Wunschadresse geliefert.
Abo-Preise sorgen für Shitstorm
Wie es mit NIO bei uns weitergeht? Ziemlich rasant, denn schon im Januar kommt die aktuelle Version des 4,91 Meter langen und 1,72 Meter hohen, vollausgestatteten mittelgroßen SUV ES7 zu uns, die in Deutschland jedoch EL7 («Elektric Lifestyle«) heißen muss, weil es wegen dem S etwas Zoff mit Audi gab. Der Hochsitzer kommt mit dem gleichen Batterieangebot wie die Limousine ET7, und er offeriert ein ordentliches Ladevolumen zwischen 658 und 1545 Litern.
Bereits im März folgt die für höhere Verkaufszahlen wichtige Mittelklasse-Limousine ET5, die mit der avisierten 100-kWh-Batterie ebenfalls eine Reichweite von 1000 Kilometern knacken soll. Diese mit 4,79 Metern Länge (Breite 1,96 Meter) deutlich kleinere Limo, die es in einer besonders günstigen Basisversion geben soll, bietet wie Teslas Model 3 zwar auch keine große Heckklappe, aber einzeln umklappbare Rücksitze und diverse kostenpflichtige Ausstattungspakete. Und richtig, auch ET5 und EL7 rückt Nio nur gegen des Abschluss eines Abo-Vertrages raus. Die Mittelklasse-Limousine verlangt in der 75-kWh-Batterieversion nach mindestens 999 Euro im Monat bei einer Laufzeit von 36 Monaten, beim EL7 geht nix unter 1299 Euro. Mutige Preise für einen Newcomer.
Im Ergebnis tobt noch nachts ein Shitstorm auf der NIO-App. Fast alle User reagieren nach der Berliner Präsentation schwer enttäuscht. Loben die Autos, vermissen aber dringend eine Kaufoption und schimpfen auf die ihrer Meinung nach völlig überzogenen Abo-Preise. Das Servicepaket wiege nicht auf, dass man am Ende nicht Eigentümer des Autos sei, heißt es empört. So könne man hierzulande keine Autos absetzen. „Schlechter Scherz“ schreibt einer. „Ohne Barpreis bin ich raus“, ein anderer. Jeder, der etwas kaufmännischen Grundverstand mitbringe, würde nie dieses Abo abschließen, wird argumentiert. Nahezu sämtliche User sagen NIO unter diesen Umständen einen Flop voraus. Für das geforderte Abo-Geld könne man locker bei Audi oder Mercedes starke Modelle leasen. NIO müsse schnellstens eine Kaufoption ankündigen, um noch einige enttäuschte Kunden zu retten.
Wir wollen da ja nicht die Spaßbremse spielen, aber diese unerwarteten Reaktionen dürften dem NIO-Management vermutlich nicht gefallen. Der große Vorsitzende William Li, der in Berlin die blumige Eröffnungsrede hielt, hat inzwischen reagiert: „Ich muss zugeben, dass wir die Bereitschaft vieler Nutzer zum Kauf eines NIO-Auto unterschätzt haben.“ Man habe sich für das Abo-Modell entschieden, damit sich der Vertrieb in Europa auf ein Geschäftsmodell konzentrieren könne – sei aber prinzipiell offen auch für eine Kaufoption – und werde sich darauf vorbereiten.
Es bleibt auf alle Fälle spannend.