Sono Motors? Ist Geschichte. Lightyear? Stürzte in die Sonne. Evergrande? Eine Investitionsruine. Zahlreiche Startups haben schon versucht, die Antriebswende dazu zu nutzen, um mit einem selbst konstruierten Elektromobil die Automobilindustrie aufzuschrecken, wenn nicht gar aufzumischen. So wie seinerzeit Tesla. Doch viele Projekte davon sind nach verheißungsvollem Start kläglich gescheitert. Weil das Geld ausging, weil die technische Entwicklung trotz der vermeintlich geringeren Komplexität eines Elektroautos das Team überforderte oder weil die Gründer irgendwann die Lust an dem Projekt verloren.
Das alles soll Aehra Automobili nicht passieren – dem neuen Elektroauto-Startup aus Mailand. Das Unternehmen hat gerade auf der „Milano Monza Motor Show“ (MiMo) sein zweites Fahrzeug vorgestellt: eine vollelektrische, allradgetriebene „Ultra-Premium Limousine“ von fünf Metern Länge, mit spektakulärem Design und vier Türen, die sich nach dem Schmetterlingsprinzip nach oben öffnen. Ein Tesla Model X sieht dagegen wie ein Lieferwagen aus, ein Porsche Taycan fast schon wieder wie ein Produkt aus einer lang zurückliegenden Zeit. Aehra-Chefdesinger Filippo Perini, der früher für Alfa Romeo und Audi arbeitete und unter anderem dem Lamborghini Aventador Gestalt gab, hat ohne Zweifel einen tollen Job gemacht.
Doch das Model X von Tesla wie der Porsche Taycan sind bereits Bestseller – die Sportlimousine von Aehra hat wie das bereits im vergangenen Jahr vorgestellte SUV noch nicht einmal einen Motor. Und Perini muss im Gespräch mit EDISON zugeben, dass es bis zum „Design Freeze“ noch eine Weile hin ist. Denn Technikchef Franco Cimatti ist erst im Januar zum Unternehmen gestoßen, nach vielen Jahren bei Ferrari und einem Intermezzo bei der Geely-Tochter Lotus, wo er zuletzt am Elektro-SUV Eletre gearbeitet hatte. Mit zwei Vollzeit- und vier Tielzeitkräften soll Cimatti nun den beiden noch namenlosen Aehra-Stromern das Laufen beibringen. Und zwar schleunigst: Verkaufsstart soll schon in zwei Jahren sein.
Aehra will Elektroauto neu denken
So hat es zumindest Hazim Nada geplant. Der 43-jährige promovierte Physiker und ehemalige, auf Öl und Erdgas spezialisierte Rohstoffhändler („Lord Energy“) hat Aehra Automobili im vergangenen Jahr aus der Taufe gehoben – zusammen mit dem ehemaligen Fallschirmjäger und Betreiber des nach eigenen Angaben größten vertikalen Windtunnels („Aehra Gravity“) in Europa, Sandro Andreotti. Ihr Ziel ist ehrgeizig: Das Design, das Kundenerlebnis und den Besitz von Elektroautos entscheidend zu verbessern. In allen Belangen, versteht sich.
„Den heutigen Elektroautos“, kritisiert Nada, „sieht man an, dass sie halbherzig von Petrolheads entwickelt wurden“ – Ingenieuren und Designern aus der alten Welt der Thermodynamik. Die können halt nicht anders. Aehra hingegen habe die Entwicklung der beiden Premiumstromer mit einem weißen Blatt Papier und viel Enthusiasmus begonnen – geleitet von der Frage, wie das perfekte Elektroauto aussehen müsse.
900-Volt-Bordnetz für ultraschnelles Laden
Entsprechend ehrgeizige Ziele haben die beiden Firmengründer ins Lastenheft der beiden Elektroautos geschrieben. Angepeilt wird für die Limousine eine Reichweite von 800 Kilometern mit einer Batteriekapazität von 120 Kilowattstunden. Die Höchstgeschwindigkeit soll 265 km/h betragen, die Ladegeschwindigkeit 300 kW – fest eingeplant ist schon einmal ein 900-Volt-Bordnetz. Das Gewicht beider Fahrzeuge soll dank zahlreicher Bauteile aus recycelbaren Karbonfaser-Verbundstoffen deutlich weniger als zwei Tonnen betragen. Und die Einstiegspreise sollte Beträge zwischen 160.000 und 180.000 Euro nicht übersteigen.
Wie man das alles unter einen Hut bringt? Indem man die Zulieferer der Komponenten reizt, ihr Bestes zu geben. Vor allem technologisch. Technikvorstand Cimatti, der aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in der Autoindustrie über ertklassige Verbindungen verfügt, will die Zulieferer deshalb so früh wie möglich in das Projekt einbinden und ihnen viel Spielraum einräumen – und nicht eng führen wie die großen Autokonzerne, für die die Teilelieferanten oft nur Erfüllungsgehilfen seien. Dadurch könne auch ein erheblicher Teil der Entwicklungsarbeit outgesourced werden – dem Engineering-Team bei Aehra bleibe allein die Aufgabe der Koordinierung und Orchestrierung.
Miba liefert die Antriebsbatterie
Den österreichischen Technologieunternehmen Miba aus Laakirchen hat Aehra mit dem Konzept bereits begeistern können: Miba Battery Systems (vormals: Voltlabor) wird für die beiden Elektroautos Lithium-Ionen-Batteriepacks auf Basis von lasergeschweißten zylindrischen Zellen sowie ein innovatives Kühlsystem liefern, das extrem hohe Ladeleistungen ermöglicht. Bislang kam die Technik nur in Elektro-Motorrädern, Bussen und elektrischen Pistenraupen sowie bemannten Drohnen zum Einsatz, berichete Miba-Chef Peter Mitterbauer EDISON am Rande der Aehra-Präsentation in Mailand.
Nach dem gleichen Prinzip soll auch die Produktion der Fahrzeuge aufgesetzt werden. Nada spricht aktuell mit Auftragsfertigern in Finnland und in Österreich. Namen mag er zwar nicht nennen, aber natürlich ist jedem Experten klar, wen er meint: Valmet in Finnland und Magna Steyr in der Steiermark. Möglicherweise werde man – bei entsprechender finanzieller Unterstützung durch die Regierung – aber auch eine alte Fabrik in Nord- oder Mittelitalien übernehmen und wiederherrichten, deutet er im Gespräch an. Eine Entscheidung darüber werde schon in wenigen Wochen fallen.
Allzu groß soll die Automobilproduktion ohnehin nicht werden. Aehra plant für beide Modellreihen eine jährliche Stückzahl von rund 25.000 Einheiten. Angeboten werden sollen die Autos erst einmal „nur“ in den USA und China, dem Mittleren Osten sowie in Europa. Und die Entwicklung der Fahrzeuge – Nada beziffert sie auf rund 750 Millionen Euro – will Aehra als privat finanziertes Unternehmen zunächst einmal auch selbst bestreiten: Der Ölhandel war in den zurückliegenden Jahren offenbar ganz erfolgreich und lukrativ.